Die Zahl der Klavierquartette ist nicht allzu gross. Nehmen wir zu den heute aufgeführten Komponisten und ihren weiteren Werken der Gattung noch Schumanns Es-dur-Quartett dazu, dann haben wir die hervorragendsten Kompositionen der Gattung bereits erwähnt. Natürlich gibt es daneben eine ganze Reihe weiterer Werke, von Beethoven über Weber und Mendelssohn, von Chausson bis hin zu Richard Strauss, die gelegentlich zu hören sind. Die beiden Quartette von Fauré und Brahms waren bereits vor knapp zwanzig Jahren (am 19. Januar 1988) gemeinsam zu hören, interpretiert von einem fast gleichnamigen Ensemble, dem Quartetto Fauré di Roma – seither aber nicht mehr. Höchste Zeit also für eine erneute Aufführung; und auch Mozart darf man sich nach 15 Jahren wieder einmal zu Gemüte führen.
Angesichts der Meisterwerke, welche das g-moll- und das Es-dur-Klavierquartett Mozarts darstellen, ist es bedauerlich, dass es bei diesen beiden Stücken geblieben ist; ein geplantes drittes kam nicht zustande. Sie bilden im Bereich der Kammermusik den Gegenpol zu den Klavierkonzerten, welche ja zu den beliebtesten und schönsten Instrumentalwerken Mozarts gehören. Man spürt Mozarts Vorliebe und Vertrautheit mit seinem eigenen (Haupt-)Instrument überall. Die Quartette sind allerdings wirkliche Kammermusik (nicht wie die auch für Klavier und Streichquartett eingerichteten Klavierkonzerte KV 413–415); das Klavier ist bei aller Virtuosität vorbildlich in das Gesamtgefüge eingebaut. Hatte das 1. Quartett mit einem aufwühlenden, von impetuoser Geste eröffneten g-moll-Satz begonnen (auf welchen dann ein sanft-sanglicher langsamer Satz und ein heiteres, wenn auch kompliziert gebautes G-dur-Finale folgen), so zeigt sich das Es-dur-Quartett als Ganzes mehr von der lichten, unproblematischen Seite. Nicht dass das Stück oberflächlicher wäre als das Schwesterwerk. Trotz zeitweisen Moll-Passagen im Kopfsatz wirkt es ausgeglichener, in den Es-dur-Partien manchmal auch festlicher, ohne allerdings zu prunken. Intimität und Sanglichkeit bestimmen das Largo in As-dur. Das Finalrondo ist verhaltener als das heitere G-dur-Stück in KV 478, bietet gleichwohl beste Unterhaltung. Das Quartett ist kurz nach dem Abschluss der Komposition von Le nozze di Figaro entstanden. Man vermeint, manches aus jener Opera buffa auch in dieser Kammermusik zu vernehmen, zumal der Figaro letztlich etwas anderes ist als eine Buffa.
In seinen ebenfalls zwei Klavierquartetten zeigt sich Fauré gegenüber manchen seiner anderen Werke von der schwungvoll-eleganten Seite. Im 1. Quartett überzeugen die Frische und die Balance in allen Stimmen. Obwohl Fauré Pianist war und das Quartett 1880 selber zur Uraufführung brachte, dominiert das Klavier nicht. Der grösste Teil des Werkes entstand 1876 in der Normandie. Das Finale bereitete Fauré grössere Schwierigkeiten; eine erste Fassung von 1879 wurde 1883 weitgehend revidiert. Im Formalen orientiert sich der Komponist an romantischen Vorbildern. Im Klanglichen allerdings gibt er hier sein Bestes. Wunderbar die Ruhe des auf einem kurzen Motiv aufgebauten melancholisch-meditativen Adagios, sublim die nie seichte Leichtigkeit und Eleganz des Scherzos. Dieses, der wohl genialste Satz des Werkes, ist rondoartig nach dem Schema A – B – A – C (eigentliches Trio) – A gebaut. Der Fauré-Biograph J.-M. Nectoux schrieb 1972 dazu: «C’est, retrouvée, la finesse des clavecinistes français du XVIIIe siècle, dans une atmosphère où l’on pressent déjà Verlaine. (...) Par la séduction immédiate qu’il exerce, c’est l’une des clefs de son oeuvre. (...) Il annonce les scherzos des Quatuors à cordes de Debussy et de Ravel.» Im Kopfsatz, einem strengen Sonatensatz, kontrastieren die in Moll bzw. Dur gehaltenen beiden Themen, die man als männlich und weiblich bezeichnen könnte. Das Finale, wiederum ein Sonatensatz, nimmt die Energie des Kopfsatzes auf und führt in einer breit ausgeführten Coda in C-dur die Themen kontrapunktisch zusammen.
Von den drei Klavierquartetten, welche Brahms ab 1855 in Planung nahm (das 3. wurde erst 1874 abgeschlossen) hat das erste am meisten Popularität erlangt. Das liegt natürlich, aber nicht nur, am alla Zingarese-Finale, demgegenüber die ersten drei Sätze scheinbar abfallen, weil man sie nach der furiosen Finale beinahe vergisst. Von der Qualität her ist dies allerdings absolut nicht der Fall. Dass das Werk höchsten Ansprüchen genügt, zeigt Schönberg mit seiner Bearbeitung für Orchester (1937), die er scherzhaft „Brahms’ Fünfte“ nannte. Diese wäre nicht entstanden, hätte nicht Schönberg Brahms wegen seiner Technik der entwickelnden Variation und wegen anderer Qualitäten bewundert. Gerade die die ersten Hörer verstörende komplexe Exposition des Kopfsatzes dürfte eine solche Passage gewesen sein, welche Schönbergs Bewunderung weckte. Dass in seiner Fassung das Finale allerdings gar zu penetrant lärmig geraten ist, liegt nicht an Brahms, der auch bei diesem volkstümlichen Stück die Dezenz der Kammermusik zu wahren weiss, auch wenn er manchmal mit Kraft in die Tasten (und in die Saiten) greifen lässt. Auch der junge Bartók hat sich von solchen Werken anregen lassen. Der ausgedehnte Kopfsatz lebt von der Spannung des abwärts führenden Hauptthemas, das zunächst vom Klavier allein, dann von den Streichern unisono übernommen wird, und der vom Cello intonierten Melodie des zweiten Themas. Auf ein Scherzo verzichtet Brahms und stellt stattdessen, wie auch sonst nicht selten, zwei einander angenäherte Sätze in die Mitte des Werkes. Zuerst kommt ein schwärmerisch halbdunkles Intermezzo in c-moll mit einem in Sexten geführten Hauptthema. Es wird von einem belebteren Trio geteilt, das in der Coda wieder auftaucht. Darauf folgt das einem sanften Menuett angenäherte liedhafte Andante in Es-dur. Sein Mittelteil wächst aus einem pochenden Motiv heraus, wobei der vom Klavier getragene Marschrhythmus von den Streichern gespenstisch umspielt wird, bis alle wieder zur Ruhe des Andante zurückfinden. Dann also kommt der stilisierte ungarische Tanz, der sich bei genauerem Hinhören nicht nur als rasantes Kehrausstück, sondern mit seinen durchaus tragischen Zügen als Gegenstück zum Kopfsatz erweist.
rs