Konzerte Saison 1956-1957

  • 30.10.1956
  • 20:15
  • 31.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Végh-Quartett (Budapest/Basel)

in Budapest bis mindestens 1949
Haydns sechs Quartette des Opus 20 entstammen dem gleichen Jahr 1772 wie die Abschiedssinfonie; man hat es auch schon als annus mirabilis bezeichnet. Die gelegentlich wegen des Titelbilds der Berliner Ausgabe Hummels von 1779 als «Sonnenquartette» bezeichneten Werke bringen gegenüber dem im Vorjahr entstandenen Opus 17 «in krisenhafter Zuspitzung und Überspitzung» Neuartiges: «die Gewichtsverlagerung auf das Finale (3 der Werke haben Fugen zu Schlusssätzen), die Steigerung der Affektsprache bis ins Bizarre, die Intensivierung der thematischen Arbeit und der Kontraste innerhalb der Sätze, die Erweiterung der Dimensionen bei gleichzeitiger Intensivierung des Details». Das A-dur-Quartett, nimmt, vor allem wegen des kapriziösen Charakters des 6/8-Kopfsatzes, die Rolle des leichtgewichtigen Stückes ein. Das Adagio erhält durch die Schönheit seiner lieblichen Melodik ernsthafte Züge. Das Menuett steht dem Ton des Kopfsatzes näher; im Trio nimmt Haydn, indem er die 2. Violine pausieren lässt, das Stück beim Wort. Von den drei Fugenthemen «ist nur das 1. Thema ganz individualisiert und im Tonfall finalehaft munter; das 2. ist ein konventioneller Kontrapunkt und das 3. eine Begleitfigur» (Zitate: L. Finscher).
Beethovens letzte vollendete vollständige Komposition ist das Quartett op. 135. Es entstand im Sommer und im Frühherbst 1826 in zwei Schaffensphasen. Nach den drei monumentalen Werken op. 130, 131 und 132 wirkt es wie eine Rückkehr zu Tradition und Gewohntem, gerade auch in der Rückkehr zur traditionellen Viersätzigkeit. Man glaubt sich, wie bei der 8. Sinfonie (1809 bis 1812), ebenfalls in F-dur, zeitweise, wenn auch nur scheinbar, in Haydns Welt zurückversetzt. Trotz der grösseren Zugänglichkeit und trotz der Kürze ist op. 135 ein echtes spätes Beethoven-Quartett mit überraschenden Brüchen und Wechseln. Schon der Beginn des Sonatensatzes mit dem kurzen Bratschenmotiv, auf welches die anderen Instrumente reagieren, ist raffiniert, wirkt aber natürlich und leicht. Das wieder von fünf auf drei Teile reduzierte Scherzo ist wohl der modernste Satz. Höhepunkt des Werkes ist das nur 54 Takte lange Lento assai in Des-dur. Erst mit der Zeit wird einem bewusst, dass es sich um einen Variationensatz mit vier bezeichnenderweise nicht speziell gekennzeichneten Variationen über ein zehntaktiges Thema handelt. Ein wahrer Abgesang, der in der Stimmung, vor allem in der Schlussvariation mit dem Verklingen im pianissimo zu den Schlüssen langsamer Bruckner-Sätze (8. oder 9. Sinfonie) hinführt. Beethoven hat offenbar zunächst nur drei Sätze geplant, sich aber vom Verleger Schlesinger zu vier «verführen» lassen. Hat nicht da das rätselhafte «Muss es sein?» und die Allegro-Antwort «Es muss sein!» der damals ungewohnten Einleitung zum Finale seine Ursache? Dass sich Beethoven hier einen Scherz erlaubt hat, ist wenig wahrscheinlich. Man hat behauptet, der nachkomponierte Satz sei das Lento – dann aber wäre ein Zusammenhang mit dem «Muss es sein?» unmöglich. Peter Gülke (vgl. Konzertvorschau 11. März 2013) plädiert dafür, es sei der 4. Satz gewesen – und in diesem Fall wäre die Einleitung genial und erst noch biographisch wie musikalisch begründet. Das Motiv der Frage (Muss es sein?) und die Antwort (Es muss sein!) stehen sich konträr gegenüber: Zuerst folgt auf eine fallende Terz eine aufsteigende Quart, in der Antwort ist es umgekehrt. Auch rhythmisch und im Tempo ist das Motiv, dem Sprachlichen angeglichen, verändert: Frage (Grave) lang – kurz – lang, Antwort (Allegro alla breve) kurz – lang – lang. Aus der Antwortversion des Motivs entwickelt Beethoven den Gang des Allegro; sie ist bis zum Schluss bestimmend, auch wenn die Frageversion nochmals auftaucht. Gülke verweist auf einen Parallelfall: Hatte nicht bei der letzten Klaviersonate op. 111 (1821/22) der gleiche Verleger nach der Arietta (Adagio molto) mit ihren allerdings umfangreicheren Variationen ein Finale erwartet, dort aber nicht erhalten? Warum aber Beethoven beim letzten Quartett dem Drängen Schlesingers nachgegeben hat, ist kein Rätsel – der Grund war das Geld!
Schumanns Quartette stammen (frühere Pläne 1838 und 1839) aus dem Kammermusikjahr 1842. Im März hatte Schumann der auf Konzertreise befindlichen Clara geklagt, dass er fast nur Kontrapunkt und Fugen studiere. Nach ihrer Rückkehr änderte sich dies rasch: Innerhalb von knapp zwei Monaten entstehen die drei Quartette op. 41, das erste vom 2. bis 8. Juni (kurz danach überarbeitet). Schumann setzt sich kaum mit dem Vorbild Beethoven, sondern mit den Quartetten des Widmungsträgers Mendelssohn auseinander. Im Kopfsatz steht nur die Einleitung in a-moll, das Allegro dagegen in F-dur. Das Scherzo, dessen nicht speziell bezeichnetes, dem Scherzo ähnliches Trio die Paralleltonart C-dur aufweist, und das Finale nehmen a-moll wieder auf, für das Adagio wurde F-dur gewählt. In ihm mag man im kantablen Thema Anklänge an den langsamen Satz der 9. Sinfonie Beethovens heraushören. Das heitere Finale lässt an Haydn denken, doch tragen hier die erwähnten Kontrapunktstudien Früchte. Wer will, kann am Ende der Durchführung eine Anspielung auf das Motto von Beethovens op. 130 bis 132 erkennen. Der Widmungsträger kommt zum Zuge, wenn vor Beginn der Coda Schottisches anklingt, war doch dessen «Schottische Sinfonie» kurz zuvor in Leipzig uraufgeführt worden.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 36, A-dur, op. 20, Nr. 6, Hob. III:36 (1772)
Allegro di molto e scherzando
Adagio
Menuet: Allegro – Trio
Finale: Fuga a 3 Soggetti (Allegro)

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 16, F-dur, op. 135 (1826)
Allegretto
Vivace
Lento assai e cantante tranquillo
Der schwer gefasste Entschluss: «Muss es sein?» Grave, ma non troppo tratto –
«Es muss sein!» Allegro

Robert Schumann 1810-1856

Streichquartett Nr. 1, a-moll, op. 41, Nr. 1 (1842)
Introduzione: Andante espressivo – Allegro
Scherzo: Presto – Intermezzo
Adagio
Presto