Konzerte Saison 2005-2006

  • 10.1.2006
  • 20.15
  • 80.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Trio Wanderer (Paris)

Der Wanderer ist – insbesondere bei Schubert – eines der wichtigsten Symbole der Romantik. Es steht für Heimatlosigkeit, Unruhe, Suche nach dem (verlorenen) Glück. Diese romantische Note des Begriffs «Wanderer» griff das 1987 gegründete Trio auf (das Klaviertrio ist ja auch eine besonders romantische Formation). Er soll die Verbundenheit der Musiker mit der Musik und dem Denken der deutschen Romantik ausdrücken. Das Trio studierte in den USA und in Kanada mit Janos Starker und Menahem Pressler, in Deutschland mit Mitgliedern des Amadeus Quartetts. Es gewann rasch Wettbewerbspreise (Fischoff Chamber Music Prize; ARD Wettbewerb München 1988). Es folgten regelmässige Auftritte in Paris, London, Salzburg und Wien, aber auch in Osteuropa, Kanada und Japan. Es pflegt das klassisch-romantische und neuere Trio-Repertoire, tritt aber auch mit Orchester auf (Tripelkonzerte von Beethoven, Casella, Martinu etc.). Unter den CD-Einspielungen (Haydn, Schubert, Ravel, Chausson, Schostakowitsch, Dvo5rák, Smetana etc.) wurde gerade die letzte mit den beiden Trios von Saint-Saëns ganz besonders gerühmt. Ein Kritiker schrieb über ein Konzert bei den Salzburger Festspielen 2004: «Die stupende erzählerische Dialogfähigkeit und das markante Profil jeder einzelnen Stimme ergeben ein Panorama expressiven Musizierens, bei dem die Hörer gespannt an der Stuhlkante sitzen.» Das Trio Wanderer gastierte am 27. November 2001 mit Schostakowitsch und Schubert erstmals in unseren Konzerten.
Fast dreissig Jahre nach dem elegant-jugendfrischen ersten schrieb Saint-Saëns ein 2. Klaviertrio. In einem Brief äusserte er sich dazu selbstironisch: «Je travaille tout doucement à un Trio qui fera, je l’espère bien, le désespoir des gens qui auront la malchance de l’entendre. J’en ai pour tout l’été à finir de perpétrer [verüben, verbrechen] cette horreur; il faut bien s’amuser un peu!» Kammermusik war eben nicht nach dem Gusto des breiteren französischen Publikums. Und dann schreibt er erst noch fünf Sätze statt den üblichen vier, was die ersten Hörer tatsächlich irritiert hat. Sonst kann es aber nicht so arg sein – schliesslich war Saint-Saëns kein Neuerer, der sein Publikum schockieren wollte, sondern ein gediegener Klassizist. Gegenüber dem spielerischen 1. Trio fällt aber doch der ernsthaftere und dramatischere Ton des zweiten auf. Der langsame Satz, durch die Fünfsätzigkeit und die Rahmung zwischen zwei tänzerisch-graziösen Sätzen ins Zentrum gerückt, wechselt zwischen Leidenschaft und Lyrik. Den gewichtigen Schluss bildet ein fugiertes Finale.

Thierry Escaich, 1965 in Nogent-sur-Marne geboren, ist Organist (seit 1997 Titularorganist an der Cavaillé-Coll-Orgel von St-Etienne-du-Mont in Paris in der Nachfolge von Maurice Duruflé), seit 1992 Professor am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris, wo er 1983–1990 studiert hatte, und erfolgreicher Komponist. Grosse Bedeutung misst er seit Beginn der Improvisation bei, die er bei seinen Orgelkonzerten in ganz Europa pflegt. Er hat bisher rund 40 Kompositionen vorgelegt, die auch im Ausland Verbreitung finden. Seit 1989 ist er mehrfacher Preisträger verschiedener Institutionen. Zuletzt erhielt er die Victoire de la Musique 2004, 2002 hatte er den Grand prix Lycéen des Compositeurs gewonnen. Dieser Preis hatte einen Kompositionsauftrag zur Folge, eben die «Lettres mêlées» für Klaviertrio. Das 17-minütige Werk wurde am 27. März 2003 vom Trio Wanderer, dem es gewidmet ist, in Paris uraufgeführt. Escaich sieht seine Wurzeln u.a. bei Brahms und Franck – und auch das Trio zeigt Wurzeln: Es beruht auf den Namen Bach, Brahms und Bartók.

Ernest Chausson, der vielseitig begabte Sohn einer Unternehmerfamilie, hatte auf Geheiss seines Vaters zuerst die Rechte studiert und war 1877 Rechtsanwalt geworden. Später konnte er sich dank finanzieller Unabhängigkeit der Musik zuwenden und studierte bei Massenet und Franck. Im Alter von nur 44 Jahren prallte er mit dem Fahrrad gegen eine Mauer und erlitt einen Schädelbruch. So starb noch im 19. Jahrhundert ein Komponist, der die Verbindung zwischen spätromantischer Tradition, speziell der Wagners, und dem modernen französischen Stil des sogenannten musikalischen Impressionismus bildet, un trait d’union (non négligeable) entre Franck et Debussy. Mit Debussy war Chausson denn auch lange Jahre befreundet. Chausson hatte sich 1880 um den Rom-Preis beworben und war – natürlich, ist man versucht zu sagen – gescheitert. Dies verärgerte ihn so sehr, dass er das Conservatoire verliess. Sein erstes Werk danach war das Klaviertrio. Zur dieser Zeit stand Chausson stark unter dem Eindruck von César Franck. So ist der Rückgriff auf Francks Klanglichkeit und zyklische Konzeption nicht verwunderlich; konkretes Vorbild dürfte Francks Klavierquintett von 1878/79 gewesen sein. Chausson war aber bereits damals eigenständig genug, um ein Werk zu schaffen, das als eines der elegantesten und schönsten Klaviertrios der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten darf.

rs

Camille Saint-Saëns 1835-1921

Klaviertrio Nr. 2, e-moll, op. 92 (1891/92)
Allegro non troppo
Allegretto
Andante con moto
Gracioso, poco allegro
Allegro

Thierry Escaich 1965-

«Lettres Mêlées» für Klaviertrio (2003)
Modéré
Modéré
Très vif

Ernest Chausson 1855-1899

Klaviertrio g-moll, op. 3 (1881)
Pas trop lent – Animé
Vite – Très vite
Assez lent
Animé