Schönberg überträgt in der «Verklärten Nacht» – auch er im Klanglichen orchestral (1917 erstellt er dann eine Orchesterfassung) – die sinfonische Dichtung vom grossen Orchester auf die Kammermusik. Dies rief damals noch mehr Befremden hervor als die an Wagner orientierte Klangsprache. In der Variationstechnik fusst Schönberg bereits hier auf Brahms. Allerdings wird in dieser «kammermusikalischen Dichtung» keine Handlung oder gar ein Drama erzählt. Dem fünfteiligen Aufbau von Dehmels Gedicht Zwei Menschen zwar folgend, beschreibt das Werk das Atmosphärische, die Stimmung, wie sie zwischen der Frau und dem Mann, die nebeneinander durch die Nacht gehen, herrscht. Das Bekenntnis der Frau, ein Kind von einem andern in sich zu tragen, und die Nachsicht des Mannes wird überwölbt vom Glanz der Nachthelle. Das ist in der Musik zeitloser dargestellt als in Dehmels heute etwas befremdlicher Sprachexpressivität und hat dem musikalischen Werk gegenüber dem Gedicht zu ungebrochener Beliebtheit verholfen.
Brahms verdankte einen Teil seines Ruhms einem Missverständnis, da ihn die «Neudeutschen» um Liszt und Wagner zum Reaktionär stempelten. Einer hingegen, dessen Fortschrittlichkeit nicht in Zweifel zu ziehen ist, hat Brahms unter dem Blickwinkel des Modernen gesehen: Schönberg. Was er als Grundlage für sein eigenes Vorgehen benutzte, das Verfahren der entwickelnden Variation, bewunderte er bei Brahms: die Verschmelzung von Poesie und Logik, Ausdruckskraft und Form, von Melodik und thematischer Arbeit.
Dies ist nicht erst in der manchmal spröde wirkenden Sprache des Spätwerks zu erkennen. Schon ein so langes sentimentales Stück – wie Brahms sein 1. Sextett bezeichnete – mit seiner überquellenden Emotionalität und Melodienseligkeit lässt jene variative Verarbeitung thematischer Motive erkennen. Das Motivmaterial stammt im 1. Satz aus dem Themenkopf des Hauptthemas und dem Auftaktmotiv des Seitenthemas, während die in schubertscher Formerweiterung zwischen Haupt- und Seitenthema eingeschobene Ländlermelodie in A-dur keine Entwicklung auslöst. Im Rondo-Finale bleiben der Form entsprechend die Themen zwar unverändert, in den Verbindungsteilen dagegen werden ihre Motive höchst aktiv variiert und entwickelt. Einfacher verarbeitet der Variationensatz das Thema. Über gleich bleibendem Bass entsteht eine chaconnehafte Reihe von Veränderungen, die mehr durch die Kontraste im Rhythmischen und im Ausdruck bestimmt wird als durch echte Veränderung des Materials oder gar durch Erweiterungen im beethovenschen Sinne. Auffällig bleibt im ganzen Werk die geradezu orchestrale Klangfülle.