Konzerte Saison 2002-2003

  • 3.12.2002
  • 20.15
  • 77.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Festsaal

Trio Animæ (Basel)

Das Trio Animæ über sich selbst: Ein Blick zurück

Vor bald neun Jahren lancierten wir das Trio Animæ mit Musik von Beethoven und Smetana. Heute stapeln sich mittlerweile an die 300 Partituren für Klaviertrio in unserer Bibliothek, über 70 davon spielen wir auf den Bühnen, einige sehr oft, andere selten. Haydn, der «Evangelist» des Klaviertrios war auch von Anfang an dabei, natürlich Mozart – wenn auch mit Widerstand –, immer wieder Dvorák, der gute alte Tschaikowsky, Mendelssohn, Brahms, kurz und gut, diese und alle anderen Grossen Meister, die uns etwas hinterlassen haben.

Doch ohne die Musik des 20. Jahrhunderts und die heutigen Komponisten ist unsere Arbeit undenkbar. Das Trio von Charles Ives, in New York am Jahrhundertanfang geschrieben, steht am Anfang von vielen Klaviertrios der Moderne. Unsere Entdeckungen finden kein Ende... Dieses Genre animiert offensichtlich Komponisten aller Stile. Kagel, Schnittke, Piazzolla, Vasks, Pärt, Corea, Furrer, Rihm, Takemitsu führen eine lange Liste exzellenter Musik an.

Begegnungen mit Komponisten gehören zu unseren wertvollsten Erlebnissen: Nadir Vassena, der Tessiner, der 1994 unser erstes Auftragswerk, die «Statua Vivens» schuf, Vladimír Godár, der Slowake, der uns bei der ersten Begegnung gleich auf einen Polizeiposten begleiten musste, oder José Bragato, dessen Anrufe aus Buenos Aires um 3 Uhr nachts unvergesslich bleiben. Sie und viele andere Komponisten wie Wojciech Widlak, Mirko Krajci, Peteris Vasks, Peter Breiner und John Wolf Brennan haben unsere Arbeit persönlich und künstlerisch mitgeprägt.

Unsere Liebe zum Osten Europas ist gross. Russische, tschechische, überhaupt slawische Musik prägt unsere Konzertprogramme und ist auch immer wieder auf unseren CDs zu finden. Liegt es an unseren Wurzeln? Nicht allein – vielleicht liegt es mit daran, dass uns unsere allererste Konzertreise in die Slowakei führte. Bald kamen Reisen durch Deutschland und Frankreich, wenig später Italien, Tschechien und Polen. Seitdem geht es kreuz und quer durch den Kontinent.

Am 3. April 1993 haben wir uns in Basel getroffen, hier begann unsere Leidenschaft und Begeisterung, von hier aus tragen wir sie weiter in der nächsten und auch entfernteren Zukunft. Seien es die Alpen, Vogesen, der Schwarzwald oder die Karpaten, die es zu überqueren gilt, wir fühlen uns wohl, unterwegs, überall, beim Publikum, das die Kammermusik liebt.

Musik aus Argentinien

Mauricio Kagel, Nachfahre einer russisch-deutsch-jüdischen Einwandererfamilie, wurde in Buenos Aires geboren, wo er – u.a. bei Jorge Luis Borges – Literatur und Philosophie studiert hat. Sein Musikstudium betrieb er auf privater und autodidaktischer Basis. Er wirkte u.a. als Assistent von Erich Kleiber und als Dirigent am Teatro Colón. Nachdem er 1957 als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Köln gekommen war, nahm er dort Wohnsitz und erwarb 1980 die deutsche Staatsbürgerschaft. Kagel ist als engagierter und origineller Vertreter neuer Musik bekannt geworden, speziell im Bereich des Theaters («Staatstheater», «Ludwig van», «Aus Deutschland», «Mare nostrum» – beide in letzter Zeit in Basel aufgeführt). Er hat eine Vorliebe für raffinierte klangliche, aber auch überraschende Effekte, die jedoch immer aus der Idee eines Werkes herauswachsen. Er zeichnet sich mit seiner nahezu unerschöpflich klangsinnlichen Phantasie und einem unermüdlich kritischen Intellekt als eine der unumstrittenen Zentralfiguren der musikalischen Avantgarde aus. Trotz «Respekt und Furcht vor ’absoluter Musik’» hat er eine grosse Zahl Kammermusikwerke komponiert, darunter vier Streichquartette. Zu seinem 1984/85 entstandenen Klaviertrio, welches zu den wichtigsten Werken des 20. Jahrhunderts für diese Besetzung zählt, bemerkte Kagel anlässlich der Uraufführung folgendes:

«Mit der Komposition eines Klaviertrios habe ich mir einen lange gehegten Wunsch erfüllt. Es ist dies ein Genre, vergleichbar mit der Tradition des Streichquartetts, vor dem jeder Komponist leise Ehrfurcht haben dürfte. Auch ich wartete geduldig, aber beunruhigt, um meinen Obolus zu entrichten. Die Vorgeschichte des Stückes ist mit meinem Musikepos über den Teufel, «La trahison orale», aufs engste verknüpft, das ich 1981–83 schrieb. Bereits bei der Konzeption des Werkes entschied ich mich, Charakterstücke zu komponieren, relativ kurze Nummern mit ausgeprägter Atmosphäre, die im Gestus mit Liedern ohne Worte verglichen werden könnten. Es mag seltsam anmuten, dass man heute wieder Musik mit solch literarischem Hintergrund komponieren kann, aber die Entwicklung der Musikgeschichte zeigt, dass nichts geradlinig, sondern durch den ästhetischen Anspruch aufgerüttelt, verschlungen verläuft. [...] Eine der wesentlichsten Lehren, die wir aus der Romantik ziehen können, ist das Primat der musikalischen Substanz über eine spezifische Klangfarbe: Wenn die Vorstellungskraft einprägsam genug ist, dann kann sie mit austauschbaren Klangmitteln einen ihr gerechten Ausdruck finden. Von Anfang an schwebte mir eine Paraphrase meines Musikepos mit der klassischen Besetzung Geige, Violoncello und Klavier vor. Ich habe dies nun in Form eines dreisätzigen Werkes ausgearbeitet und dessen Ablauf mit dem Hauch eines Rondos umgeben. Man könnte dieses Klaviertrio mit einem polyphonen Gefüge von Charakterstücken vergleichen, in dem ausgeprägte Merkmale immer wieder vorkommen, sich verfolgen, abrupt aufhören, aus dem Hintergrund schnell zur Oberfläche steigen und langsam verschwinden. Es ist dennoch absolute Musik im klassischen Sinne – die wahren Gründe des Absoluten verbergend.»

Einem glücklichen Stern ist es zuzuschreiben, dass das Trio Animæ in Buenos Aires den persönlichen Kontakt zu Astor Piazzollas langjährigem Freund und Mitmusiker José Bragato fand. José Bragato, selber Cellist und Komponist, hatte bei einem deutschen Verlag sechs Stücke Piazzollas in Arrangements für Klaviertrio herausgegeben. Die aussergewöhnliche Qualität dieser Bearbeitungen für eine «klassische» Besetzung liess im Jahre 1998 beim Trio Animæ den Appetit auf eine grössere Auswahl aus dem immensen Schaffen des argentinischen Meisters des «Tango Nuoevo» wachsen. Mit diesem Anliegen stiess das Schweizer Ensemble in der Etagenwohnung des gut achtzigjährigen Bragato in Buenos Aires offene Türen ein. 16 neue Manuskripte kamen so exklusiv für das Trio Animæ in die Schweiz, welche das Trio Animæ 2001 auf der Doppel-CD «Tres minutos con la realidad» publizierte und seither in Dutzenden von Konzerten in ganz Europa vorstellte. Eine Auswahl aus diesen handschriftlichen Arrangements sowie drei Originalstücke im argentinischen Volksstil («en estilo popolar») von José Bragato, erklingen am heutigen Abend in Basel.

rs nach Angaben des Trio Animæ