Der Pianist Julius Drake wurde in London geboren. Er arbeitet in Europa und Amerika mit bedeutenden Sängerinnen und Sängern zusammen: Felicity Lott, Yvonne Kenny, Ian Bostridge, Simon Keenlyside, Nathan Berg, Olaf Bär oder Thomas Quasthoff. Französische Lieder hat er mit Hugues Cuénod eingespielt, an dessen Feier zum 101. Geburtstag er 2003 ebenfalls mitgewirkt hat. Mit Christoph Genz hat er Haydn-Canzonetten, mit Katarina Karnéus Sibelius-Lieder, mit der Klarinettistin Emma Johnson Kammermusik für Klarinette aufgenommen. Besonders häufig konzertiert er mit Ian Bostridge, mit dem auch mehrere CDs entstanden sind (Schumann, Schubert, Britten, Henze). Mit diesen Einspielungen hat er mehrere Preise gewonnen. Daneben spielt er gerne Kammermusik, etwa mit dem Belcea oder dem Szymanowski Quartet. Mit Ian Bostridge und mit dem Belcea Quartet war er im letzten Jahr mehrfach Gast der Schubertiade Schwarzenberg. Mit Katarina Karnéus hätte er bereits letzte Saison bei uns auftreten sollen, doch musste das Programm damals wegen Erkrankung der Sängerin kurzfristig ersetzt werden.
Gustav Mahlers Vertonungen von zehn Rückerttexten (Kindertotenlieder und 5 Rückert-Lieder) in den Jahren um 1899 bis 1902 (zeitgleich mit der 5. Sinfonie entstanden) gehören zu den grossartigsten Liedern Mahlers und der Zeitenwende von der Spätromantik zum 20. Jahrhundert überhaupt. Während die tieftraurigen und resignativen Kindertotenlieder einen eigentlichen Zyklus bilden, sind die fünf anderen locker verbunden. So bleibt es dem Interpreten überlassen, welche Reihenfolge er wählen will. Auch hier ist Ernst und teilweise Resignation zu vernehmen, doch längst nicht so wie im andern Zyklus. Drei Lieder wirken freundlicher, heller. Zartheit und Innigkeit, in Blicke mir nicht in die Lieder sogar Heiterkeit herrschen hier vor. Höhepunkte sind Um Mitternacht und Ich bin der Welt abhanden gekommen. Welches soll man an den Schluss setzen? Mag die Steigerung, welche in Um Mitternacht von hoffnungsloser Resignation zum grandios-hymnischen Ende führt, für dieses Lied sprechen, so wirkt sie vielleicht doch etwas zu aufgesetzt. Da darf die tief empfundene, wunderbar reine Ausdruckskraft des pianissimo-Liedes, das den Sänger in absolute Ruhe und Weltentrücktheit führt, für sich den Anspruch erheben, einer der Höhepunkte mahlerschen Komponierens zu sein, vergleichbar vielleicht einzig den langsamen Schlusssätzen der 3. und 9. Sinfonie. So bleibt noch die Frage, ob man diese Lieder in der Klavier- oder Orchesterfassung vorzieht.
Nach der Pause ein Strauss französischer Liedkunst, die es in unseren Landen nicht ganz einfach hat. Sie entführt uns in die feine, oft bukolisch-künstliche und entrückte Welt der (Liebes-) Stimmungen und zum Schluss in witzige Frivolität.
Zuerst vier Lieder aus dem schmalen, doch höchst qualitätsvollen Schaffen von Henri Duparc. Von ihm, dem Schüler César Francks, der bereits 1885 wegen einer Nervenkrankheit das Komponieren aufgab, kennt man fast nur die 14 hochangesehenen Liedkompositionen. „Je veux être ému“ sagte Duparc bei jedem Werk, und was dem nicht entsprach, vernichtete er. Verzicht auf aufgesetzte Effekte, dafür höchst bewusstes Malen von Stimmungen mit unerwarteten Modulationen und eine höchst delikate Klavierbegleitung zeichnen diese Lieder, jedes in seiner Weise, aus.
Zwar in Venezuela als Sohn eines aus Hamburg ausgewanderten Kaufmanns und einer spanisch-venezolanischen Mutter geboren, war Reynaldo Hahn bereits mit drei Jahren nach Paris gelangt. Hier machte er sich einen Ruf als Dirigent und Komponist von Opern und vor allem Operetten – und nicht weniger als Dandy und Geliebter von Marcel Proust. Die zweite wichtige Werkgruppe bilden Lieder, unter denen A Chloris auffällt, das trotz seinem bukolisch-verspielten Charakter als Hommage à Bach gilt.
Noch weniger kennen wir den aus Montpellier stammenden Emile Paladilhe. Er erhielt seine musikalische Ausbildung (er war ein Wunderkind auf dem Klavier) seit dem zehnten Lebensjahr in Paris und war 1860 jüngster Gewinner des Prix de Rome. So sehr er die Musik der Renaissance verehrte und sich der Kirchenmusik widmete, machte auch er sich einen Namen mit Opern, vor allem mit Patrie (1886). Kurz danach entstand Psyché, eines von rund 40 Liedern.
Wenig bekannt ist auch Debussys Zyklus Le promenoir..., in dem er auf 1638 erschienene Gedichte zurückgreift. Wie schon die vorher aufgeführten Lieder handelt es sich um zarte, in galant-bukolischem Rahmen spielende Liebeslieder. Debussy widmet diesen Versen eine „herrlich leise, verliebte Musik (D. Fischer-Dieskau)“, welche den etwas altmodischen Gedichten neue Jugendfrische verleiht.
Der witzige Tonfall und die Sprachspiele der nicht immer jugendfreien Chansons gaillardes (leichtfertig, schlüpfrig) ist genau richtig für Poulencs frühere Schaffensphase. Was bei den anderen aufgeführten Werken, weil nicht angemessen, fehlt, kommt hier zum Zuge: Spielerischer Humor. Und wo das wie in L’Offrande (la plus «gaillarde» de ces Chansons) zunächst nicht der Fall scheint, so gibt der pseudo-ernste Tonfall doch zu erkennen, dass hier eine zweite Ebene mitschwingt, welche spätestens im Schlussseufzer für jedermann erkennbar wird. Auch das ist französisch, wird aber mit Augenzwinkern und avec parodie und gleichwohl mit typischer mélodie française, zu der manchmal auch die dorische Tonart beiträgt, dargeboten.
rs