Konzerte Saison 2012-2013

  • 23.10.2012
  • 19.30
  • 87.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Zemlinsky Quartett (Prag)

Das Zemlinsky Quartett hat sich seit seiner Gründung 1994 zu einer festen Grösse in der tschechischen Streichquartetttradition etabliert. In Bordeaux erhielten die vier Musiker aus Prag beim Internationalen Streichquartettwettbewerb 2010 den ersten Preis. Bereits 2005 bekam das Zemlinsky Quartett den Preis der Czech Chamber Music Society. Darauf folgten Auszeichnungen beim Prague Spring International Music Competition, beim Beethoven International Competition, beim Martinů Foundation String Quartet Competition sowie bei den Internationalen Streichquartettwettbewerben in Banff und in London, wo ihm unter anderem der Publikumspreis verliehen wurde. Ausserdem wurde das Ensemble von der Alexander Zemlinsky Foundation mit dem «Alexander Zemlinsky Advancement Award» ausgezeichnet. Mittlerweile konnte das Zemlinsky Quartett auf vielen grossen Bühnen die Zuhörer begeistern. Das über 180 Werke umfassende Repertoire des Zemlinsky Quartetts widmet sich intensiv sowohl dem heimischen Streichquartettschaffen wie auch der neuesten Musik. Seine Ausbildung erhielt das Zemlinsky Quartett nach Studien am Prague Conservatory und der Academy of Performing Arts Prague bei Josef Klusoň (Pražák Quartet) und Walter Levin in Basel. Dort unterrichten die Mitglieder des Zemlinsky Quartetts inzwischen selbst als Assistenten in der Kammermusikklasse. Das Quartett hat bereits viele Aufnahmen für das tschechische Radio gemacht. Die mittlerweile über 20 CDs des Ensembles werden international von den Kritikern gefeiert. Seit 2007 nimmt das Ensemble exklusiv für das französische Label Praga Digitals auf. Die Sammlung mit frühen Werken von Antonín Dvořák wurde mit dem begehrten Preis «Diapason d’Or» ausgezeichnet.
Drei erste Quartette

Erstaunlich, welche Menge und Vielfalt an Klavier- und Kammermusik Beethoven im Jahrzehnt von 1792 bis 1801 komponiert und der Veröffentlichung für würdig erachtet hatte, bevor er dies 1801 auch mit den Streichquartetten op. 18 tat. Die Quartette waren 1798/99 entstanden, als erstes das D-dur-Werk, das heute die Nr. 3 trägt, als zweites, ebenfalls noch 1798, das F-dur-Quartett. Die späteren Nummern 4-6 folgten als letzte der Serie in der Reihenfolge 5, 4, 6 – dann machte sich Beethoven an eine Revision der ersten drei Werke. Das wirkt wie eine geradezu mozartsche «lunga, e laboriosa fatica» in der Auseinandersetzung sowohl mit Haydn als auch mit Mozart – und mit sich selbst. Wie ernst es ihm dabei war, zeigt das F-dur-Quartett. Dessen Überarbeitung nahm Beethoven besonders in Anspruch, schrieb er doch seinem Freund Karl Friedrich Amenda, dem er die Erstfassung von 1798 geschenkt hatte, ein Jahr später: Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgearbeitet habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiss. Offenbar hatte ihn die Komposition der letzten drei Werke vorwärts gebracht. Die drei ersten Quartette kann man teilweise noch der Spielmusik des 18. Jahrhunderts – wenn auch auf höchstem Niveau – zuweisen. Doch gerade das F-dur-Quartett macht einen entscheidenden Schritt über Haydn hinaus, zumindest in den beiden ersten Sätzen, denen die Umarbeitung vor allem galt. Kein Wunder, dass Beethoven es an die erste Stelle des Opus gesetzt hat. Er treibt im Kopfsatz die motivische Arbeit auf die Spitze, beruht dieser doch beinahe ganz auf einem Zweitaktmotiv – Reduktion einer langen Auseinandersetzung auf elf Seiten Skizzen. Das unisono auftretende Hauptmotiv wird in einer Weise verarbeitet, die selbst Haydns Monothematismus in den Schatten stellt. Das Adagio in d-moll soll, wie Amenda weiss, von der Grabszene aus «Romeo und Julia» inspiriert sein, eine ganz neuartig dramatisch-expressive Szene. Das synkopierte Scherzo und das Finale mit seinen Sechzehnteltriolen leben – noch in der Tradition Haydns – von Bewegung und Spielfreude. Während das Scherzo geradezu Verwirrung stiftet, setzt das Finale auf Spiel und Charme.

Für dieses Jahr hat Jean-Jacques Dünki den Auftrag der Kammermusik Basel im Rahmen von «Basler Komponisten im Fokus» für ein Streichquartett erhalten – und er hat dabei sein erstes Quartett geschrieben. Es dauert rund 18 Minuten. Der Komponist beschreibt sich so: J.-J. Dünki, in Aarau geboren, studierte an der Musikakademie Basel Klavier bei Rolf Mäser, später in Berlin, London, New York und Baltimore u. a. mit Leon Fleisher und Charles Rosen. Er besuchte Klavierkurse mit Maurizio Pollini, Claude Helffer, Edith Picht-Axenfeld, und studierte Dirigieren mit Michael Gielen, historische Aufführungspraxis mit Nikolaus Harnoncourt, hörte musikwissenschaftliche Vorlesungen bei Carl Dahlhaus in Berlin und Max Haas in Basel, musikalische Analyse mit Hans Keller in London. Als Komponist ist er weitgehend Autodidakt. 1981 erhielt er den Arnold-Schönberg-Preis in Rotterdam. Heute hat Dünki eine weitgespannte Tätigkeit als Komponist, Solist und Kammermusiker, ist Gast an Festivals wie Berlin, Graz, Donaueschingen oder Genf. Seit 1984 leitet er an der Musikakademie Basel eine Klasse für Klavier und Kammermusik und gibt regelmässig Kurse in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, England, USA und Japan. In jüngerer Zeit wandte er sich auch dem Hammerklavier und Clavichord zu.

Zu seiner Komposition schreibt er:

Sieben Fabeln der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit inspirierten mein Werk. Auf verschiedenste Weisen vertont, bilden sie ein zerrissenes Ganzes. Meine Musik fragt und sucht ihren Weg quer durch die Musikhistorie – informiert, doch selten treu. Ob ich meinen Zuhörer(inne)n zumuten darf, die oft entlegenen Bruchstücke zusammenzufügen?

Die erwähnten sieben Fabeln beruhen auf folgenden vom Komponisten ausgewählten Texten:

«Madama Morte, Madama Morte.»

«Aspetta che sia l’ora, e verrò senza che tu mi chiami.»

«Madama Morte.»

«Vattene col diavolo. Verrò quando tu non vorrai.»

«Come se io non fossi immortale.»

«Immortale?» .....

«Io sono la Moda, tua sorella.»

«Mia sorella?»

«Sì: non ti ricordi che tutte e due siamo nate dalla Caducità?»

(Giacomo Leopardi, DIALOGO DELLA MODA E DELLA MORTE)

Frau Mode und Frau Tod entdecken, dass sie Schwestern sind; ihre Mutter ist die Vergänglichkeit (auch Hinfälligkeit, oder Vergeblichkeit).

Dame, qui n’avez pité de vostre amant

qu’ocie en désirant vostre amitié

Dame, vo pure biauté ....

(Guillaume de Machaut, PLUS DURE)

Ein Liebhaber klagt seiner angebeteten Dame, er stürbe in Liebessehnsucht nach ihr.

Eile nicht, Wanderer,

bete für mich,

bald wird ein anderer,

wenn Du liegst, wo ich,

beten für Dich.

(SPRUCH AN EINER GRABKAPELLE in Burg im Leimental)

Al pié de la gran Croce, in cui languiva

Vicino a morte il buon Gesù spirante,

Scapigliata così pianger s’udiva

La sua fedele addolorata Amante .....

Come, morendo tu, viver poss’io? ....

(Girolamo Frescobaldi, AL PIÉ)

Maria Magdalena weint um ihren sterbenden Geliebten Jesus am Kreuz. «Wie kann ich leben, wenn Du stirbst?» … «Mit Dir will ich Tod und Leben teilen.»

Rappelez-vous l’objet que nous vîmes, mon âme,

Ce beau matin d’été si doux:

Au détour d’un sentier une charogne infâme ....

Oui! telle vous serez, ô la reine des grâces,

Après les derniers sacrements.

Quand vous irez, sous l’herbe et les floraisons grasses,

Moisir parmi les ossements,

Alors, ô ma beauté! dites à la vermine

qui vous mangera de baisers,

Que j’ai gardé la forme et l’essence divine

De mes amours décomposés!

(Charles Baudelaire, UNE CHAROGNE)

Am Wegrand liegt ein zerfallendes Aas. Der Dichter, auf einem Spaziergang mit seiner Angebeteten, entwirft dazu Fantasien über die Unsterblichkeit.

«Ich würde ganz gern – warum denn nicht? – einen Ausflug mit einer Gesellschaft von lauter Niemand machen. Natürlich ins Gebirge, wohin denn sonst? .....Wir gehen so lala, der Wind fährt durch die Lücken, die wir und unsere Gliedmassen offen lassen. Die Hälse werden im Gebirge frei! Es ist ein Wunder, dass wir nicht singen.»

(Franz Kafka, DER AUSFLUG INS GEBIRGE)

Sempre caro mi fu quest’ermo colle,

E questa siepe, che da tanta parte

Dell’ultimo orizzonte il guardo esclude.

Ma sedendo e mirando, interminati

Spazi di là da quella, e sovrumani

Silenzi, e profondissima quiete

Io nel pensier mi fingo; ove per poco

ll cor non si spaura. E come il vento

Odo stormir tra queste piante, io quello

Infinito silenzio a questa voce

Vo comparando: e mi sovvien l’eterno

E le morti stagioni, e la presente

E viva, e il suon di lei. Così tra questa

Immensità s’annega il pensier mio:

E il naufragar m’è dolce in questo mare.

(Giacomo Leopardi, L’INFINITO)

«In dieser Unermesslichkeit ertrinkt mein Gedanke; süss ist mir der Schiffbruch in diesem Meere.»

Alexander (von) Zemlinskys katholischer Grossvater Anton Semlinsky stammte aus dem damaligen Ungarn und war nach Wien gezogen. Der 1845 geborene Vater, schrieb sich ungarisierend Zemlinszky und fügte dem Namen ein kaum berechtigtes «von» hinzu (das sein Sohn ab 1906 nur noch als Dirigent benutzte), trat aus der katholischen Kirche aus, heiratete eine jüdische Frau und wurde Mitglied der Sephardischen Gemeinde Wiens. Mit vier Jahren erhielt Alexander, der jüdisch erzogen wurde, ersten Klavierunterricht; in der Synagoge sang er im Chor, spielte später die Orgel und assistierte bei den Proben. Dreizehnjährig trat er 1884 ins Konservatorium Wien ein. Wie vor ihm Hugo Wolf war er Schüler von Robert Fuchs und Franz Krenn. Seit 1891 trat er mit Kompositionen hervor, die ihm erste Erfolge einbrachten. Später unterrichtete er Arnold Schönberg, der durch die Heirat mit Zemlinskys jüngerer Schwester Mathilde sein Schwager wurde. Zemlinsky gehört zu jenen Komponisten, denen trotz bedeutenden Werken der grosse Durchbruch versagt blieb, während er als Dirigent grosses Ansehen genoss. Nach 1933 wurden die Probleme immer grösser, erst recht nach der Flucht 1938 in die USA, wo er 1942 krank starb. In Europa blieb er bis zur Wiederentdeckung in den 1970er Jahren vergessen. Heute wird er wieder aufgeführt (Opern, Lyrische Sinfonie, Kammermusik) und geschätzt. Zemlinsky hat fünf Streichquartette komponiert und drei davon veröffentlicht. Das letzte, ein Nachruf auf Alban Berg in Anlehnung an dessen Lyrische Suite, kam postum in den 1970er Jahren heraus, ein Studienwerk von 1893 wurde erst 1998 aufgeführt. Nach dem Klarinettentrio von 1896, einem unter dem Eindruck von Brahms, den Zemlinsky noch persönlich kennen lernte, stehenden Werk, entstand ebenfalls 1896 das offiziell 1. Streichquartett. Auch hier ist Brahms, in dessen Todesjahr es in einem Konzert des Tonkünstlervereins aufgeführt wurde, noch spürbar. Doch unter der scheinbar eindeutigen stilistischen Oberfläche werden Risse, ja Verweigerungen gegenüber dem Vorbild spürbar. Dies ist im Kopfsatz der Fall, der in seinem Umgang mit dem Material und der Form an Schuberts Auseinandersetzung mit den klassischen Prinzipien erinnert. Der 2. Satz ersetzt – Muster ist der 3. Satz von Brahms’ 2. Symphonie – das Scherzo durch eine Art Intermezzo, wenn auch in sehr persönlicher Weise. Es «schielt» nach Hugo Wolf und im Furiant des Alternativo nach Böhmen. Dem festlichen langsamen Satz mit durchaus beethovenscher Expressivität schliesst sich ein schwungvolles Finale in scheinbarer Brahmsmanier an. Doch auch hier ist mehr Innovation zu entdecken, als die Klassizität der Oberfläche zunächst zuzulassen scheint.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 1, F-dur, op. 18, Nr. 1 (1798/1800)
Allegro con brio
Adagio affetuoso ed appassionato
Scherzo: Allegro molto – Trio
Allegro

Jean-Jacques Dünki 1948-

«MADRIGAUX» pour quatuor à cordes (2011/12)
Introduzione: «immortale?»
Intermezzo: «al pié»
Adagio: «clave»
Capriccio: «caducità»
Finale: «naufragar»

Alexander von Zemlinsky 1871-1942

Streichquartett Nr. 1, A-dur, op. 4 (1896)
Allegro con fuoco
Allegretto
Breit und kräftig
Vivace con fuoco