Konzerte Saison 2000-2001

  • 31.10.2000
  • 20:15
  • 75.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Carmina Quartett (Zürich) Nora Chastain, Violineund Viola | Friedemann Rieger, Klavier

Das Carmina Quartett darf heute zu Recht als das namhafteste unter den Schweizer Quartetten bezeichnet werden. Das ursprünglich als Streichtrio gegründete Ensemble hatte sich 1984 zum Quartett erweitert und konnte als solches bald grosse Erfolge aufweisen, so 1987 beim Borciani-Wettbewerb. Im gleichen Jahr trat es erstmals in unseren Konzerten auf; heute ist es zum neunten Mal zu Gast. Das Carmina Quartett ist «Quartet in residence» am Konservatorium Winterthur. Das national und international gefragte Ensemble plant sein Repertoire äusserst sorgfältig und studiert die ausgewählten Werke mit grösster Gewissenhaftigkeit ein. Dies ist nicht nur in den Konzerten zu hören, sondern auch bei Platteneinspielungen, Die meisten sind mit internationalen Preisen ausgezeichnet worden, so etwa die Quartette von Ravel und Debussy, Szymanowski, Haydn (op. 76) oder Brahms (op. 51). Eine der neusten Aufnahmen umfasst Othmar Schoecks «Notturno» mit Olaf Bär. Diese Aufnahme zeigt, dass das Carmina Quartett nicht nur das reine Quartettrepertoire pflegt, sondern immer wieder mit namhaften Partnern auftritt, was in unseren Konzerten - wie auch heute - meistens der Fall war.

Nora Chastain, die Enkelin des Komponisten Roy Harris, stammt aus San Francisco und studierte an der Juilliard School New York, dann bei Alberto Lysy, Sándor Végh und Yehudi Menuhin. 16jährig debütierte sie in Berlin mit dem Konzert von Samuel Barber. Sie war mehrfache Preisträgerin, u.a. beim Internationalen Menuhin-Wettbewerb 1985 in Paris. 1990 wurde sie Nachfolgerin von Aida Piraccini-Stucki am Konservatorium Winterthur, wo sie eine Meisterklasse unterrichtet. Als Geigerin ist sie Mitglied des Menuhin Festival Piano Quartet, mit dem sie am 3. Januar 1995 in unseren Konzerten aufgetreten ist.

Auch Friedemann Rieger gehört dem Menuhin Festival Quartet an. Er ist als Solist und Kammermusiker bekannt geworden. Zusammen mit Nora Chastain, deren ständiger Duopartner er ist, wirkt er auch im Trio Kreisleriana mit.

Mozarts sechs Streichquintette (ein Frühwerk, die Bearbeitung eines Bläseroktetts, vier Spätwerke) stehen an Bekanntheit etwas hinter den Quartetten zurück, wohl einfach deshalb, weil man die Quintettbesetzung seltener zur Verfügung hat. Denn von der Qualität her besteht kein Unterschied, im Gegenteil: Die beiden am Beginn des Spätwerks stehenden Quintette KV 515 und 516, im Frühjahr 1787 geschrieben, gehören zu den absoluten Spitzenwerken Mozarts. Wie bei den beiden ein gutes Jahr später entstandenen letzten Sinfonien KV 550 und KV 551 stehen sich die Tonarten C-dur und g-moll gegenüber und bilden auch hier in ihrer Polarität ein komplementäres Paar. Das g-moll-Werk ist fast noch mehr als die Sinfonie ein von Dunkelheit, Emotionalität und Spannungen geprägtes Stück. Wie die «Jupitersinfonie» die umfangreichste Sinfonie, so ist das C-dur-Quintett das längste der Kammermusikwerke. Die Tonart C-dur mag hier weniger als in der Sinfonie strahlenden Glanz, Kraft und Festlichkeit ausdrücken als sublime Heiterkeit, und doch fehlt eine gewisse Monumentalität gerade im Kopfsatz nicht. Violoncello und 1. Violine exponieren das Hauptthema, das sie mit vertauschten Rollen in c-moll wiederholen. Dieses Spiel taucht im Satz mehrfach auf. Das Menuett mit seinen subito-piano-Effekten steht im Autograph an dritter, im Erstdruck an zweiter Stelle. Sein Trio mit reizvollen Oktavgängen der beiden Geigen steht in F-dur wie das zweiteilige Andante. Hier führen 1. Violine und 1. Viola. Trotz seiner Länge von 539 Takte sprudelt das Finale in virtuoser Heiterkeit, aber auch mit kontrapunktischer und harmonischer Raffinesse, in der Synthese von Haydns kurzmotivischem Witz und mozartschen Melodiebögen kurzweilig vorüber.

Ernest Chausson, der vielseitig begabte Sohn einer Unternehmerfamilie, hatte auf Geheiss seines Vaters zuerst die Rechte studiert und war 1877 Rechtsanwalt geworden. Später konnte er sich dank finanzieller Unabhängigkeit der Musik zuwenden und studierte bei Massenet und Franck. Im Alter von nur 44 Jahren prallte er mit dem Fahrrad gegen eine Mauer und erlitt einen Schädelbruch. So starb noch im 19. Jahrhundert ein Komponist, der die Verbindung zwischen spätromantischer Tradition, speziell der Wagners, und dem modernen französischen Stil des sogenannten musikalischen Impressionismus bildet. Mit Debussy war Chausson denn auch lange Jahre befreundet. Seit 1888 versuchte er in Zusammenarbeit mit ihm, der ja auch nicht ganz unbeeinflusst von Wagner war, «le spectre rouge de Wagner qui ne peut se détacher de moi» auszutreiben. Chausson suchte den Weg über den französischen «classicisme» eines Couperin und Rameau, was wohl auch mit seiner Tätigkeit in der 1871 gegründeten «Société nationale de musique» zu tun hat. Ein wichtiges Werk in dieser Zeit ist - neben der Sinfonie und dem «Poème» - das von Eugène Ysaÿe angeregte «Concert». Es trägt wohl im Rückgriff auf Couperin den französischen Titel «Concert» - kein Virtuosen-Concerto romantischer Art also, sondern Kammermusik, auch wenn es kein Sextett ist. Die beiden zuerst komponierten Sätze Grave (1889) und die an Fauré erinnernde Sicilienne (1890) dürften dem Konzept der «Ars Gallica» am ehesten entsprechen. Harmonisch und im Aufbau lehnt sich das «Concert», nicht zuletzt im zyklischen Wiederaufgreifen früherer Themen, allerdings viel stärker an ein Schlüsselwerk der spätromantischen französischen Kammermusik an: an César Francks Klavierquintett von 1878/79.

rs

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquintett Nr. 3, C-dur, KV 515 (1787)
Allegro
Menuetto: Allegretto – Trio
Andante
Allegro

Ernest Chausson 1855-1899

Konzert für Violine, Klavier und Streichquartett, D-dur, op. 21 (1889/91)
Décidé – Calme – Animé
Sicilienne: Pas vite
Grave
Très animé