Konzerte Saison 2001-2002

  • 22.1.2002
  • 19:30
  • 76.Saison
  • Zyklen A+B
Stadtcasino, Musiksaal

Liederabend Schumann/Schubert/Mahler

Thomas Quasthoff, Bariton | Charles Spencer, Klavier

Der 1959 geborene deutsche Bass-Bariton Thomas Quasthoff gehört heute zu den führenden Sängern seiner Generation in den Bereichen Lied, Oratorium und Konzert. Seine Behinderung - Quasthoff kam als Contergan-Kind zur Welt - konnte zwar eine Ausbildung an einer staatlichen Musikhochschule verhindern, nicht aber seinen Willen, Sänger zu werden. Bereits mit 15 Jahren begann er mit der Gesangsausbildung und studierte privat bei Charlotte Lehmann und Ernst Huber-Contwig in Hannover. Ein Jus-Studium gab er nach drei Jahren auf und betätigte sich als Sprecher und Moderator beim Radio. 1988 gewann er den 1. Preis beim ARD-Wettbewerb in München, 1996 den Schostakowitsch-Preis in Moskau und im gleichen Jahr den Hamada Trust/Scotsman Festival Prize in Edinburgh. Als Liedsänger ist Quasthoff auf allen wichtigen Podien zu hören. Sein Liederabend-Debut in New York gab er 1999 zusammen mit Charles Spencer mit Schuberts "Winterreise". Ausser mit Spencer arbeitet er häufig mit Justus Zeyen zusammen. Festival-Auftritte (Salzburg, Edinburgh, Schleswig Holstein, Berliner Festwochen, Schubertiade Feldkirch) gehören ebenso regelmässig in sein Programm wie Konzerte mit den bedeutendsten Orchestern und Dirigenten (u.a. Abbado, Haitink, Ozawa und Simon Rattle, den er besonders schätzt) in Europa, Amerika und Japan. Quasthoff hat auch viele Plattenaufnahmen gemacht, darunter viel Bach und immer wieder Opernpartien. Seit 1999 hat er einen Exklusivvertrag mit der DGG. Hier hat er unter Abbado und mit Anne Sofie von Otter Mahlers "Wunderhorn-Lieder" in der Orchesterfassung aufgenommen. In Zukunft sind auch Opernauftritte geplant; die ersten Projekte sind der Minister in "Fidelio" und Amfortas in "Parsifal". Seit 1996 ist Quasthoff nun selber Professor an einer staatlichen Musikhochschule, nämlich in Detmold.

Der in Yorkshire, England, geborene Charles Spencer studierte an der Royal Academy of Music; später setzte er als Stipendiat der österreichischen Regierung sein Studium in Wien fort. Heute zählt Spencer zu den gefragtesten Liedpianisten. Er war zwölf Jahre lang ständiger Liedbegleiter von Christa Ludwig und musizierte mit Peter Schreier, Gundula Janowitz, Jessye Norman, Marjana Lipovsek, Thomas Hampson u.a.m. Zur Zeit arbeitet er mit verschiedenen Sängerinnen und Sängern an einer Gesamtaufnahme der Lieder von Brahms. Er ist Professor für Liedinterpretation an der Hochschule für Musik in Wien und gibt ausserdem Meisterklassen in Deutschland, Japan und Tel Aviv.

Lieder der Romantik

1840 wandte sich Schumann, der noch 1839 geäussert hatte, er habe "Gesangskompositionen unter die Instrumentalmusik gesetzt und nie für eine grosse Kunst gehalten" von der Komposition reiner Klavierwerke unvermittelt ab und der Liedkomposition zu. 138 Gesänge bilden die reiche Ernte dieses "Liederfrühlings". An seinem Beginn steht der Liederkreis op. 24 nach Heine (aus "Junges Leiden" im "Buch der Lieder"), den man sehr wohl als eine "Kleine Dichterliebe" bezeichnen könnte. Das Ende bilden die 16 Heine-Lieder, diesmal aus "Lyrisches Intermezzo", für die Schumann aus Rückerts "Liederfrühling" den Begriff "Dichterliebe" als Titel übernahm. In beiden Zyklen geht es um Trennung und Liebesschmerz, ja um den endgültigen Verlust der Geliebten. Im Schlusslied von op. 24 ("Mit Myrten und Rosen") nimmt Schumann den berühmten Schluss der "Dichterliebe" vorweg, wirkt aber gegen Heines Absicht versöhnlicher. Er widmet dort seine Lieder der verlorenen Geliebten: Die Lieder werden zwar im Buch "eingesargt", doch einst wird die Geliebte sie "im fernen Land" finden und lesen. Die Dichterliebe dagegen endet sarkastisch-pessimistisch: Kein Sarg kann gross genug sein, um die Lieder, die Liebe, die Tränen und den Schmerz darin zu begraben. Einzig das lange Nachspiel scheint Versöhnung, Rückkehr zum hoffnungsvollen Beginn "im wunderschönen Monat Mai" zu sein. Und doch kehrt der Schluss der Dichterliebe als einziger von Schumanns Liederzyklen nicht zur Anfangstonart zurück. Das Nachspiel führt (in der Orginaltonart) vom cis-moll des Liedes nach Des-dur, nicht zurück zum A-dur des Zyklus-Beginns. Doch auch dort war das A-dur nicht ungetrübt: Bevor die Singstimme einsetzt, pendelt das Klavier unbestimmt zwischen fis-moll, h-moll und Cis-dur. Dahingegen ist Heines Gedicht ausnahmsweise echt gemeint - erst nachher wird sich die berühmte Ironie einstellen. Man hat sich immer wieder gefragt, ob Schumann dieser Ironie gerecht geworden sei, ob nicht seine Melodienseligkeit eindimensional über Heines Doppelbödigkeit hinwegtäuscht, ja ob er sie überhaupt erkannt habe. Gerade die Wahl der Tonarten, das Verschieben der Aussage von der Singstimme in die Vor- und Nachspiele zeigen wohl, dass Schumann die Doppeldeutigkeit und damit auch die Gedankentiefe, die im ersten Blick auf die manchmal fast naiv wirkenden Texte nicht erkennbar ist, zum Ausdruck bringt. Zwar wirkt Nr. 3 wie spielerisches Tändeln, ist aber eher unnatürliches Rasen, oder scheinbar naives Sentiment steigert sich in Bitterkeit oder Resignation (Schlusszeile in Nr. 4; "einst" in Nr. 5). So gewinnt Schumann den Texten eine starke neue Dimension ab, auch wenn das dabei auftretende Pathos heute gelegentlich Mühe bereitet (Nr. 7).

Unter Schuberts Liedern gibt es neben den berühmten, immer zu hörenden sehr viele wenig bekannte, deren Qualität durchaus nicht geringer ist. Dies gilt auch für die hier dargebotenen späten Seidl-Lieder. "Am Fenster" gehört zu den lyrisch einfachen; "Sehnsucht" nimmt die Unruhe des frühen "Gretchen am Spinnrad" (1814) wieder auf, wirkt allerdings harmloser. "Bei dir allein" ist verbunden mit hymnischem Aufschwung. Das bekanntere stürmisch bewegte "Über Wildemann" ("liegt im Harz") gehört zum Typus der aufbegehrenden Wanderlieder im Sturm, wie man sie auch aus der "Winterreise" ("Der stürmische Morgen" oder "Mut") kennt.

Im letzten Jahrzehnt des Lieder-Jahrhunderts, dessen frühen Höhepunkt Schubert geschaffen und den Schumann fortgeführt hatte, greift Mahler auf die frühe Romantik zurück ("Des Knaben Wunderhorn" erschien 1806/08). "Mit vollem Bewusstsein von Art und Ton dieser Poesie (die...beinahe mehr Natur und Leben - also die Quelle aller Poesie - als Kunst genannt werden könnte) [habe ich] mich ihr sozusagen mit Haut und Haar verschrieben". So umfasst seine Liedkunst das ganze romantische Jahrhundert, aber die Romantik ist gebrochen, wie in Mahlers Sinfonien die klassisch-romantische Sinfonie nur noch durchscheint und in eine ganz neue Dimension übergeführt ist. Die Lieder dieser Sammlung (es gibt daneben noch frühere Wunderhorn-Lieder), die Mahler teils als Humoresken, teils als Balladen, gesamthaft aber als Gesänge bezeichnet, entstanden zwischen 1892 und 1901, alle mit einer Ausnahme („Es sungen drei Engel“ aus der 3. Sinfonie) zunächst in der Klavierfassung. Mahler hat sie dann orchestriert und zum Teil weitgehend unverändert („Urlicht“: 2. Sinfonie / „Das himmlische Leben“: 4. Sinfonie) oder in Teilaspekten (Motive und Themen) daraus („Fischpredigt“: 2. Sinfonie / „Ablösung im Sommer“ aus der frühen Sammlung: 3. Sinfonie) in seine Sinfonien übernommen. Unter den vier hier dargebotenen sticht der brutal-groteske Trauermarsch in Form eines Totentanz-Morgenständchens von „Revelge“ hervor - nicht nur im Umfang. Hier betritt der Tod in einer schauerlichen Szenerie die Bühne, die unterschiedlicher nicht sein könnte als die frühromantisch verhaltene, als Abgesang so erschütternde in Schuberts „Leiermann“. Wie hat sich dieses 19. Jahrhundert entwickelt! Auch wenn um 1900 noch Komponisten „romantisch“ komponieren - die Romantik Schuberts und Schumanns liegt in weiter Ferne. Im heiter-naiven, volksliedhaften „Rheinlegendchen“ kommt nicht zum Ausdruck, dass ursprünglich eine politische Allegorie dahinter steckt. Die köstliche „Fischpredigt“ kippt, nicht zuletzt in der unruhig chromatischen Begleitung, ständig um ins Boshaft-Hintergründige, aber eben: „Die Predigt hat gfallen, hat gfallen.“ Und wenn es um den musikalischen Verstand geht, hat schon Mahler in seiner parodistischen (Vortragsbezeichnung: Keck) Perverterierung des mythischen Zweikampfs Apoll - Pan bzw. Marsyas, jetzt in die Fabel übertragenen Szene klar erkannt, warum die E-Musik gegenüber der U-Musik keine Chance hat - schliesslich braucht es für diese allein schon wegen der Lautstärke grössere Ohren.

rs