Konzerte Saison 1998-1999

  • 23.3.1999
  • 20:15
  • 73.Saison
  • Osterkonzert
Martinskirche

Carmina Quartett (Zürich) Schola Romana Lucernensis

Das Carmina Quartett, seit seiner Gründung im Jahre 1984 zu einem international gefragten Ensemble geworden, zählt zu unseren regelmäßigen Gästen. Das Quartett, «Quartet in residence» am Konservatorium Winterthur, plant sein Repertoire äußerst sorgfältig und studiert die ausgewählten Werke mit größter Gewissenhaftigkeit ein, was nicht nur in den Konzerten, sondern auch bei Einspielungen (Haydn, Schubert, Mendelssohn, Brahms, Ravel, Debussy u.a.) zu hören ist. Das Quartett tritt häufig mit ausgezeichneten Kammermusikpartnern auf, ist Initiant des Festivals Kyburgiade und wartet immer wieder mit einfallsreichen Projekten wie dem vorliegenden auf.

Schola Romana Lucernensis (Leitung: Pater Roman Bannwart)

Interesse an der Gregorianik hat Sänger des Kammerchors Luzern vor 25 Jahren zu einer Choralschola zusammengeführt. Unter der Leitung von Dominik Rickenbacher singt sie regelmässig in Gottesdiensten und Konzerten der Stadt und Region Luzern. Der Kontakt mit dem Choralmagister des Klosters Einsiedeln, Pater Roman Bannwart, brachte eine intensive Zusammenarbeit mit der SCHOLA EINSIDLENSIS. Gemeinsam traten sie in Konzerten des In- und Auslandes auf, mehrmals bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern, mit Nikolaus Harnoncourt in sechs Aufführungen von Monteverdis Marienvesper im Zürcher Fraumünster und in mehreren Städten Deutschlands. Zur SRL stossen auch Damen, Absolventinnen der Gregorianik-Klasse Pater Bannwarts an der Akademie Luzern.

Das Extrakonzert bildet gleichsam eine Synthese oder einen Angelpunkt im Rahmen der beiden Schwerpunkte der laufenden Saison: Die Wiener Klassik mit Haydn hier, die westliche Musikwelt mit ihren zeitlichen Rändern und Randnationen (Südspanien und die mittelalterliche «Schweiz») dort. Der Rand, Spaniens südlichste Stadt, Cádiz, war für einmal Impulsgeber. Bis hierhin – ein Beweis dafür, dass auch Spanien damals eine Musiknation gewesen ist – war Haydns Ruhm gedrungen. Und so bestellte José Saens de Santamaria, Marques de Valdes-Inigo, Domherr der Kirche Santa Cueva in Cádiz, für die Karfreitagsliturgie bei Haydn eine Meditationsmusik für Orchester. Zwischen den einzelnen Sonaten sollte der Geistliche über die jeweiligen Worte predigen. Haydn führte das Werk 1785 oder 1786 aus, am 6. April 1787 fand die Aufführung in Santa Cueva in Cádiz statt. Zuvor war das Werk bereits in Wien beim Fürsten Auersperg und am 30. März in Bonn zu hören gewesen; später folgte eine Aufführung bei Graf Walsegg, dem Auftraggeber von Mozarts Requiem.

Bald danach bearbeitete Haydn die Orchesterfassung für Streichquartett (um 1795/96 sollte noch eine Oratorienfassung folgen). Er kündigte sie seinem Londoner Verleger folgendermassen an: ein ganz neues werck. bestehend in blosser Instrumental Music, abgetheilt in 7 Sonaten, wovon jede Sonate 7 bis 8 Minuten dauert, nebst einer vorhergehenden Introduction, zu lezt ein Terremoto, oder Erdbeben. diese Sonaten sind bearbeitet, und angemessen über die wort, so Christus unser Erleser am Creutz gesprochen. [...] Jedwede Sonate, oder Jedweder Text ist bloss durch die Instrumental Music dergestalten ausgedruckt, dass es den unerfahrensten den tiefesten Eindruck in Seiner Seel Erwecket, das ganze werk dauert etwas über eine stunde, es wird aber nach jeder Sonate etwas abgesetzt, damit man voraus den darauf folgenden Text überlegen köne."

Haydns Aufgabe war nicht einfach, denn der Gegenstand erforderte die Komposition von sieben langsamen Sätzen, die ohne äusserlichen Kontrast der Trauer Ausdruck geben sollten. Dies ist vielleicht in der Streichquartettfassung noch schwieriger als mit dem Orchester, denn der gleichsam "nackte" Streicherklang – so die Ansicht Carl Maria von Webers – bedarf des besonders aufmerksamen Hörens. Der Charakter der Sätze ist allerdings durchaus verschieden: Auf das Pathos der Einleitung, das Christus auch als Triumphator zeigt, folgt die Seufzersprache des ersten Wortes und die Kantabilität der Paradiesesverheissung des zweiten. Sanft erklingt der Dialog mit der Mutter und Johannes, schmerzlich die Fragen des vierten Wortes. Von Verhaltenheit zum Pathos steigert sich das "Mich dürstet", von Schmerz zum Trost das Es ist vollbracht. Fast liedhaft zuversichtlich wirkt "der Gebetston in der Transzendenz-Tonart" Es-dur (L. Finscher), bevor ein tonmalerisches Nachspiel das Erdbeben vergegenwärtigt. Auch wenn sich Haydn den Vortrag der Quartettfassung wortlos vorgestellt haben mag und darum eine kleine Pause zwischen den Sonaten, damit man voraus den darauffolgenden Text überlegen köne, vorsieht, kann man sich diese "Pausen" auch anders gestaltet vorstellen. Zur Schlichtheit des reinen Streicherklangs dürfte anstelle des reinen Wortes, wie es in Cádiz der Fall war, die reine a cappella-Form gregorianischer Gesänge wohl besonders gut passen.

rs

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett op. 51 Hob. III/50–56 «Die Sieben Worte des Erlösers am Kreuz» (1785/86? bzw. 1787)
Introduction: Maestoso ed Adagio, d-moll
Largo, B-dur: Pater dimitte illis, non enim sciunt, quid faciunt.
Grave e cantabile, c-moll/C-dur: Amen, dico tibi: Hodie mecum eris in paradiso.
Grave, E-dur: Mulier, ecce filius tuus, et tu, ecce mater tua.
Largo, f-moll: Eli, Eli, lama sabachtani?
Adagio, A-dur: Sitio.
Lento, g-moll/G-dur: Consummatum est.
Largo, Es-dur: Pater, in tuas manus commendo spiritum meum.
Finale: «Il Terremoto». Presto con tutta la forza, c-moll

Gregorianische Choräle aus dem St. Galler Hartker-Codex (980-1011)

In monte Oliveti
Velum templi scissum est
Tristis est anima mea
Tenebrae factae sunt
Omnes amici mei
Caligaverunt oculi mei
Aestimatus sum