Konzerte Saison 1979-1980

  • 7.11.1979
  • 20:15
  • 54.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Alban Berg Quartett (Wien)

Seit mehr als 25 Jahren, erstmals 1971 im Wiener Konzerthaus, konzertiert das Alban Berg Quartett regelmässig in den Musikmetropolen der Welt, im Rahmen bedeutender Festspiele und führt eigene Zyklen in Wien, London, Paris und Zürich durch. Sein Name, Inbegriff heutigen Quartettspiels, steht für die Affinität des Quartetts zur Wiener Klassik und Romantik wie zur Zweiten Wiener Schule. Wie ernst das Quartett seine Verpflichtung der Musik unserer Zeit gegenüber nimmt, zeigt eine ganze Reihe von Uraufführungen (u.a. Rihm, Schnittke, Berio). Seine Mitglieder sind Professoren an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien und an der Musikhochschule Köln (als Nachfolger des Amadeus Quartetts), Ehrenmitglieder des Wiener Konzerthauses und «Associate Artists» des South Bank Centre in London.

Zahllose Platteneinspielungen, darunter die klassisch gewordene Aufnahme von Schuberts Spätwerk (Neuauflage in 4 CDs, auch einzeln erhältlich), belegen das breite Repertoire des Quartetts. Den Einsatz für die Musik des 20. Jahrhunderts dokumentiert die Jubiläums-Edition 1971–1996, 25th Anniversary. «Das Alban Berg Quartett ist ein wertvolles, unersätzliches Stück Musikgeschichte» sagt einer, der es wissen muss: Luciano Berio.

«Das ist ein rechter Dreck! gut für das Saupublikum.» So reagierte Beethoven, als sich Kritik und Publikum für das c-moll-Quartett des op. 18 begeisterte – ein Quartett in Moll notabene. Doch steht unter den ersten Quartetten gerade dieses Werk stärker im Ruf des Konventionellen als die andern. Noch hatte Beethoven, auch wenn dieses Quartett durchaus ernst sein kann und das Hauptthema des Kopfsatzes Leidenschaftlichkeit zeigt, nicht wirklich zu seinem späteren c-moll-Pathos gefunden. Daher hat man für op. 18/4 eine frühere Entstehung oder eine Übernahme von älterem Material, vielleicht sogar aus der Bonner Zeit, angenommen. In der Entstehungsreihe ist es das fünfte. Bei der Veröffentlichung des op. 18 war Beethoven kein jugendlicher Komponist mehr wie Mozart oder Schubert bei ihren ersten Quartetten und er musste auch nicht die Gattung neu schaffen wie Haydn. Darum ist es nicht wirklich angebracht, bei ihm von «frühen» Quartetten zu sprechen. Umso mehr überraschen die formale Einfachheit und der Verzicht auf Durchführungselemente ebenso wie der wenig individuelle c-moll-Charakter. Und doch zeigt der Kopfsatz ein leidenschaftliches Drängen im zwölf Takte langen Hauptthema. Der Seitensatz (Es-dur) ist aus dem Hauptthema abgeleitet, wirkt aber lyrischer. Dieser doch recht persönlich gehaltene Satz endet ziemlich düster. Einen wirklichen langsamen Satz hat das Quartett nicht. Beethoven wählte stattdessen zwei Varianten: ein Scherzo, das durch seine Staccati scherzhaft wirkt, in der Form aber ein Sonatensatz ist, und ein Menuett mit zahlreichen Sforzati. Dieses ist nun doch noch ein pathetischer c-moll-Satz, zumal er bei der Wiederholung durch die vorgeschriebene Tempoverschärfung an Dramatik gewinnt. Im Finale fühlt man sich trotz heftigen Akzenten an Haydn erinnert; man kann aber auch das wohl gewollt Einfache feststellen.

Die Überarbeitung der früheren Stücke op. 18,1-3 im Jahr 1800 hat einen entscheidenden Schritt vorwärts gebracht. Gleichwohl hat Beethoven nicht auf die Veröffentlichung des 4. Quartetts verzichtet und es auch nicht überarbeitet. Vielleicht hat gerade das Fehlen des allzu Anspruchsvollen dem Werk den Erfolg verschafft. So hat es positive Beurteilungen erfahren, die Beethoven damals nicht anerkennen wollte, wie der zu Beginn zitierte verärgerte Ausruf belegt. Trotzdem war ihm das Stück gut genug für seine erste Quartettsammlung.

Bartóks knappstes, konzentriertestes Quartett war damals das kühnste seiner Werke und durfte als repräsentativ für moderne Musik gelten, selbst im Vergleich mit den Werken des Schönberg-Kreises. Adorno hielt es damals für «fraglos die beste von des Ungarn bisherigen Arbeiten» und bewunderte die «Formkraft des Stückes, die stählerne Konzentration, die ganz originale, aufs genaueste Bartóks aktueller Lage angemessene Tektonik». Die Recapitulazione bildet die Reprise des 1. Satzes, die Coda nimmt, ebenfalls reprisenhaft, Material der Seconda parte wieder auf. Dies ergibt eine ungeheure Geschlossenheit. Dazu kommt, dass die Motive auf zwei oder drei beschränkt sind; aus ihnen wird das gesamte Material des ganzen Werkes abgeleitet. Neu ist vor allem die Lösung von romantischen und vordergründig folkloristischen Anklängen und besonders die in ihren harmonischen Schärfen und in der kontrapunktischen Kompromisslosigkeit noch nie gehörten, dem Streicherklang bisher fremden Farben.
Warum hat Schuberts grösstes Quartett nicht die Beliebtheit der beiden anderen späten Quartette erreicht? Ist es das Fehlen des populären Beinamens? Gibt es kein beliebtes Thema, das man auf Anhieb wiedererkennt? Ist es die Länge? Oder ist es die Zerrissenheit, die man so lange beim «Schwammerl» Schubert nicht hat in ihrer Bedeutung wahrnehmen wollen, weil sie dem Bild vom «eigentlich schubertschen» Schubert, dem Liedersänger und Melodienerfinder widersprach? In nur elf Tagen, fast gleichzeitig mit Beethovens Abschluss des op. 131 (im letzten Konzert zu hören) entstanden und jenem gleichrangig, stellt es nicht nur einen Gipfel der Quartettkunst dar, sondern gehört zum Schwierigsten – in der Ausführung wie im Erfassen. Kein populäres Liedthema, keine behäbige Biedermeierseligkeit täuscht über die Ansprüche hinweg. In geradezu sinfonischen Zügen werden im Kopfsatz dramatische, in unruhigem Tremolo aufbrausende Blöcke mit lyrisch kantablen verzahnt, als eine Art «einander ablösender Varianten. Variierte Reihung kennzeichnet auch den zweiten Satz, dessen ausgedehnt singende Cello-Melodien wohl Beruhigung, gar Frieden auszustrahlen vermöchten, wäre ihnen nicht der Affekt der Ruhelosigkeit in den Oberstimmenfiguren beigegeben» (Arnold Feil). Dazu kommt generell das Provokative, welches in verschiedenen Details erkennbar wird, das aber immer Teil des gestalterischen Willens, nicht Unvermögen darstellt. Ein leicht erkennbares sind die genannten immer wieder auftretenden Tremoli. Sie sind mehr als nur eine Form klanglicher Gestaltung, enthalten sie doch ein wichtiges emotionales Potential. Sie haben zudem die Tendenz, die Tonalität zu verschleiern – kein Wunder, dass sie in der Spätromantik so beliebt sind. Dass sich Schubert im Kopfsatz, aber auch im Finale nicht für Dur oder Moll entscheiden kann bzw. will, hat die Hörer ebenfalls irritiert, obwohl es sich dabei um ein typisches Stilmittel Schuberts handelt. Gerade diese angebliche Unentschiedenheit, die sich in den thematisch nicht immer leicht fassbaren Tremoli und im Verunklaren der Tonart äussert, trägt dazu bei, dass das Werk eben nicht so formal klar abläuft wie ein Haydn-Quartett. Dadurch verliert man irgendwie das Zeitgefühl, und dieser Verlust führt auch zu den von Schumann in der grossen C-dur-Sinfonie festgestellten «himmlischen Längen». Schubert hat – wie in dieser Sinfonie, im Streichquintett und in den letzten Klaviersonaten – im G-dur-Quartett, das ausdrücklich keine Sinfonie sein will, mit modernsten und ganz eigenen Mitteln nicht nur zur grossen Form gefunden, sondern in den Ein- und Ausbrüchen auch Grenzen erreicht, an die er ebenso in der Lyrik der Winterreise oder in Heines Atlas («unendlich glücklich oder unendlich elend») gestossen ist.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 4, c-moll, op. 18 Nr. 4 (1798/1800)
Allegro ma non tanto
Scherzo: Andante scherzoso, quasi Allegretto
Menuetto: Allegretto – Trio
Allegro – Prestissimo

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 3, Sz 85 (1927)
Prima parte: Moderato –
Seconda parte: Allegro –
Recapitulazione della 1a parte: Moderato
Coda: Allegro molto

Franz Schubert 1797-1828

Streichquartett Nr. 15, G-dur, op. post. 161, D 887 (1826)
Allegro molto moderato
Andante un poco mosso
Scherzo. Allegro vivace – Trio: Allegretto
Allegro assai