Konzerte Saison 2011-2012

  • 24.1.2012
  • 20.15
  • 86.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Kuss Quartett (Berlin)

Das Quartett wurde 1991 noch von Schülern gegründet und begann seine künstlerische Arbeit 2001 an der Hanns-Eisler-Musikhochschule Berlin in Zusammenarbeit mit Eberhard Feltz. Seither spielt es in der heutigen Besetzung. Seine weitere Ausbildung erhielt es u.a. vom Alban Berg Quartett und von Walter Levin. 2002 gewann es den 1. Preis des Deutschen Musikrats und im Borciani-Wettbewerb. Seither folgten Einladungen in ganz Europa, in den USA, Japan, Australien und Südafrika. Auch bei renommierten Festivals (2005 in Salzburg, Edinburgh, Schubertiade Schwarzenberg) wirkte das Kuss Quartett mit. Es konzertierte mit den Bratschern Kim Kashkashian und Yuri Bashmet, dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard oder den Klarinettisten Sharon Kam und Jörg Widmann. Mit letztgenanntem hat es bei der Entstehung von dessen 1. Streichquartett zusammengearbeitet. Enge Zusammenarbeit pflegte es auch mit den Komponisten Helmut Lachenmann und György Kurtág beim Studium von deren Quartettwerken. Mit dem Schauspieler Udo Samel gestaltet das Quartett regelmässig Programme, die Musik und Literatur verbinden. Es sucht neben einem vielfältigen Repertoire auch neue Formen der Präsentation von Musik. So gestaltete es Abende unter dem Titel „Kuss plus“ mit Gästen anderer Kunstsparten in Berlin oder Themenkonzerte in Hamburg. Die erste CD aus dem Jahr 2003 verband Adornos Zwei Stücke mit Schönbergs 1. Quartett, die zweite frühe und späte Werke von Mozart und Mendelssohn. Die Salzburger Nachrichten priesen diese Aufnahmen so: „...souveräne Technik, formidable Transparenz der Stimmführungen, ein intelligent geschulter, im Kern fülliger, in den Details aber stets brillant präsenter Klang und Tonfall ... Klang wird Erlebnis.“
Haydns C-dur-Quartett ist eines seiner eigenwilligsten Quartette. Der Kopfsatz ist relativ ruhig gehalten. Überraschend stellt das Cello das Thema dolce vor. Erst ab Takt 7 wird es von der 1. Geige auf der Dominant-Stufe wiederholt. Dazu spielt jeweils die 2. Geige eine Gegenmelodie, deren Töne sich teilweise mit denen des Themas verbinden. Nach einer kurzen Generalpause geht das Kopfmotiv des Themas auf Tonika-Stufe zur 2. Geige über. Schon dieser Einstieg zeigt, dass es sich um einen kontrapunktisch dichten Satz handelt, man könnte beinahe an eine Fuge denken – doch die spart sich Haydn für das Finale auf. Das Adagio, eher ungewohnt als Capriccio bezeichnet, hat zweiteilige Form, die man auch schon als Rezitativ (Adagio) und (instrumentale) Arie (Cantabile) beschrieben hat. Die Bezeichnung Capriccio, die wir in der Regel mit einem unbeschwerten Musikstück mit allerhand Anspielungen verbinden, meint hier die freie Form und damit die Anspielung auf das Rezitativ-Arie-Schema. Im Forte-Beginn spielen alle Instrumente unisono eine pathetische Introduktion in c-moll, deren Thema das Cello aufnimmt, während die übrigen Stimmen sich in Sechzehntelbewegungen bewegen. Dieser Charakter wird fortgeführt, bis die 1. Violine mit der «Arie» in Es-dur einsetzt. Eine weitere Überraschung bildet der Satzschluss, geht er doch nach einer G-dur-Kadenz attacca ins Menuetto über – auch das eher ungewohnt. Dieses Menuett, nun wieder in C-dur, erinnert mit liegenden Musette-Tönen in beiden Geigen entfernt an Hirtenmusik, das Trio in c-moll mit dem Cellosolo an das Capriccio. Noch mehr überrascht der Schlusssatz: keine pathetische Doppelfuge wie in op. 20/5, sondern ein rasches, die vier Themen dauernd gegeneinander ausspielendes Gebilde, am ehesten als Doppelfuge mit zwei Themen und zwei Gegenthemen zu bezeichnen, sempre sotto voce zu spielen... ja, bis in Takt 129 das Forte der Coda mit rascherer Sechzehntelbewegung einsetzt. Sie mündet in den letzten sieben Takten in ein kräftiges Unisono, das zum C-dur-Schlussakkord führt.
Sechs Jahre waren vergangen, seitdem Haydn das Epochenwerk der Streichquartette, das op. 33, geschrieben und anfang 1782 bei Artaria veröffentlicht hatte. Inzwischen hatte Mozart 1782 bis 1785 seine sechs Haydn gewidmeten Quartette komponiert und sie im Frühjahr Haydn in einer Privataufführung vorspielen lassen. Haydn selbst hatte in dieser Zeit ein einziges Quartett geschrieben (d-moll op. 42). Jetzt scheint für ihn die Zeit reif geworden zu sein, auf Mozart zu reagieren. Bereits 1784 scheint er die neue Serie geplant zu haben, wie ein Brief an Artaria vom 5. April belegt, doch dann ruhte die Sache. Erst am 11. Februar 1787 versprach er dem Verleger die Übersendung eines Quartetts; am 16. September folgte die Sendung des letzten, des fünften. Im Dezember erschienen die Werke mit der von Artaria zugeteilten Opuszahl 50 im Druck. Nur vier Tage nach dem Absenden des letzten Quartetts hatte Haydn, geschäftstüchtig wie er war, die Serie auch einem Londoner Verleger verkauft - was zu einigen Differenzen mit Artaria und mit dem diesem eng verbundenen Londoner Verlag Longman & Borderip führte. Bereits im Mai hatte Haydn den Plan erwogen, die sechs Quartette Friedrich Wilhelm II., seit 1786 König von Preussen zu widmen. Der cellospielende König hatte sich zuvor über die Zusendung von sechs Sinfonien (wohl die Pariser, Nr. 82-87) gefreut und Haydn seine Vorliebe für seine Musik bestätigt. So gibt es auch von Haydn «Preussische Quartette», ohne dass aber darin wie bei Mozart in der Bedeutung des Celloparts auf den Widmungsträger Rücksicht genommen wurde.

Worin liegt nun Haydns Reaktion auf die ihm gewidmeten Quartette Mozarts? Zunächst ist es vor allem die Harmonik, die reicher und kühner wird. Gewisse Modulationen lassen bereits Schubert vorausahnen. Im Melodischen fällt die verstärkte Chromatik auf. Dazu kommen die Intensivierung des Ausdrucks und eine neue Klanglichkeit, die Ausgewogenheit der vier Stimmen und eine Aufwertung der Finali. Aber ebensowenig wie Mozart Haydns op. 33 imitiert hatte, ahmt nun Haydn Mozart nach. Das op. 50 bleibt Haydn durch und durch. Gerade in der relativ konsequenten Monothematik, gut erkennbar im Kopfsatz des 1. Quartetts, geht Haydn eigene Wege. Wohl selten in der Musikgeschichte ist auf so hohem Niveau ein gegenseitiges Geben und Nehmen bei so viel Eigenständigkeit zu beobachten wie bei diesen Quartetten.

Nicht lange nach den sechs Quartetten op. 50 von 1787 liess Haydn diesen eine neue Sechsergruppe folgen; sie wurde allerdings auf zwei Opusnummern aufgeteilt (opp. 54 und 55). Das C-dur Quartett op. 54/2 fällt durch mehrere Eigenheiten und besondere Qualitäten, insbesondere durch den originellen Schlusssatz auf. Welcher Komponist ausser Haydn hätte es damals gewagt, ein Quartett mit einem Adagio zu beenden? Nicht nur dies verleiht dem Werk besondere Bedeutung. Die mit der Bestimmung für den Geiger Johann Tost erklärbare Virtuosität der ersten Violine verbindet sich mit Beschwingtheit, Melodienreichtum, erlesener Feinheit der satztechnischen Arbeit und mit formaler Originalität. Kühne Akzente bestimmen den ersten Satz, der zudem durch neuartige harmonische Gestaltung überrascht. Schon das Hauptthema, welches in der Regel sein C-dur bekräftigen sollte, wechselt gleich nach G-dur, As-dur und a-moll. Das c-moll-Adagio in seiner improvisatorischen Form wird von geradezu meditativem Fortspinnen des musikalischen Gedankens in der ersten Violine bestimmt. Wie in op. 20/2 schliesst das Menuett eher ungewohnt attacca an. Das Trio, wiederum in c-moll, überrascht: Nicht pastorale Heiterkeit oder ein ländlicher Tanz, sondern beklemmende, geradezu schmerzerfüllte Klagen werden laut. Und dann folgt das einmalige Finale. Wer es nicht kennt, glaubt zunächst, eine langsame Einleitung zu hören. Doch dann beginnt die erste Violine ausgiebig eines der schönsten langsamen Themen Haydns zu singen und zu umspielen. Ist das nun der Hauptteil des Satzes? Doch Haydn wäre nicht Haydn, würde er uns nicht weiterhin überraschen. So folgt dann doch noch mit einem federnd leichten Presto der erwartete Finalkehraus – aber auch da täuscht man sich: Der Spass dauert keine Minute, dann kehrt der Gesang des Adagio zurück und lässt das originelle Werk leise ausklingen.