Konzerte Saison 1929-1930

  • 28.1.1930
  • 20:15
  • 4.Saison
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Direktübertragung durch Radio Basel

Basler Streichquartett [1926-1947] (Basel) Oskar Gerstner, Klarinette

Mit dem Opus 59 beginnt das moderne Streichquartett. Hatten das erste und etwas weniger das zweite Quartett damals schockierend gewirkt, so erscheint das dritte weniger gewagt. Die Allgemeine Musikalische Zeitung von 1806/07 bezeichnete es als „allgemeinfasslich“. Es ist das kürzeste und konzentrierteste der drei Schwesterwerke und bildet gleichsam die Synthese der beiden vorangegangenen Werke. Gleichwohl zeigt es die modernen Errungenschaften der Quartettkomposition. Mag die Wiederaufnahme einer langsamen Einleitung zunächst als Rückgriff auf die Tradition erscheinen, so bildet gemäss A. Werner-Jensen die Art, wie dies hier geschieht, mehr einen Traditionsbruch als eine Fortführung gewohnter Formen. Erstaunlich ist zudem, dass nach dieser Einleitung am Beginn des Allegro noch eine weitere folgt. Das Hauptthema kommt erst später nach einer überleitenden Violinkadenz mit einem C-dur-Akkord zum Zug. Die Durchführung verwendet nicht nur die drei Gedanken der Exposition, sondern auch die Septakkorde der Einleitung und die Violinkadenz. Im Gegensatz zu den beiden ersten Quartetten zitiert Beethoven in diesem Werk kein thème russe, doch klingt das Thema des Andante (a-moll) irgendwie russisch. Das als grazioso bezeichnete Menuett wirkt wie ein Spiel mit vergangenen Formen; dafür fährt das Trio in F-dur energisch dazwischen. Nach diesen zahlreichen Eigenheiten überrascht auch das virtuose, attacca an das Menuett anschliessende Finale, eine Verbindung von Sonatensatz und Fuge. Gerade diese nicht regelkonforme Fuge hat es in sich und hat Beethoven nicht wenig Kritik eingetragen, beweist aber auch die Kühnheit und Modernität dieses heute so klassisch wirkenden Werkes. Mit der „Grossen Fuge“ am Ende von op. 130 wird Beethoven auf viel gewagtere Weise im Spätwerk auf eine solche „unregelmässige“ Fuge (tantôt libre, tantôt recherchée) zurückgreifen. Die drei Werke des Opus 59 sind in der Reihenfolge der Nummerierung entstanden, das C-dur-Quartett ist also tatsächlich das Abschlussstück. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die zyklische Gestaltung der Werkgruppe.
Bei der Klarinette haben oft hervorragende Spieler bedeutende Werke für dieses Instrument angeregt. War für Weber der Inspirator Heinrich Baermann, für Brahms Richard Mühlfeld, so für Mozart Anton Stadler (1753–1812). Dieser war wohl auch an der Weiterentwicklung des Instruments beteiligt. Ihm und dem Instrumentenbauer Theodor Lotz ist die Bassettklarinette zuzuschreiben, für welche Mozart das Quintett und das Konzert, beide in A-dur, geschrieben hat. Es handelt sich um ein Instrument, das unterhalb des A-Klarinettenumfangs weitere Töne (bis zum geschriebenen C bzw. klingenden A) produzieren kann. Es gibt im Quintett Stellen, bei denen der für A-Klarinette überlieferte Stimmenverlauf auf der Bassettklarinette besser zur Geltung kommt (z.B. in Takt 40f. des Allegro). Stadler hat weitere Werke Mozarts zur Aufführung gebracht, so Teile der Gran Partita, im Rahmen der Freimaurer-Loge Trios für Klarinetten bzw. Bassetthörner, welche als die Logeninstrumente galten (5 Divertimenti KV 439b / Adagio KV 411) und die beiden solistisch begleiteten Arien aus La clemenza di Tito. Mozart war mit Stadler eng befreundet. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Prag – nicht der berühmten, die fand im September darauf statt – im Januar 1787 erhielt Stadler von Mozart, der wieder einmal seiner sprachlichen Phantasie keine Grenzen setzte, den gewiss ehrenden Beinamen Nàtschibinìtschibi. Wer will es Stadler angesichts der Meisterwerke, die er angeregt hat, heute verübeln, dass er wie bei Lotz auch bei Mozart nach dessen Tod Schulden von 500 Gulden hatte und zudem – eine ominöse Geschichte – offenbar einen Koffer unter anderem mit Noten von Mozart-Werken, darunter vielleicht die Bassettklarinettenstimme des Quintetts, versetzt hat. Mozart vollendete das Werk, das er öfters als «des Stadler’s Quintett» bezeichnete, während der Arbeit an Così fan tutte am 29. September 1789. Die erste Aufführung fand drei Monate später in Wien statt. Der auf drei Themen aufgebaute Kopfsatz verbindet, wie das ganze Werk, die fünf Instrumente in bewundernswerter Weise so, dass keines hervorsticht. Wenn eines die Führung übernimmt, folgt alsobald die Ablösung. Im Larghetto (D-dur, in dreiteiliger Liedform) übernimmt die Klarinette mit dem Gesangsthema unüberhörbar die Führung; sie wird später von der 1. Violine in dessen Entfaltung unterstützt. Das Menuett weist zwei Trios auf. Im ersten (a-moll) schweigt die Klarinette wie schon während einiger Takte im Menuett, als habe Mozart dem Spieler Zeit zum Verschnaufen geben wollen. Umso deutlicher darf sie im zweiten Trio in A-dur die Hauptrolle übernehmen, als ob sie zum Walzer aufspielen möchte. Im Schlusssatz wird ein sechzehntaktiges heiter-beschwingtes Thema sechsmal variiert. Während zuvor die Aufgaben der Stimmen ausgeglichen waren, darf sich in der 3., der Moll-Variation (a-moll) die Bratsche gesanglich entfalten. Die 4. Variation lässt der Virtuosität von Klarinette und 1. Violine freien Lauf, bevor in der folgenden das Tempo zurückgenommen wird (Adagio), gleichsam als Ruhepol vor dem Schluss-Allegro. Angesichts der Bläserbeteiligung, der zwei Trios im Menuett und des Variationssatzes könnte man versucht sein, das Werk als Serenade oder Divertimento einzustufen. Aber Mozart gelingt auch mit diesen Elementen ein vollendetes Kammermusikwerk höchsten Ranges.
Das Londoner Publikum, welches Haydns D-dur-Quartett op. 64/5 in einem Konzert Salomons der Saison 1791 zu hören bekam, hat in der nach sieben Takten staccato-Vorspann der übrigen Instrumente einsetzenden Melodie der 1. Violine den Gesang einer Lerche gehört, was dem Quartett den Beinamen «The Lark» bescherte. Da sich dieses Thema kaum verarbeiten lässt, kehrt es im ganzen Satz weitgehend unverändert wieder und hat dadurch einen besonderen Erkennungs- und Beliebtheitswert. Die thematische Arbeit übernehmen stattdessen Triolenfiguren. Ein sangliches Thema der 1. Violine bestimmt das Adagio in A-dur in dreiteiliger Liedform (A – B – A’). Bereits der A-Teil ist in drei Abschnitte gegliedert; der B-Teil steht in a-moll. Das Menuet (wie Haydn jetzt wieder schreibt) ist, was insbesondere den Vorschlagsnoten zuzuschreiben ist, einem Scherzo angenähert. Am Beginn des Trios in d-moll nimmt die 2. Geige eine Tonreihe des Menuett-Themas auf, die im Bass auch dessen Schluss gebildet hatte. Das Finale kann man als Perpetuum mobile charakterisieren. Die Sechzehntelfigurationen, von der 1. Violine eingeführt und im ganzen ersten Abschnitt von ihr gespielt, werden ausser einmal nie unterbrochen. Wo sie nicht die 1. Geige ausführt, übernehmen die anderen Instrumente. Und die Ausnahme? Kurz vor Schluss unterbrechen Achtelakkorde in zweieinhalb Takten die Bewegung. 1801 erwähnte ein Bericht «eines der schwierigsten Stücke unter den neueren Quartetten von Joseph Haydn, das die grössten Geiger Wiens kaum meistern können». Damit war höchstwahrscheinlich dieses Finale gemeint.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 9, C-dur, op. 59, Nr. 3 «3. Rasumovsky-Quartett» (1806 ?)
Introduzione: Andante con moto – Allegro vivace
Andante con moto quasi allegretto
Menuetto (grazioso) mit Trio –
Allegro molto

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Quintett für Klarinette und Streicher, A-dur, KV 581 (1789)
Allegro
Larghetto
Menuetto – Trio I – Trio II
Allegretto con Variazioni – Adagio – Allegro

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 67, D-dur, op. 64, Nr. 5, Hob. III:63 «Lerchenquartett» (1790)
Allegro moderato
Adagio (cantabile)
Menuet: Allegretto – Trio
Finale: Vivace