Konzerte Saison 1970-1971

  • 19.1.1971
  • 20:15
  • 45.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Guarneri Quartet (New York)

Seit nunmehr 35 Jahren spielt das Guarneri Quartet in unveränderter Besetzung. Die Wahl des Namens beruhte auf einem Zufall, da der Cellist damals ein Cello von Guarneri spielte. Inzwischen tritt David Soyer mit einem Instrument von Giuseppe Gagliano (Neapel 1778) auf, Steinhardt spielt eine Lorenzo Storioni (Cremona), Dalley eine Nicolas Lupot (Paris 1810), Tree eine Bratsche von Domenico Busan (Venedig 1750). Das Quartett gehört zu den berühmtesten der letzten Jahrzehnte. Zahllos sind die Konzerte in aller Welt, riesig auch das Plattenrepertoire: Vor genau zehn Jahren erfolgte die Einspielung der Quartette von Grieg und Sibelius. Die Jubiläumstournee führt das Quartett u.a. nach Berlin, Freiburg, Zürich, London, Frankfurt, in der zweiten Saisonhälfte nach Kopenhagen, Köln, Bonn, Basel, Tübingen, Stuttgart, Bologna.
Formal ist das erste der Rasumowski-Quartette eine Art „Variationenfolge“ über die Sonatensatzform. Der erste Satz (ursprünglich war eine Wiederholung von Durchführung und Reprise, nicht aber der Exposition geplant) verzichtet auf Wiederholungen und breitet stattdessen neben vielen thematischen Einfällen grosse, ungewohnte Steigerungen aus. Das fünfteilige scherzohafte Allegretto verbindet das Scherzoschema mit dem Sonatensatz. Als wollte Beethoven die Ungewöhnlichkeit auch dieses Satzes demonstrieren, gab er ihm nicht die Tonart F-dur, sondern B-dur, die eigentlich einem langsamen Satz zukäme. Dieser wiederum steht in f-moll und bildet erneut einen Sonatensatz. Er steht als Adagio molto e mesto in grösstem Gegensatz zum vorangehenden Scherzo und kommt mit geradezu barocken Trauerfloskeln daher. Die Tiefe dieses Satzes kann mit dem Trauermarsch der Eroica verglichen werden. Beethoven hat in die beiden ersten Quartette bekanntlich russische Melodien eingebaut, wohl zu Ehren des Auftraggebers. Was er aber daraus macht, ist erstaunlich. Aus einem volksliedhaften Klagelied der russischen Sammlung von Iwan Pratsch (1790 erstmals in St. Petersburg erschienen – Beethoven besass eine Ausgabe) wird ein Rondothema mit geradezu tänzerischer Energie – doch handelt es sich gar nicht um ein echtes Rondo, sondern wieder um einen Sonatensatz. Beethoven arbeitet mit Überraschungseffekten, indem er mit Konventionen bricht, daraus aber eine vollkommen überzeugende Neugestaltung bildet. Ein Höhepunkt des Quartetts ist sicher der Übergang vom langsamen zum Schluss-Satz: Aus einem beinahe banalen Überleitungstriller der Violinkadenz wächst das Finalthema heraus.
Das Streichquartett op. 3 ist das letzte Werk, das Alban Berg während seines 1910 beendeten Studiums bei Schönberg und unter dessen Aufsicht – „direkt von Schönberg empfangen“ nannte es Berg – komponiert hat. Er widmete es Helene Nahowski, die gegen den Willen ihrer Familie bald darauf seine Frau werden sollte. Die Uraufführung fand am 24. April 1911 in Wien durch ein ad hoc-Quartett statt. Den Durchbruch sollte das Werk aber erst nach der Aufführung vom 2. August 1923 durch das Havemann-Quartett vor versammelter Kritik beim Salzburger Kammermusikfest erlangen. Weitere offenbar sehr erfolgreiche Aufführungen folgten. Dies veranlasste Berg 1924 wohl auch zur Revision des Werks für die Universal Edition. Die beiden Sätze sind im Tempo angeglichen, etwa gleich lang und im Material eng verwandt. Noch 1935 hat Berg daran gedacht, einen kurzen Mittelsatz einzuschieben, um die beiden (zu) ähnlichen Sätze zu trennen. Sie beginnen beide mit einer heftigen Geste der 2. bzw. der 1. Violine. Die Themen, welche zudem alle untereinander motivisch verbunden und verwandt sind, machen es einem nicht leicht, beim Hören der Satzform zu folgen, obwohl es sich um einen Sonatensatz und um ein Sonatenrondo handelt. (Wie wichtig strenge Formen für Berg waren, zeigen seine anderen Werke, etwa Wozzeck.) Die Themen selber verschleifen diese Formen für das Ohr geradezu, zumal sie intensiv verarbeitet werden. So ist für den Hörer ohne Partitur ein vor allem rhythmisch auffälliges Motiv viel leichter verfolgbar, das gleich am Beginn pianissimo in Bratsche und Cello auftaucht. Eindrücklich sind Klanglichkeit und Farbigkeit des Stücks; Berg fordert mit genauen Vortragsvorschriften dafür mannigfache Spieltechniken. Dass ihm neben den expressiven Ausbrüchen durchaus auch der Wohlklang wichtig war, zeigt er im Brief an seine Frau nach der erwähnten Salzburger Aufführung: „Es war künstlerisch der schönste Abend meines Lebens. (...) Trotz meiner grossen Aufregung (...) schwelgte ich in dem Wohlklang und der feierlichen Süsse und Schwärmerei dieser Musik. Du kannst Dir’s nach dem, was Du bisher gehört hast, nicht vorstellen. Die sogenannt wildesten und gewagtesten Stellen waren eitel Wohlklang im klassischen Sinn.“

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 7, F-dur, op. 59, Nr. 1 «1. Rasumovsky-Quartett» (1805/06)
Allegro
Allegretto vivace e sempre scherzando
Adagio molto e mesto –
Thème russe: Allegro – Adagio, ma non troppo presto

Alban Berg 1885-1935

Streichquartett op. 3 (1909/10/24)
Langsam
Mässige Viertel

Ernst von Dohnányi 1877-1960

Streichquartett Nr. 3, a-moll, op. 33 (1926)
Allegro agitato e appassionato
Andante religioso con variazione
Vivace giocoso