Konzerte Saison 1991-1992

  • 17.3.1992
  • 20:15
  • 66.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Emerson String Quartet (New York)

1976 von Musikern der Generation der ersten Hälfte der fünfziger Jahre unter dem Patronat von Robert Mann (Juilliard String Quartet) gegründet und nach dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803-1882), dem Begründer des amerikanischen Transzendentalismus, benannt, hat das Emerson String Quartet rasch die höchsten Stufen der Quartettkunst erklommen und bis heute gehalten. Sein Ruf und seine Interpretationen bilden Referenzstandard. Es gilt nicht nur unter den amerikanischen Quartetten als Ausnahme-Ensemble, sondern gehört seit Jahrzehnten weltweit zur ganz schmalen Spitzengruppe der bedeutendsten Streichquartette. Es gastiert heute, vierzig Jahre nach seiner Gründung und knapp 30 Jahre nach seinem ersten Auftritt in unseren Konzerten, zum vierzehnten Mal bei uns. Noch immer tauschen die beiden Geiger ihre Positionen im Verlauf eines Konzertes. 2013 hat sich der frühere Cellist David Finckel aus dem Quartett zurückgezogen, um sich als Solist, Lehrer und Veranstalter neuen Aufgaben zu widmen. Er wird aber das Quartett wie in den letzten Jahrzehnten weiterhin unterstützen. Sein Nachfolger, der renommierte britische Cellist, Dirigent und Kammermusiker Paul Watkins, ist im Mai 2013 zum Quartett gestossen und 2014 erstmals bei uns aufgetreten.
Über die Entstehungsgeschichte der sechs sogenannten Haydn-Quartette wissen wir wenig, da Mozart in seinen Briefen darüber weitgehend schweigt. Doch zeigt ein Brief vom 26. April 1783 an den Pariser Verleger Joseph Sieber père, dass schon damals ein Zyklus von sechs Quartetten geplant war, obwohl erst KV 387 vorlag. Wie stark auch darin das Vorbild, Haydns op. 33, war, ist unklar. Auf dem Autograph des G-dur-Quartetts vermerkte Mozart, es sei li 31 di decembre 1782 in vienna geschrieben worden. Den neuen Stil – in Anlehnung an Haydns gantz neue Art des op. 33 – zeigt schon der Kopfsatz: ein bewundernswertes, kontrapunktisch angelegtes Hauptthema wird sogleich in motivisch-thematischer Arbeit weitergeführt. Das Menuett ist überraschend ausgedehnt und in raschem Tempo gesetzt; das Trio weicht in dunkles g-moll aus. Das Andante bildet mit seinen drei fein gegeneinander abgesetzten Themen das expressive Zentrum des Werkes, bevor eine gewagte Verbindung von Sonatenform und Fuge das Werk brillant und geistreich-spielerisch abschliesst.

Worin liegen nun Mozarts Neuerungen gegenüber Haydn?

Im oft als «Frühlingsquartett» bezeichneten G-dur-Werk sind es konstruktive Elemente, so die konsequente Anwendung des Sonatensatzes in allen vier Sätzen - ja, auch im Menuett. Gerade dieser Satz wird, äusserlich an der Dauer erkennbar, aufgewertet, hier etwa durch zwei Themen mit melodischer Umkehrung in der Durchführung. Der langsame Satz in C-dur weist zwar keine Durchführung, wohl aber Durchführungselemente auf. Im Finale verbindet Mozart Fuge und Sonatensatz, also kontrapunktische und homophone Elemente. Auffällig für Mozarts neuartige Verarbeitungstechnik ist der Kopfsatz: Statt wie Haydn die Themen in kleinste Motive aufzulösen, setzt er auf die Auflösung vertikal geprägter Harmonik und Akkordspannungen in die melodische Horizontale.

Ravels Vorbilder waren, neben Mozart und Schubert, natürlich französische Komponisten wie Debussy, dessen Quartett für ihn – wenn auch nur partiell – eine Anregung war, oder Fauré, dem er sein eigenes widmete («A mon cher maître Gabriel Fauré»). Die Musik der erwähnten französischen Komponisten wirkt mit ihrer Eleganz, Transparenz und Klanglichkeit. So steht auch bei Ravels Quartett nicht Bedeutungsschwere im Vordergrund, doch zeigt es bei aller Farbigkeit und rhythmischen Vielfalt eine aristokratische Disziplin und Zurückhaltung, ja Zartheit, und verbindet so das Bedeutende mit dem Leichten, das Vornehme mit dem Spielerischen. Heute werden die Quartette Debussys und Ravels gerne nahe zusammen gesehen, nicht zuletzt wegen ihrer häufigen Koppelung auf CDs. Dadurch überhört man oft Ravels Personalstil und seine eigenständige Klangsprache. Ravel selber empfand sein erstes bedeutendes Kammermusikwerk als Abschluss der Studienzeit. In seiner Selbstbiographie schrieb er 1928: «Mein Quartett in f entspricht dem Wunsch nach musikalischer Konstruktion, der zweifellos unzulänglich realisiert ist, aber viel klarer erscheint als in meinen vorhergegangenen Kompositionen.» Diese zurückhaltende Einschätzung überrascht bei einem von Ravels besten Werken.

Die Entstehung des Quartetts dauerte von Dezember 1902 (Sätze 1 und 2) bis April 1903 (Sätze 3 und 4). Dann musste Ravel fast ein Jahr auf die Uraufführung warten. Sie fand am 5. März 1904 in Paris statt und rief verschiedene, teilweise heftige Reaktionen hervor: Debussy war begeistert und schrieb an Ravel: «Au nom des dieux de la Musique et au mien, ne changez rien à votre Quatuor!» Der Widmungsträger Fauré fand einiges zu kritisieren, und die Klassizisten, die den Rom-Preis zu vergeben hatten, konnten nichts damit anfangen (was wohl der beste Beweis für die Qualität und Eigenständigkeit des Werks ist): Sie schlossen Ravel 1905 von der Teilnahme am Rompreis-Wettbewerb aus – angeblich, weil er zu alt war. Das hatte Konsequenzen: Direktor Dubois wurde entlassen, und Fauré sein Nachfolger.

Ravel hielt sich zwar in Einzelheiten an Debussy (so haben etwa beide Scherzi fast die gleichen Vortragsvorschriften), und doch ist ein eigenes Werk entstanden, besonders in der Ableitung der meisten Gedanken aus den Themen des 1. Satzes und in der Wiederaufnahme früherer Motive, vor allem im 3. und 4. Satz. Eigenständig ist auch die Klanglichkeit, etwa im 3. Satz, der mit seinen Tempo- und Tonartenwechseln rhapsodischen Charakter aufweist. Besondere Klänge werden durch spezielle Spielweise, nicht zuletzt in hohen Lagen, bewirkt. Im Finale, das auf einem chromatischen Fünftonmotiv beruht, lässt Ravel, Sohn einer Baskin, die baskische Tanzrhythmik des «Zortzico» anklingen (Abwechslung von Fünfer- und Dreiertakt), allerdings in variierter Form.

Auch Bartóks 5. Quartett ist mit den USA verbunden. Es entstand sechs Jahre nach dem vierten als Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge (1864-1953) in nur vier Wochen im August/September des Jahres 1934. Für Bartók, der oft lange um ein Werk rang, ist das auffallend kurz. Auf Wunsch der Auftraggeberin spielte das Kolisch Quartett, zugleich Widmungsträger, die Uraufführung am 8. April 1935 in Washington. Mit dem 4. Quartett hat es die äussere Form – man hat sie Bogen- oder Brückenform genannt – gemeinsam: Vier Sätze legen sich, was Tempo, Charakter, Dauer und weitere Gesichtspunkte betrifft, symmetrisch um einen zentralen Satz herum. Beim Vorgänger war das ein langsames Stück (Non troppo lento), um das zwei Scherzi stehen; beide Aussensätze hatten ein rasches Tempo. Im 5. Quartett geht Bartók punkto Symmetrieachse noch etwas weiter, wird diese doch vom Trio (Vivacissimo) eines Scherzos in der Mitte des ganzen Werks gebildet. Dieser Mittelsatz ist kein rein heiteres oder heftiges Scherzo, sondern wirkt gelegentlich geradezu verspielt. Ebenso wenig bilden, wie die Bezeichnung alla bulgarese andeuten könnte, bulgarische Melodien das Material. Bartók bezieht die Bezeichnung auf die Rhythmik mit ungleichmässigen, ständig wechselnden Metren. Im con sordino zu spielenden Trio etwa ist die Taktform mit 3+2+2+3/8 angegeben. Auch die übrigen Sätze nehmen die Bogenform auf, einerseits im Rückgriff auf den «Spiegelsatz», andererseits auch im Satzinnern. So treten im Kopfsatz in Sonatenform mit drei Themen in der Reprise die Teile rückläufig auf. Seine Themen werden im Schlusssatz wieder aufgegriffen und verarbeitet. In dessen Mittelteil steht eine Fuge. Die beiden den Mittelsatz rahmenden langsamen Sätze hängen insofern zusammen, als das Andante das Thema des Adagio frei aufnimmt und weiterentwickelt, wie auch im Scherzo die Reprise eine Variante des ersten Teils ist. Kommt dazu, dass das Werk Elemente der ‚klassisch-ernsten’ Musik und der Volksmusik harmonisch verbindet. Auch wenn, vor allem im ersten Satz, das Heftige nicht zu kurz kommt, wirkt das Stück eher heiter und transparent.

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Streichquartett Nr. 14, G-dur, KV 387 (1782)
Allegro vivace assai
Menuetto: Allegretto – Trio
Andante cantabile
Molto allegro

Maurice Ravel 1875-1937

Streichquartett, F-dur (1902/03)
Allegro moderato, Très doux
Assez vif, Très rythmé – Lent – 1º Tempo
Très lent
Vif et agité

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 5, Sz 102 (1934)
Allegro
Adagio molto
Scherzo: Alla bulgarese
Andante
Finale: Allegro vivace – Presto