Konzerte Saison 2006-2007

  • 6.3.2007
  • 20.15
  • 81.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Lothar Odinius, Tenor Burkhard Kehring, Klavier

Lothar Odinius wurde in Aachen geboren. Er studierte in Berlin bei Anke Eggers und besuchte Meisterkurse bei Ingrid Bjoner, Alfredo Kraus und mehrfach bei Dietrich Fischer-Dieskau. Nach seinem Engagement von 1995 bis 1997 als lyrischer Tenor in Braunschweig sang er Mozartpartien in Bonn (Tamino), Mannheim, Salzburg und Wiesbaden (Ferrando in Così fan tutte), Potsdam (Don Ottavio und Titus in La clemenza di Tito). Bei den Haydn-Festspielen in Eisenstadt war er ebenso zu Gast wie am Opernhaus Zürich (Titelpartie in Schuberts Alfonso und Estrella) oder in Kopenhagen (Titelpartie in Weills Lindberghflug). Zahlreich sind Konzertengagements, die ihn u.a. nach Stuttgart, Lyon, Madrid oder Turin führten. Enge Zusammenarbeit verbindet Odinius mit Helmut Rilling, András Schiff und Adam Fischer. Es liegen auch mehrere CD-Einspielungen vor, darunter unter Rilling zusammen mit Diana Damrau (vgl. unser Konzert 7) die von Robert Levin vervollständigte c-moll-Messe von Mozart. Lothar Odinius gibt Liederabende bei der Schubertiade Feldkirch, in Köln, Paris, Frankfurt, Stuttgart, beim Schleswig-Holstein Musik Festival und an vielen anderen Orten. Er hat, begleitet von Ulrich Eisenlohr, zur Gesamtaufnahme der Lieder Schuberts bei Naxos die Volumina 3 und 4 der Schiller-Vertonungen beigetragen.

Burkhard Kehring absolvierte seine musikalische Ausbildung in Wien und Hamburg. Neben dem solistischen und kammermusikalischen Klavierrepertoire galt schon früh seine Vorliebe der Liedbegleitung. Intensive Anregungen auf diesem Gebiet erhielt er von Ralf Gothoni, Gernot Kahl und Martin Katz. Begleiterpreise internationaler Liedwettbewerbe in London und München markierten den Beginn seiner Konzerttätigkeit als Liedbegleiter, die ihn in viele europäische Länder, in die USA, nach Asien und Südamerika sowie an zahlreiche Musikfestspiele führte (u.a. Schubertiade Schwarzenberg, Klangbogen Wien, Musikfestspiele Bergen, Schubert Serenades New York, Ravinia Festival Chicago). Burkhard Kehring war offizieller Klavierbegleiter bei Meisterkursen von Elisabeth Schwarzkopf, Ernst Haefliger und Hermann Prey. Eine künstlerische Zusammenarbeit verbindet ihn mit zahlreichen Sängerinnen und Sängern der jüngeren Generation. Gemeinsam mit Dietrich Fischer-Dieskau gestaltet er musikalische Lesungen und Melodramenabende. Zudem konzipiert Burkhard Kehring eigene Liederabendreihen: Der erste Hugo-Wolf-Zyklus in der Musikhalle Hamburg brachte annähernd dessen gesamtes Liedschaffen zur Aufführung. Ihm folgte die "Schubertiade modern" – eine Gegenüberstellung der Lieder Schuberts und des Schönberg-Kreises – sowie die Liederabendserie "Schubert plus" in Frankfurt. Burkhard Kehring ist seit 2003 Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. In der vergangenen Saison war er zusammen mit Timothy Sharp mit Heine-Liedern in unseren Konzerten zu hören.

Goethe-Lieder bei Schubert und Wolf

Am 17. April 1816 legte Schuberts Freund Spaun einer Liedersendung Schuberts an Goethe (16 Lieder, u.a. die heute dargebotenen D 138, 225, 226 und 328) ein Begleit-schreiben bei, das so endete: „Sollte der junge Künstler so glücklich seyn, auch den Beyfall deßjenigen zu erlangen, deßen Beyfall ihn mehr als der irgend eines Menschen in der weiten Welt ehren würde, so wage ich die Bitte mir die angesuchte Erlaubniß mit zwey Worten gnädigst melden zu lassen. Der ich mit gränzenloser Verehrung verharre Euer Exzellenz gehorsamster Diener Joseph von Spraun.“ Wie bekannt, fand Goethe keine „zwey Worte“ – irgendwann wurde das Heft kommentarlos zurückgesandt. Immerhin scheint Goethe den Erlkönig gekannt zu haben, soll er doch 1830 zur Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, die ihn dem Dichter vortrug, bemerkt haben: „Ich habe diese Composition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild.“ Hieraus wird nicht klar, ob sich Goethe zu Schuberts Vertonung äusserte oder der Sängerin ein Kompliment machte. Die Unzulänglichkeit der früher gehörten Interpretation, welche bei einem so ungewöhnlichen Lied nicht überrascht, könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie vielleicht im Anschluss an die Zusendung des Liedes erfolgt ist. Goethes Vorstellungen einer Liedvertonung waren stark von seinem musikalischen Berater C.F. Zelter beeinflusst: Für ihn war – wie damals üblich – ein Lied ein Strophenlied und hatte keine durchkomponierte Struktur, wie sie Schubert im Erlkönig zur Meisterschaft gebracht hat. Doch pflegte Schubert gerade in diesen frühen Jahren unter dem Einfluss von J.R. Zumsteeg wie auch später immer wieder das einfache oder nur leicht variierte Strophenlied (vgl. D 225 und 543; man denke auch ans Heidenröslein von 1815). 1826 bescheinigte man Schubert, er scheine „für das eigentliche Lied (d.h. Strophenlied [rs]) weniger geeignet zu seyn, als für durchkomponierte Stücke“. Das war wohl, neben der Vielbeschäftigung des weimarerischen Ministers, ein Grund für die Nichtbeachtung der schubertschen Sendung. 1825 erging es Schubert nochmals so, als er Goethe bereits gedruckte Lieder, darunter Ganymed, mit Widmung zusandte: Dieser vermerkte am 16. Juni im Tagebuch: „Sendung von Felix von Berlin, Quartette. Sendung von Schubert aus Wien, von meinen Liedern Compositionen.“ Felix (Mendelssohn natürlich) erhielt seinen Dank zwei Tage später, Schubert nichts.

Schuberts erste Lieder entstanden ab 1811, darunter einige Schiller-Vertonungen. Sein nach einhelliger Meinung erstes Meisterlied, zugleich die erste Goethe-Vertonung, schrieb er am 19. Oktober 1814: Gretchen am Spinnrad – man hat es „die Geburtsstunde des neuen Liedes“ genannt. Es ist erstaunlich, dass seitdem eine echte Entwicklung in Schuberts Liedschaffen nicht auszumachen ist. Was er als Siebzehnjähriger konnte, hat er später gewiss noch vertieft, aber nicht überboten. Goethe hat ihn bis 1826 (Lieder der Mignon D 877) begleitet – insgesamt vertonte er 67 Goethe-Gedichte, so viele wie von keinem anderen Dichter. Gerade die Mignon-Lieder zeigen, dass Schubert trotz seiner Meisterschaft immer ein Suchender war: Nur wer die Sehnsucht kennt hat Schubert von 1815 bis 1826 nicht weniger als sechs Mal vertont bzw. verändert. Viele Lieder liegen in völlig verschiedenen Bearbeitungen und Fassungen vor, in gewissen Fällen vom einfachen Strophenlied zur durchkomponierten Version (An den Mond D 259 und 296) voranschreitend. Von den heute aufgeführten Stücken kennen nur Erster Verlust, Ganymed und Wandrers Nachtlied bloss eine Fassung oder Bearbeitung. Vom Erlkönig gibt es vier Fassungen. Schubert hat in keiner anderen Gattung so kontinuierlich höchste Meisterschaft bewiesen wie im Lied – und wohl auch darum hat man ihn lange nur als Liedmeister wahrnehmen wollen. Diese Auffassung hat sich – wenn auch vielfach erst in den letzten Jahrzehnten – endgültig geändert.

Hugo Wolf wird immer der Liedkomponist bleiben – und auch als solcher ist er heutigen Musikfreunden zu wenig vertraut. Seine übrigen Werke, das Streichquartett (1879), die sinfonische Dichtung Penthesilea (1883) oder die Oper Der Corregidor (1895), treten kaum in Erscheinung. Einzig die Italienische Serenade (1893) hört man öfters), auch als Zugabestück (in unseren Konzerten offiziell achtmal). Mit Schubert hat Wolf die Kürze seines Lebens gemeinsam, erst recht, wenn man bedenkt, dass er während der letzten Jahre seiner Syphiliserkrankung wegen dahindämmerte und nicht mehr komponierte. Mit den drei pessimistischen Michelangelo-Gesängen endete 1897 sein Schaffen, das rund 350 Lieder umfasst, davon beinahe hundert aus der Frühzeit von 1876 bis 1883. Darunter befinden sich neben Vertonungen von Heine und Eichendorff auch schon solche von Goethe. Da Wolf diese Lieder später nicht oder nur zum Teil anerkannte, sind sie wenig bekannt. Der Durchbruch erfolgte 1888 mit den Mörike-Vertonungen. Wolf schrieb seine Lieder schon früh in Schüben, die jeweils einem Dichter gewidmet waren. Galt das Jahr 1888 zunächst bis zum 10. Oktober in zwei Phasen Mörike und, im Spätsommer eingeschoben, Eichendorff, so folgten ab dem 27. Oktober Goethe-Gedichte. Es sollten insgesamt 51 werden. Abgesehen von einem Nachzügler waren sie am 12. Februar 1889 abgeschlossen. Neben miniaturhaften und idyllischen (Nr. 24/25 und 28/29) erklingen heute als gewichtiger und ernsthafter Auftakt des zweiten Programmteils noch einmal die Verse, die Goethe in Wilhelm Meister dem Harfner zudachte. Mit ihnen begann Wolf seine Goethe-Vertonungen. Sie fordern den Vergleich mit Schubert heraus. Wolf als glühender Verehrer Wagners (er war ihm 1875 in Wien kurz begegnet; 1882 und 1889 war er in Bayreuth) konnte sich, wie etwa Penthesilea im Instrumentalen zeigt, dessen Einfluss nicht entziehen. Während er beim Einsatz und der Behandlung des Klaviers von Schumanns Liedern ausgegangen war, ist Wagners Einfluss in der Führung der Singstimme und in der Deklamation oft unüberhörbar. Die starke Reduktion des Sanglichen ist ein Merkmal gerade der Harfner-Lieder. Hier stehen Kargheit und Askese, Ernst und Schwermut im Vordergrund, um Leid und Entbehrung, die Wolf selber so gut kannte, zu zeichnen. „Die Lieder sind Seelenbilder, Aufzeichnungen psychischer Zustände, nicht eigentlich Charakterbilder“ (W. Oehlmann). Ernst und Schwermut sind zwar auch Schuberts Vertonungen eigen, doch wird dort die Singstimme viel lyrischer geführt und blüht zeitweise melodisch auf. Doch auch Schubert nimmt die Stimme immer wieder zurück (das fahle „O lasst mich meiner Qual“ etwa). Kein Wunder, dass man bei diesen Liedern an die „Winterreise“ denkt. Wolf äusserte sich über seine eigenen und Schuberts Harfnerlieder in einem Brief vom 21. Mai 1890 an Emil Kauffmann, seit 1877 Tübinger Universitätsmusik-Di-rektor: „Ganz besonders erfreulich berührten mich Ihre enthusiastischen Worte über meine Harfnerlieder, für die sich wohl wenige Liebhaber finden dürften; trotzdem ersehe ich in dem zu meinen Gunsten ausschlagenden Vergleiche zwischen den Schubert’schen und meinen Harfnerliedern kein besonderes Lob, da sich die Schubert’schen Gesänge weder durch hervorragende Erfindung noch durch irgendwelche charakteristische Züge auszeichnen; jedenfalls erscheint es mir so.“

rs