In letzter Zeit ist es beliebt geworden, Vokalwerke grosser spätmittelalterlicher und Renaissance-Komponisten auf das Streichquartett zu übertragen. Man kann davon halten, was man will, und dem Original den Vorzug geben. Schön ist, dass diese Werke aus der Blütezeit der polyphonen Chormusik einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Der im wallonischen Hennegau (Mons) geborene Orlando di Lasso, der zu seiner Zeit wohl berühmteste Komponist, erhielt seine musikalische Ausbildung in Italien (darum der bei uns gängige italianisierte Vorname). Nach längerer Reisezeit wurde er 1552/3 Kapellmeister von S. Giovanni in Laterano, der Bischofskirche Roms, und war dort direkter Vorgänger Palestrinas. Über Antwerpen, wo er seine ersten Werke veröffentlichte, gelangte er 1557 als Tenorist an den Hof nach München. Dort übernahm er 1563 die Leitung der herzoglichen Hofkapelle, ohne dass dadurch seine Reisen aufhörten. 1571–74 war er häufig in Paris, wo die Prophetiae Sibyllarum Eindruck machten. Schon seine Chansons hatten ihm den Ehrentitel „Le divin Orlande“ eingetragen. Die 12 vierstimmigen Motetten über die sibyllinischen Prophezeiungen in lateinischen Hexametern erschienen erst nach Lassos Tod 1600, weil Herzog Albrecht V. Lassos Werke als Eigentum des Hofes betrachtete und ein Druckverbot erlassen hatte. Sie überraschen mit kühnen Intervallen und chromatischen Tonfolgen. In Lassos Motetten bewunderte man schon immer den auffallenden Kontraststil und sein enges Wort-Tonverhältnis.
Thomas Adès, auch als Pianist und Dirigent tätig, ist einer der erfolgreichsten britischen Komponisten der Gegenwart. 1997 bekam er die Professur an der Royal Academy of Music, welche einst Britten innehatte. Seit 1999 ist er Musikchef des Britten-Pears-Festivals von Aldeburgh. Zwar finden seine Werke nicht immer die Zustimmung der Kritiker und Avantgardisten, sind sie doch in einer – für die englische Tradition typischen – gut anhörbaren modernen Tonsprache geschrieben. Dies erleichtert dem Zuhörer den Zugang, und der Erfolg gibt Adès Recht. Neben durchaus ernsthaften, ja tiefgründigen Kompositionen gibt Adès oft dem (britischen) Humor Ausdruck. Das frühe Streichquartettwerk (Dauer: 21 Minuten), als Auftrag des Endellion Quartet entstanden und von ihm 1994 in Cambridge uraufgeführt, evoziert die Ideallandschaft Arkadiens, wie sie Vergil in seinen Hirtenliedern geschildert hat. Adès schreibt dazu [teilweise leicht gekürzt, geändert und ergänzt]: „Jeder der sieben Titel beschwört ein Bild herauf, das mit der Vorstellung von Idylle, Entschwinden, Entschwundenem und Erfundenem verknüpft ist. Die Sätze mit ungerader Nummer handeln alle vom Wasser und ergeben eine zusammenhängende musikalische Einheit, wenn sie fortlaufend gespielt werden. Der dritte Satz bezieht sich auf das namengebende Schubert-Lied [D 774]. Die Überschrift des fünften Satzes wurde von Watteaus Gemälde L’Embarquement pour Cythère im Louvre abgeleitet. Der siebte Satz trägt den Namen des mythischen Flusses des Vergessens in der Unterwelt. Der zweite und der sechste Satz haben das pastorale Arkadien bzw. Mozarts ›Königreich der Nacht‹ [wobei anzumerken wäre, dass das Zitat eigentlich auf das Zauberflötenspiel im Reich Sarastros verweist] und andere Gefilde zum Thema. Im Mittelpunkt steht der vierte Satz; er trägt als Titel den Beginn der lateinischen Inschrift [Et in Arcadia ego], die auf Poussins Gemälde im Louvre von Hirten entdeckt wird [und an die Vergänglichkeit selbst in der Idealwelt Arkadiens erinnert].“ So verbindet Adès die Zeiten und Denkansätze und schafft eine auch klanglich überzeugende originelle neue Kombination von Ideallandschaft und Todesmotiv.
Schuberts Neubeginn im Quartettschaffen scheiterte zunächst – wie jener in der Sinfonie. Im Gegensatz zur Sinfonie, wo aus den Jahren 1818 bis 1824 vier Versuche, darunter die berühmte „Unvollendete“, vorliegen, gibt es im Quartettschaffen jener Zeit nur einen abgebrochenen Anlauf, den c-moll-Quartettsatz (zu dem noch 41 Takte eines langsamen Satzes kommen) von 1820 (D 703). Operierte dieser Sonatensatz mit extremen Gegensätzen, c-moll-Unruhe einerseits und der lyrisch weitgespannten Kontrastmelodie des Seitensatzes andererseits, so lebt das vier Jahre später vollendete a-moll-Quartett fast durchweg vom lyrisch Zurückgenommenen. Unruhe allerdings fehlt nicht. Das a-moll-Quartett sei, so schrieb Schuberts Freund, der Maler Moritz von Schwind, "im ganzen sehr weich, aber von der Art, dass einem Melodie bleibt wie von Liedern, ganz Empfindung". Tatsächlich klingen Lieder an: Im 1. Satz, der weich zwischen der Unruhe der Begleitfiguren und der Ruhe der Kantilene schwankt, ist es das zehn Jahre ältere Gretchen-Lied "Meine Ruh ist hin" (D 118). Eine ganz andere Unruhe als jene des c-moll-Satzes! Zu Beginn des wenig tanzhaften Menuetts erklingt im Cello ein Motiv, das an den Beginn des Schiller-Liedes "Die Götter Griechenlands" (D 677, 1819) erinnert, das A-dur-Trio zitiert daraus die Melodie zu "Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur". Anders als im zeitgleich geplanten d-moll-Schwesterwerk, welches die Unruhe und Unheimlichkeit des c-moll-Satzes wieder aufgreift, verwendet Schubert im 2. Satz 16 Takte lang nicht etwa ein Lied, sondern das 2. Entre-Act aus der Schauspielmusik zu "Rosamunde", schreibt aber keine Variationen dazu (was er im Impromptu D 935/3 nachholt). Das liedhafte Stück dient im Schauspiel dem nachdenklichen Zurückblicken – und so wirken auch die Anklänge im Quartett, sogar das alla zingarese im Finale. Darin zeigt sich nicht, wie man lange glaubte, Schuberts Unfähigkeit, unabhängig von Liedern zu komponieren, sondern ein gezieltes, in der entscheidenden Phase der Neuorientierung reflektierendes Zurückblicken, das in anderer Weise auch im d-moll-Quartett geschieht (Liedvariationen über „Der Tod und das Mädchen“, Anklänge an „Erlkönig“ etc.).
rs