Konzerte Saison 1982-1983

  • 7.12.1982
  • 20:15
  • 57.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Festsaal

Quatuor Via Nova (Paris)

Haydns letzte Sechserserie von Streichquartetten erschien 1799. Entstanden sind sie wohl 1796/97, zwei Jahre nach der letzten Sinfonie Nr. 104. Da Haydn die berühmte Kaiserhymne erst Ende Januar 1797 vollendete, dürfte das sogenannte Kaiserquartett erst danach entstanden sein. Die Autographe sind verloren. Dass der Widmungsträger Graf Joseph Erdödy sie für einige Zeit zum alleinigen Gebrauch erhielt (was ihn 100 Dukaten kostete), erklärt wohl die relativ späte Veröffentlichung bei Artaria. Das op. 76 wurde mehrfach zur bedeutendsten Werkgruppe Haydns erklärt; man hat es als Ernte oder krönende Zusammenfassung seines Quartettschaffens bezeichnet. Das 6. Quartett hat nicht die Bekanntheit anderer Nummern (etwa der Nr. 2 «Quinten-» und 3 «Kaiserquartett») erreicht; es ist aber eines der ungewöhnlichsten. Erstaunlich, dass man es eher selten im Konzert hört (bei uns nur 1979 und 1982). Sein Kopfsatz wird von einem Thema, das, ohne klare melodische Struktur, kaum für Variationen zu taugen scheint, und vier Variationen eher unkonventionell eingeleitet. Die vierte schlägt in ein Allegro um und enthält ein aus einer Gegenmelodie entstehendes Fugato. Wie beim «Kaiserquartett» bleibt das Thema als Cantus firmus durchwegs erhalten. Am überraschendsten dürfte das folgende Adagio, eine Fantasia im entfernten H-dur, sein. Dieses H-dur wird wiederholt von gewagten Abweichungen in andere Tonarten abgelöst: Haydn nutzt die Freiheit der «Fantasie» auch im Harmonischen. Das Menuett ist mit Presto überschrieben (generell sind die Menuette im op. 76 rasch), als ob es ein Scherzo wäre. In der Tat sind wir weit weg vom klassischen alten Tanz. Dazu trägt auch die 24mal wiederholte viertaktige absteigende Es-dur-Basslinie inklusive Fuge bei. Das ¾-Takt-Finale, ein Sonatensatz, wird mit einem erneut tonleiterhaften Motiv vom Rhythmus beherrscht. Trotz hohem Tempo ist es kein Kehrausfinale, wohl aber ein echtes pezzo spiritoso.
Drei Werke aus dem Kammermusikjahr 1842, zwei Streichquartette und das Klavierquartett, waren bzw. sind – rund ein Vierteljahr vor der 200. Wiederkehr von Schumanns Geburtstag – Teil unserer Konzertprogramme. Bereits zuvor hatte Schumann Interesse an der Komposition von Streichquartetten geäussert. Am 11. Februar 1838 schrieb er an Clara: „Auf die Quartette freue ich mich selbst, das Klavier wird mir zu enge, ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen oft noch eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann, namentlich ist es sonderbar, wie ich fast alles kanonisch erfinde.“ Es mag sein, dass bereits damals das eben entstehende op. 44 Mendelssohns für Schumann ausschlaggebend war, sicher war es das 1842. Denn Schumann machte vor der Komposition eingehende Studien von Vorbildern, zu denen natürlich Haydn, Mozart und Beethoven gehörten. Intensiv jedoch setzte er sich mit den 1839 im Druck erschienen Quartetten op. 44 seines Freundes Mendelssohn auseinander. Folgen davon sind nicht nur die Komposition, sondern wohl nicht zufällig die Anzahl von drei Werken und natürlich die Widmung der drei Quartette op. 41 an Mendelssohn. Und Schumann schloss sich – mehr als in anderen seiner Werke – mehr diesem Vorbild an als etwa Beethoven. Obwohl Mendelssohn, dem Schumann die drei Werke am 29. September 1842 durch Ferdinand David und seine Quartettfreunde aus dem Gewandhausorchester vorspielen liess, das 1. Quartett besonders gefiel, trägt vielleicht doch gerade das zweite Quartett, das kürzeste der Reihe, am meisten von Mendelssohn in sich. Es ist allerdings nicht der virtuose, übermütig-heitere Scherzo- und Elfenton, den wir hier vorfinden, sondern eine auch Mendelssohn durchaus eigene Besinnlichkeit verbunden mit einer keineswegs oberflächlichen Eleganz und Schönheit des Tones. Gleich der erste Satz, zwar Allegro vivace überschrieben, trotzdem eher ruhig gehalten, beginnt mit einer auf und ab schwingenden lyrischen Melodie. Der träumerische zweite Satz (As-dur) ist ein Variationensatz, doch nennt ihn Schumann quasi variazioni, weil er kühn mit der Variationsform umgeht. Ausgehend von einem 1832 entstandenen Larghetto (Nr. 13 aus den Albumblättern op. 124), von dessen drei „Strophen“ die dritte das eigentliche Thema für vier weitere Variationen liefert, kehrt Schumann zu den beiden ersten Strophen zurück und schliesst den Satz mit einer Coda, die ihrerseits wieder auf eine der Variationen zurückgreift. Unruhig, ja dramatisch gibt sich das Scherzo (c-moll), während das C-dur-Trio, am Schluss des Satzes wieder aufgenommen, mit dem Cello und den antwortenden übrigen Streichern Heiterkeit aufkommen lässt. Die heitere Klangfreude eines Perpetuum mobile bestimmt trotz intensiver thematischer Arbeit das Finale. Ein Melodieteil klingt an ein bei Schumann beliebtes und immer wieder zitiertes Thema an: Das Schlusslied aus Beethovens Liederzyklus „An die ferne Geliebte“, speziell die Phrase „Nimm sie hin denn meine Lieder“. Ob hier für einmal nicht an Clara, sondern an Freund Mendelssohn gedacht ist?

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 80, Es-dur, op. 76, Nr. 6, Hob. III:80 (1797)
Allegretto – Allegro
Fantasia: Adagio
Menuetto: Presto – Alternativo
Finale: Allegro spirituoso

Jacques Ibert 1890-1962

Streichquartett C-dur (1937/42)
Allegro risoluto
Andante assai
Presto
Allegro marcato

Robert Schumann 1810-1856

Streichquartett Nr. 2, F-dur, op. 41, Nr. 2 (1842)
Allegro vivace
Andante, quasi variazioni
Scherzo: Presto
Allegro molto vivace