Konzerte Saison 1959-1960

  • 23.2.1960
  • 20:15
  • 34.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Ungarisches Streichquartett

Das F-dur-Werk op. 77/2 ist Haydns letztes vollendetes Streichquartett, obwohl auch das Opus 77 als Sechser- oder zumindest Dreierserie geplant war. Es ist dem Fürsten Lobkowitz, dem Förderer Beethovens und anderer Musiker, gewidmet und wurde zusammen mit dem Schwesterwerk in G-dur am 13. Oktober 1799 (also fast auf den Tag genau vor 204 Jahren!) im Palais des Fürsten Esterházy in Eisenstadt erstmals aufgeführt. Wenn Donald Tovey das Quartett als „vielleicht Haydns grösstes Instrumentalwerk neben zwei der letzten Sinfonien“ bezeichnet hat, so hatte er die thematische Arbeit im Auge, die in der Durchführung des Kopfsatzes einen Höhe-punkt findet. Es ist erstaunlich, wie Haydn den ganzen Satz aus den Motiven des Hauptthemas entwickelt. Als ob er diese „Schwerarbeit“ mildern wollte, vereinfacht er die Reprise gegenüber der Exposition. Das Menuett, ein Scherzo, lässt an Beethovens gleichzeitig entstehendes und ebenfalls Lobkowitz gewidmetes op. 18 denken. Das D-dur-Andante ist ein Variationensatz - und was für einer! Das Marschthema mit dynamischer Steigerung erfährt figurale Umspielungen und wird durch freie Zwischenspiele weitergeführt. Der Satz endet nicht mit einer raschen Steigerung des Themas, sondern verklingt ernst im pianissimo. Das Finale weist drei Themen auf; sie sind aber wieder aus einem entwickelt. Sie sind rhythmisch prägnant; eines ist sogar à la polacca bezeichnet. Kontrapunktik und Schwung verbinden sich so zu stets überraschender Wirkung.
Auch Bartóks 5. Quartett ist mit den USA verbunden. Es entstand sechs Jahre nach dem vierten als Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge (1864-1953) in nur vier Wochen im August/September des Jahres 1934. Für Bartók, der oft lange um ein Werk rang, ist das auffallend kurz. Auf Wunsch der Auftraggeberin spielte das Kolisch Quartett, zugleich Widmungsträger, die Uraufführung am 8. April 1935 in Washington. Mit dem 4. Quartett hat es die äussere Form – man hat sie Bogen- oder Brückenform genannt – gemeinsam: Vier Sätze legen sich, was Tempo, Charakter, Dauer und weitere Gesichtspunkte betrifft, symmetrisch um einen zentralen Satz herum. Beim Vorgänger war das ein langsames Stück (Non troppo lento), um das zwei Scherzi stehen; beide Aussensätze hatten ein rasches Tempo. Im 5. Quartett geht Bartók punkto Symmetrieachse noch etwas weiter, wird diese doch vom Trio (Vivacissimo) eines Scherzos in der Mitte des ganzen Werks gebildet. Dieser Mittelsatz ist kein rein heiteres oder heftiges Scherzo, sondern wirkt gelegentlich geradezu verspielt. Ebenso wenig bilden, wie die Bezeichnung alla bulgarese andeuten könnte, bulgarische Melodien das Material. Bartók bezieht die Bezeichnung auf die Rhythmik mit ungleichmässigen, ständig wechselnden Metren. Im con sordino zu spielenden Trio etwa ist die Taktform mit 3+2+2+3/8 angegeben. Auch die übrigen Sätze nehmen die Bogenform auf, einerseits im Rückgriff auf den «Spiegelsatz», andererseits auch im Satzinnern. So treten im Kopfsatz in Sonatenform mit drei Themen in der Reprise die Teile rückläufig auf. Seine Themen werden im Schlusssatz wieder aufgegriffen und verarbeitet. In dessen Mittelteil steht eine Fuge. Die beiden den Mittelsatz rahmenden langsamen Sätze hängen insofern zusammen, als das Andante das Thema des Adagio frei aufnimmt und weiterentwickelt, wie auch im Scherzo die Reprise eine Variante des ersten Teils ist. Kommt dazu, dass das Werk Elemente der ‚klassisch-ernsten’ Musik und der Volksmusik harmonisch verbindet. Auch wenn, vor allem im ersten Satz, das Heftige nicht zu kurz kommt, wirkt das Stück eher heiter und transparent.

Das Opus 59 ist offensichtlich als Zyklus konzipiert. Zu dessen für das damalige Publikum schwierigen Zügen hat sicher der sinfonische Tonfall beigetragen, zu dem, angeregt durch die Qualitäten des Schuppanzigh-Quartetts, weitere Elemente wie spieltechnische Ansprüche, die Harmonik und die Rhythmik hinzutreten. Im Gegensatz zum F-dur-Quartett (Nr. 1) bleibt das zweite der Rasumowsky-Quartette stärker der Tradition verpflichtet. Es wirkt wie die Antithese zum kühnen ersten – das dritte in C-dur würde dann die Synthese bilden. Auf den düsteren Kopfsatz, einen Vorgriff auf op. 95 in f-moll, folgt ein zunächst scheinbar lichter Adagio-Choral – Czerny berichtet, er sei Beethoven beim Anblick des Sternenhimmels eingefallen. Durch Beifügen von Gegenstimmen und rhythmischen Kontrapunkten löst sich der Choral-Charakter immer mehr auf. Im fünfteiligen rhythmisch pointierten Scherzo fällt im Trio das aus Mussorgskys Boris Godunow bekannte Thème russe ins Ohr. Beethoven fand es in einer Sammlung russischer Volkslieder von Iwan Pratsch, die erstmals 1790 in St. Petersburg erschienen war. Das Finale weist, nicht nur mit dem Beginn in C-dur, auf das dritte Quartett, die Synthese des Opus, voraus.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 82, F-dur, op. 77, Nr. 2, Hob. III:82 (1799)
Allegro moderato
Menuetto: Presto (ma non troppo) – Trio
Andante
Finale: Vivace assai

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 5, Sz 102 (1934)
Allegro
Adagio molto
Scherzo: Alla bulgarese
Andante
Finale: Allegro vivace – Presto

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 8, e-moll, op. 59, Nr. 2 «2. Rasumovsky-Quartett» (1806)
Allegro
Molto adagio
Allegretto - Maggiore (Thème russe)
Finale: Presto