Konzerte Saison 1988-1989

  • 30.10.1988
  • 20:15
  • 63.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Alban Berg Quartett (Wien)

Seit mehr als 25 Jahren, erstmals 1971 im Wiener Konzerthaus, konzertiert das Alban Berg Quartett regelmässig in den Musikmetropolen der Welt, im Rahmen bedeutender Festspiele und führt eigene Zyklen in Wien, London, Paris und Zürich durch. Sein Name, Inbegriff heutigen Quartettspiels, steht für die Affinität des Quartetts zur Wiener Klassik und Romantik wie zur Zweiten Wiener Schule. Wie ernst das Quartett seine Verpflichtung der Musik unserer Zeit gegenüber nimmt, zeigt eine ganze Reihe von Uraufführungen (u.a. Rihm, Schnittke, Berio). Seine Mitglieder sind Professoren an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien und an der Musikhochschule Köln (als Nachfolger des Amadeus Quartetts), Ehrenmitglieder des Wiener Konzerthauses und «Associate Artists» des South Bank Centre in London.

Zahllose Platteneinspielungen, darunter die klassisch gewordene Aufnahme von Schuberts Spätwerk (Neuauflage in 4 CDs, auch einzeln erhältlich), belegen das breite Repertoire des Quartetts. Den Einsatz für die Musik des 20. Jahrhunderts dokumentiert die Jubiläums-Edition 1971–1996, 25th Anniversary. «Das Alban Berg Quartett ist ein wertvolles, unersätzliches Stück Musikgeschichte» sagt einer, der es wissen muss: Luciano Berio.

Mit Beethovens Opus 18 steht die Komposition von Streichquartetten im Moment eines entscheidenden Wandels. Es ist kein Zufall, dass dies genau im Zeitpunkt der Jahrhundertwende geschah: Die Klassik eines Haydn und Mozart, die noch vor nicht allzu langer Zeit im Gewande des Rokoko daher gekommen war, neigte sich ihrem Ende zu, eine neue Klassik, die sich mit romantischen Elementen verbinden sollte, stand am Horizont. 1797 hatte Haydn die Quartette op. 76 komponiert und sie 1799 veröffentlicht; in diesem Jahr entstand auch das unvollständige op. 77. Zur gleichen Zeit arbeitete Beethoven erstmals an Streichquartetten. Zuvor oder gleichzeitig hatte er sich in erstaunlicher Weise fast allen Kammermusikgattungen gewidmet und folgende Werke einer Opuszahl, d.h. der Veröffentlichung gewürdigt: Klaviertrios (op.1; um 1794), Klaviersonaten (op. 2, 7, 10, 13 und 14; 1795-99), Streichquintett (op. 4 nach einem früheren Bläseroktett), Cellosonaten (op. 5; 1796), Streichtrios (op.3, 8 und 9; 1798), Violinsonaten (op.12; 1797), Klavierquintett mit Bläsern (op.16; 1796), Hornsonate (op. 17; 1800). Jetzt war die Zeit reif, fühlte er sich reif für die Komposition und Veröffentlichung von Quartetten - kurz danach sollte die 1. Sinfonie folgen.

Natürlich wurzeln die sechs Quartette noch im 18. Jahrhundert und berufen sich auf Haydn und Mozart. Noch einmal taucht auch jene Sechserzahl für ein Opus auf, die für Haydn die Regel gewesen war. Sie zeigen aber auch die Suche nach dem eigenen Stil. (...)

Im Jahre 1800, nach Abschluss aller sechs Quartette, überarbeitete Beethoven die Nummern 1 bis 3 grundlegend. (...) Die zuerst entstandene Nr. 3 wirkt freundlich-melodiös und endet mit einem Finale in virtuoser Entladung von Spielfreude, schliesst aber ganz überraschend-witzig im Pianissimo. Hier ist Haydn ganz nah. (...)

Beethovens Harfenquartett und dem op. 67 von Brahms gemeinsam ist - bei beiden Komponisten nicht häufig anzutreffen - ein Finale, das als Allegretto mit sechs bzw. acht Variationen gestaltet ist. Während Beethoven die Variationenfolge «quasi experimentierend zur weiteren Erprobung klangfarblicher, instrumentatorischer Reize nutzt» (A. Werner-Jensen), lässt Brahms sein Finale durch den Einbezug von Themen des Kopfsatzes zu einem bewusst gestalteten und komplexen Ganzen, das die Gesamtform des Werkes betont, erwachsen. Damit verweist es eher auf den späten als auf den mittleren Beethoven. Beiden Werken ist auch ein - als Reaktion auf das vorangehende Quartettschaffen - versöhnlich-leichterer, freundlicher Charakter eigen. Beethoven wollte oder musste auf den für die damalige Zeit ungewohnt komplexen Zyklus der Rasumowsky-Quartette, Brahms auf sein lange erdauertes op. 51 mit dem pathetisch-bekenntnishaften c-moll- bzw. dem elegisch-poetischen a-moll-Quartett «reagieren». Beide Male ist ein freundlich-heiteres Werk herausgekommen; deren Heiterkeit ist nicht blosse Fassade, sondern verbirgt hinter leichten Harfenklängen bzw. bukolischem Frieden einen tiefen Kunstwillen. Bei beiden Werken sind «keine anpasserischen künstlerische Kompromisse geschlossen worden, sondern es wird nur ein anderer Weg beschritten». Dadurch dass Brahms die im op. 51 vorgeformte Technik der entwickelnden Variation weiterführt und auf das Finale hin ausrichtet, zeigt auch er den bewussten Willen zur neuen Formgestaltung. Die Gelöstheit ist innerlich begründet. Ist es nicht eine besondere Leistung eines Künstlers, Schwieriges leicht, Ernsthaftes heiter erscheinen zu lassen? Beethoven und Brahms, die zeitweise ihre liebe Mühe mit Heiterkeit und Leichtigkeit hatten, fanden in beiden Werken auf höchstem Niveau dazu. Nichts kann die neue Gelöstheit hübscher zeigen, als was Brahms zur Widmung des op. 67 zu sagen hatte. Wie er für die «Zangengeburt» des op. 51 des Chirurgen Theodor Billroth bedurfte, so widmete er das op. 67 erneut einem Medizinerfreund, fügte aber hinzu: «Es handelt sich um keine Zangengeburt mehr; sondern nur um das Dabeistehen.»

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Nun also Beethovens op. 74 selbst! Unter den mittleren und späten Quartetten ist es sicher das einfachste und am leichtesten zugängliche, wirkt es doch vornehmlich heiter und freundlich. Schon die Äusserlichkeit der harfenartigen Pizzicati, die dem Werk den nicht gerade aussagekräftigen Beinamen beschert haben, lässt heitere Stimmung aufkommen. Die langsame Einleitung (die Mendelssohn in op. 12 aufgegriffen hat) leitet auf das Hauptthema des Allegro hin, indem es dessen Hauptmotiv umgekehrt vorwegnimmt. Bereits die Durchführung mit ihren Steigerungen lässt erleben, dass freundliche Heiterkeit allein nicht der einzige Charakterzug dieses Werks ist. Im Adagio, beherrscht von weitgespannten Kantilenen, kommt Expressivität hinzu. Auch hier tauchen die Harfenpizzicati wieder auf. Das Presto, nicht ausdrücklich als Scherzo bezeichnet, wird von einem ständig wiederholten Motiv (man fühlt sich an die Fünfte erinnert) beherrscht und der zweimal auftauchende Trioteil, zum Prestissimo gesteigert, macht durch sein Dauerfortissimo Heiterkeit rasch vergessen. Erst das Variationenfinale mit seinem liebenswürdigen Thema führt wieder zu Beruhigung und bekräftigt den Hauptcharakter des Werks.

Beethoven hat sein opus 130 (wie 127 und 132) zwar im Auftrag des russischen Fürsten Galitzin geschrieben, hat aber im Gegensatz zum op. 59 keinen Bezug mehr zu russischer Musik gesucht. In der Satzfolge verdoppelt er in komplementärer Weise sowohl den Tanzsatz – scherzohaftes Presto und beschwingt heitere Danza tedesca – als auch den langsamen Satz: leichtes (man beachte die Spielanweisung poco scherzando!) , aber doch äusserst kunstvolles Andante und tiefsinnig-expressive Cavatina. Kopfsatz und Finale hingegen entsprechen äusserlich den üblichen Satzformen; dies allerdings nur, wenn man wie heute auf die Grosse Fuge als Schlusssatz verzichtet und an ihrer Stelle das nachkomponierte, fast krampfhaft jugendlich sein wollende Finale spielt, das Beethovens letzte Komposition sein sollte. Obwohl Beethoven nicht wie im op. 131 durch Verknüpfung der Sätze einen grossen Bogen über das ganze Werk schlägt, so erfahren wir gleichwohl, wo die Wurzeln für Schönbergs Idee der Grossform zu suchen sind.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 3, D-dur, op. 18, Nr. 3 (1798/1800)
Allegro
Andante con moto
Allegro – Minore – Maggiore
Presto
Streichquartett Nr. 10, Es-dur, op. 74 «Harfenquartett» (1809)
Poco Adagio – Allegro
Adagio ma non troppo
Presto – Più presto quasi prestissimo –
Allegretto con Variazioni – Un poco più vivace – Allegro
Streichquartett Nr. 13, B-dur, op. 130 (1825/26)
Adagio ma non troppo – Allegro
Presto
Andante cn moto, ma non troppo
Alla danza tedesca: Allegro assai
Cavatina: Adagio molto espressivo
Finale: Allegro