Konzerte Saison 2008-2009

  • 28.10.2008
  • 20:15
  • 83.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino, Hans Huber-Saal

Quatuor Ébène (Paris)

Kaum fünf Jahre nach seiner Gründung gewann das Quatuor Ebène als erstes französisches Streichquartett 2004 den 1. Preis im Internationalen ARD Wettbewerb München, dazu den Publikumspreis, den Preis der Karl-Klingler-Stiftung und zweimal den Preis für die beste Interpretation. Im Jahr zuvor hatte es ex-aequo den 2. Preis (einen 1. gab es damals nicht) im Concours International de Bordeaux gewonnen, dazu den Preis für die beste Interpretation eines zeitgenössischen Werks: Es handelte sich um das Pflichtstück Alive von E. Canat de Chizy, welches es seither im Repertoire führt. Es hat es 2007 bei seinem ersten Auftritt neben Haydn und Schumann auch in unseren Konzerten aufgeführt. 1999 war das Quartett von vier Schülern des Conservatoire National de Région de Boulogne-Billancourt gegründet worden. Es folgten Studien beim Quatuor Ysaÿe am Conservatoire National Supérieur de Paris und bei Gábor Takács am Konservatorium von Genf. 2004 nahm es an einer Meisterklasse von György Kurtág teil. Das Quatuor Ebène tritt mit einem vielfältigen Repertoire regelmässig bei wichtigen Festivals und in zahlreichen Konzerten in ganz Europa auf. Es musiziert auch gerne mit anderen Musikern zusammen, um Werke in grösserer Besetzung aufzuführen. Seine Einspielungen (nach einem Jazz-Album „Eros et Thanatos“ 2002 galt die erste klassische Haydn, erschienen 2006; Bartóks Quartette Nr. 1 bis 3 sind 2007 erschienen) und seine Konzerte erhalten begeisterte Kritiken. Gerühmt werden sowohl das hervorragende Zusammenspiel als auch, speziell bei neueren Werken, die Auffächerung des Klangs und der Spielweisen.
Haydns g-moll-Quartett gehört zu jener Sechsergruppe (je 3 in op. 71 und 74), die zwar dem Grafen Apponyi (1751-1817), einem Freimaurerfreund und alten Gönner, gewidmet, aber letztlich für Londons Konzertsäle und den dortigen Konzertmanager Salomon geschrieben wurde. Der von Salomon schon bald nach der ersten, so erfolgreichen Londonreise von 1791/92 geplante neue Aufenthalt Haydns verzögerte sich allerdings und fand erst ab Januar 1794 statt. Die Quartette hatten dann allerdings grossen Erfolg. Die neue Art der „Salomon“-Quartette zeigt sich an der «Verknüpfung von quasi-symphonischer Eingängigkeit und raffinierter Detailarbeit» (W. Konold). Dazu gehört die neuartige «sinfonische» Introduktion des Kopfsatzes. Doch als einziges der sechs Quartette hat gerade das «Reiter-Quartett» keine solche, sondern geht – mit einem Reitermotiv – direkt in medias res. Dies ist bei dem so sehr auf rhythmische Prägnanz setzenden Werk nicht verwunderlich. Seinen Beinamen verdient sich das Quartett nicht erst im Finale, sondern schon im Kopfsatz. Auch das Menuett findet nach schlichtem Beginn zwischendurch zu robuster Rhythmik. Die Tonart g-moll wirkt, abgesehen vom Trio des Menuetts, weniger im mozartschen Sinne; sie wird denn auch stets rasch vom helleren G-dur abgelöst. So gewinnt das feierlich-pathetische Largo in E-dur in seiner Ernsthaftigkeit besonderes Gewicht. Am 10. Oktober 1794 schrieb der italienische Komponist G. B. Cimador (1761-1805) an einen Freund, dem er dieses Largo zukommen liess: „Hier, mein lieber Freund, ist ein Stück, das die Begeisterung aller Bewunderer jenes göttlichen Mannes erwecken wird, der es geschrieben hat.“ Das vorwärts preschende Finale dann ist wie der Kopfsatz ein Sonatensatz mit zwei kontrastierenden Themen, dem Reiterthema in g-moll und einem spielerisch bewegten in G-dur. Raffiniert, wie am Schluss, nachdem zunächst das freundliche G-dur-Thema Oberhand zu gewinnen scheint, mit Motivteilen das heftige Galoppieren mit diesem kombiniert wird.

Bartóks erstes offizielles Quartett – ihm waren von 1896 bis 1899 drei Quartette vorangegangen, deren letztes unter dem Einfluss von Brahms stand – gehört in die Übergangsphase zum eigentlichen Personalstil. Das schon ab 1907 geplante Werk gehört in die gleiche Schaffensphase wie das lange verschollene 1. Violinkonzert (uraufgeführt 1958 durch H. Schneeberger und P. Sacher in Basel), das Bartók für seine frühe Liebe, die ungarische Geigerin Stefi Geyer – wer hätte nicht für sie geschwärmt! – geschrieben hatte und dessen ersten Satz er später in den „Zwei Porträts“ op. 5 für Orchester wieder verwendete. Das Stefi Geyer-Motiv, welches dort die Grundlage für die Polyphonie des Satzes bildet, tritt in einer Moll-Variante mit zwei absteigenden Sexten (dis - fis / ais – c) auch im Eingangs-Lento des Quartetts auf. Bartók hat es als Begräbnisgesang beschrieben und scheint darin zugleich Abschied von seiner Jugendliebe und von der Spätromantik nehmen zu wollen. Erstaunlicherweise spielt er auch im ersten Satz des rund acht Jahre später geschriebenen 2. Quartetts nochmals darauf an. Bartók hält sich im 1. Quartett nicht mehr an vorgegebene Formschemata, weder im Grossen noch im Detail der einzelnen Sätze. Das mit einem Doppelkanon beginnende Quartett steigert die Schnelligkeit der Teile immer mehr und gipfelt am Ende des Schlusssatzes in wilder Energie. Dass dabei das Cello mehrfach ein pentatonisches Bauernlied zitiert, zeigt, dass Bartók bereits damals unter dem Eindruck der ungarischen Volksmusik stand, die ihn sein Leben lang nicht verlassen hat. Als ein Zeichen der Zeit wird man die bei ihm auch später beliebten Ostinati werten dürfen, wie sie im Allegretto auftauchen. Ist das Werk zwar noch kein typischer Bartók, so deuten doch viele Elemente das an, was später seine Kunst ausmachen wird, auch wenn hier noch einige Romantizismen einwirken. Das Quartett wurde erst am 19. März 1910 vom Waldbauer-Quartett im Rahmen eines reinen Bartók-Programms aufgeführt – das Quartett hatte an der Einstudierung des schwierigen Werks fast ein Jahr lang gearbeitet.

Sechs Jahre zuvor, am 5. März 1904, gelangte das einzige Streichquartett von Ravel zur Uraufführung, der seinerseits sechs Jahre älter war als Bartók. Wie um die Parallele zu vervollständigen, war auch dieses Quartett in den vorangehenden zwei Jahren (Dezember 1902, Sätze 1 und 2, bis April 1903, Sätze 3 und 4) entstanden und musste fast ein Jahr auf die Uraufführung warten. Diese rief verschiedene, z.T. heftige Reaktionen hervor: Debussy war begeistert, Ravels Lehrer und Widmungsträger Fauré fand einiges zu kritisieren, und die Klassizisten, die den Rom-Preis zu vergeben hatten, konnten gar nichts damit anfangen. Deshalb wurde Ravel 1905 die Teilnahme am Rompreis-Wettbewerb verwehrt. Dies hatte allerdings Konsequenzen: der Direktor Dubois wurde entlassen, und Fauré wurde sein Nachfolger – was ein Streichquartett nicht alles auslösen kann! Ravel hielt sich in diesem frühen Werk – er empfand es als Abschluss seiner Studienzeit – zwar an das Vorbild Debussys, und doch ist ein eigenständiges Werk entstanden, besonders in der Ableitung der meisten Gedanken aus den Themen des 1. Satzes und der Wiederaufnahme früherer Motive, insbesondere im 3. und 4. Satz. Eigenständig ist auch die Klanglichkeit, vor allem im 3. Satz, der mit seinen Tempo- und Tonartwechseln rhapsodischen Charakter aufweist. Die besonderen Klänge werden durch spezielle Spielweise, nicht zuletzt in hohen Lagen, bewirkt. Im Finale, das auf einem chromatischen Fünftonmotiv beruht, lässt Ravel, der Sohn einer Baskin, die baskische Tanzrhythmik des Zortzico anklingen (Abwechslung von Fünfer- und Dreiertakt), variiert diese allerdings selbständig.

rs

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 74, g-moll, op. 74, Nr. 3, Hob. III:74 «Reiterquartett» (1793)
Allegro
Largo assai
Menuet: Allegretto
Finale: Allegro con brio

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 1, op. 7, Sz 40 (1907/09)
Lento
Allegretto
Introduzione: Allegro – Allegro vivace

Maurice Ravel 1875-1937

Streichquartett, F-dur (1902/03)
Allegro moderato, Très doux
Assez vif, Très rythmé – Lent – 1º Tempo
Très lent
Vif et agité