Konzerte Saison 1942-1943

  • 19.1.1943
  • 20:00
  • 17.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Berner Streichquartett (Bern)

Das Opus 59 ist offensichtlich als Zyklus konzipiert. Zu dessen für das damalige Publikum schwierigen Zügen hat sicher der sinfonische Tonfall beigetragen, zu dem, angeregt durch die Qualitäten des Schuppanzigh-Quartetts, weitere Elemente wie spieltechnische Ansprüche, die Harmonik und die Rhythmik hinzutreten. Im Gegensatz zum F-dur-Quartett (Nr. 1) bleibt das zweite der Rasumowsky-Quartette stärker der Tradition verpflichtet. Es wirkt wie die Antithese zum kühnen ersten – das dritte in C-dur würde dann die Synthese bilden. Auf den düsteren Kopfsatz, einen Vorgriff auf op. 95 in f-moll, folgt ein zunächst scheinbar lichter Adagio-Choral – Czerny berichtet, er sei Beethoven beim Anblick des Sternenhimmels eingefallen. Durch Beifügen von Gegenstimmen und rhythmischen Kontrapunkten löst sich der Choral-Charakter immer mehr auf. Im fünfteiligen rhythmisch pointierten Scherzo fällt im Trio das aus Mussorgskys Boris Godunow bekannte Thème russe ins Ohr. Beethoven fand es in einer Sammlung russischer Volkslieder von Iwan Pratsch, die erstmals 1790 in St. Petersburg erschienen war. Das Finale weist, nicht nur mit dem Beginn in C-dur, auf das dritte Quartett, die Synthese des Opus, voraus.
Mozart hat nach der lunga, e laboriosa fatica der «Haydn-Quartette» nur noch einmal zu einem Zyklus von sechs Quartetten angesetzt. Voller Hoffnung wollte er sie für Seine Mayestätt dem König in Preussen schreiben, doch wurde der Plan nie Wirklichkeit. Die Widmung kam nicht zustande, und es blieb bei drei Quartetten. Am 12. Juni 1790, wohl kurz nach Vollendung von KV 590, schrieb Mozart an Puchberg: Nun bin ich gezwungen meine Quartetten (diese mühsame Arbeit) um ein Spottgeld herzugeben, nur um in meinen Umständen Geld in die Hände zu bekommen. Daraus ist zu entnehmen, dass Mozart die Komposition von Quartetten generell schwer fiel, er also nicht einmal in Geldnot noch rasch eine Sechserfolge komplettieren konnte, obwohl die drei «Preussischen» einfacher sind als die «Haydn-Quartette». Das Werk gipfelt nach einem durch seine ungeraden Taktperioden spannenden Menuett in einem Finale, das wie eine Huldigung an Haydn wirkt. Es geht aber in seiner kühnen Kontrapunktik und im schroffen Nebeneinander der Tonarten über jenen hinaus.
Ravels Vorbilder waren, neben Mozart und Schubert, natürlich französische Komponisten wie Debussy, dessen Quartett für ihn – wenn auch nur partiell – eine Anregung war, oder Fauré, dem er sein eigenes widmete («A mon cher maître Gabriel Fauré»). Die Musik der erwähnten französischen Komponisten wirkt mit ihrer Eleganz, Transparenz und Klanglichkeit. So steht auch bei Ravels Quartett nicht Bedeutungsschwere im Vordergrund, doch zeigt es bei aller Farbigkeit und rhythmischen Vielfalt eine aristokratische Disziplin und Zurückhaltung, ja Zartheit, und verbindet so das Bedeutende mit dem Leichten, das Vornehme mit dem Spielerischen. Heute werden die Quartette Debussys und Ravels gerne nahe zusammen gesehen, nicht zuletzt wegen ihrer häufigen Koppelung auf CDs. Dadurch überhört man oft Ravels Personalstil und seine eigenständige Klangsprache. Ravel selber empfand sein erstes bedeutendes Kammermusikwerk als Abschluss der Studienzeit. In seiner Selbstbiographie schrieb er 1928: «Mein Quartett in f entspricht dem Wunsch nach musikalischer Konstruktion, der zweifellos unzulänglich realisiert ist, aber viel klarer erscheint als in meinen vorhergegangenen Kompositionen.» Diese zurückhaltende Einschätzung überrascht bei einem von Ravels besten Werken.

Die Entstehung des Quartetts dauerte von Dezember 1902 (Sätze 1 und 2) bis April 1903 (Sätze 3 und 4). Dann musste Ravel fast ein Jahr auf die Uraufführung warten. Sie fand am 5. März 1904 in Paris statt und rief verschiedene, teilweise heftige Reaktionen hervor: Debussy war begeistert und schrieb an Ravel: «Au nom des dieux de la Musique et au mien, ne changez rien à votre Quatuor!» Der Widmungsträger Fauré fand einiges zu kritisieren, und die Klassizisten, die den Rom-Preis zu vergeben hatten, konnten nichts damit anfangen (was wohl der beste Beweis für die Qualität und Eigenständigkeit des Werks ist): Sie schlossen Ravel 1905 von der Teilnahme am Rompreis-Wettbewerb aus – angeblich, weil er zu alt war. Das hatte Konsequenzen: Direktor Dubois wurde entlassen, und Fauré sein Nachfolger.

Ravel hielt sich zwar in Einzelheiten an Debussy (so haben etwa beide Scherzi fast die gleichen Vortragsvorschriften), und doch ist ein eigenes Werk entstanden, besonders in der Ableitung der meisten Gedanken aus den Themen des 1. Satzes und in der Wiederaufnahme früherer Motive, vor allem im 3. und 4. Satz. Eigenständig ist auch die Klanglichkeit, etwa im 3. Satz, der mit seinen Tempo- und Tonartenwechseln rhapsodischen Charakter aufweist. Besondere Klänge werden durch spezielle Spielweise, nicht zuletzt in hohen Lagen, bewirkt. Im Finale, das auf einem chromatischen Fünftonmotiv beruht, lässt Ravel, Sohn einer Baskin, die baskische Tanzrhythmik des «Zortzico» anklingen (Abwechslung von Fünfer- und Dreiertakt), allerdings in variierter Form.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 8, e-moll, op. 59, Nr. 2 «2. Rasumovsky-Quartett» (1806)
Allegro
Molto adagio
Allegretto - Maggiore (Thème russe)
Finale: Presto

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 22, B-dur, KV 589 (1790)
Allegro
Larghetto
Menuetto: Moderato – Trio
Allegro assai

Maurice Ravel 1875-1937

Streichquartett, F-dur (1902/03)
Allegro moderato, Très doux
Assez vif, Très rythmé – Lent – 1º Tempo
Très lent
Vif et agité