Der Komponistenname Schebalin ist hierzulande kaum geläufig, wohl aber ist Kammermusikkennern der seines Sohnes Dmitrij (*1930 in Moskau) bekannt, der 1953–1996 dem Borodin Quartett als Bratscher angehörte. Der Lehrersohn Wissarion Jakowlewitsch Schebalin wurde im sibirischen Omsk geboren, wo er den ersten Kompositionsunterricht erhielt. 1923 wechselte er ans Moskauer Konservatorium zu Nikolai Mjaskowski. Nach Abschluss des Studiums 1928 wurde er an diesem Institut Lehrer und 1935 Professor für Komposition. Ab 1942 war er dessen Direktor, wurde aber 1948 im Rahmen des Beschlusses des Zentralkomitees der KPdSU mit anderen namhaften Komponisten, so auch Schostakowitsch, als «Formalist» kritisiert und seiner Ämter enthoben. 1951 durfte er seine Professur in Moskau wieder aufnehmen. Zu seinem Oeuvre gehören Ballette, Bühnenmusiken, 5 Sinfonien, 9 Streichquartette, Lieder, Chöre und andere Kammer- und Orchestermusik. Schebalin war seit den 1920er Jahren eng mit Schostakowitsch befreundet. Zu seinen zahlreichen Schülern zählten u. a. Edisson Denissow, Sofia Gubaidulina sowie Mstislav Rostropowitsch. Schostakowitsch hatte dem jungen Denissow 1950 Schebalin als Kompositionslehrer empfohlen: «Wenn er [Schebalin ans Konservatorium] zurückkehrt, dann würde ich Ihnen nicht nur raten, sondern darauf bestehen, dass Sie bei ihm eintreten. Ich glaube, dass W. J. Schebalin der beste Pädagoge für Komposition in der Sowjetunion ist.» Zweimal erhielt Schebalin den Stalinpreis, 1943 für das 5. Streichquartett. Seine Kompositionen stehen unter dem Einfluss von Mjaskowski. Beide bevorzugten einen eher akademischen Zugang zur Musik, der sich in souveräner Beherrschung des Kompositionshandwerks äussert. Schebalins Themen sind häufig wenig prägnant; der Schwerpunkt liegt auf ihrer Entwicklung und Ausgestaltung. Kennzeichnend für die Melodik ist eine ausgeprägte Chromatik. Daher ist seine Musik manchmal für den Hörer nicht unmittelbar zugänglich. Das 5. Streichquartett allerdings feiert den russischen Nationalismus, was sich in der Verwendung von Volksmelodien und in Anklängen an Werke Tschaikowskys (Streicherserenade, Finale der 4. Sinfonie) niederschlägt. Diese patriotische Haltung gerade in jenen Jahren überrascht angesichts von Hitlers Angriff auf Russland im Juni 1941 und Stalins Proklamation des «Grossen Vaterländischen Kriegs» nicht. Man denke an Schostakowitschs 7. Sinfonie, die Leningrader, von 1941. Schebalins Quartett setzt aber als Gegenpol zum Kriegshintergrund eine Betonung geradezu bukolischer Stimmungen. Wir finden sie in den beiden Andante-Sätzen in einer Art leisen Raunens in den Weiten der russischen Steppe. Einen vergleichbaren Umgang mit Volksliedgut weist das etwa gleichzeitig entstandene 2. Streichquartett Prokofieffs auf.
Die laufende Saison bringt Beethovens op. 18 zur Hälfte (Nummern 2, 5 und 6). Nach der Nummer 6 vor einer Woche folgt heute als zweites die Nummer 2. Das Opus 18 steht an der Schwelle zum Streichquartett des 19. Jahrhunderts. Das ersehen wir etwa aus Beethovens Revision der ersten drei Stücke im Jahre 1800. Wenn wir sein Verhalten und die Äusserung nach dieser Revision gegenüber Karl Amenda, dem er das F-dur-Quartett (Nr. 1) zunächst gewidmet hat («Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiss.»), richtig interpretieren, dürfen wir die Quartette Nr. 4 bis 6 als den entscheidenden Schritt vom Quartett des späten 18. zu dem des frühen 19. Jahrhunderts ansehen. Er selbst sah von der ersten zur zweiten Dreiergruppe einen qualitativen Fortschritt, der ihn nötigte, die ersten drei Werke dem neuen Standard anzupassen. (Die Entstehungsreihenfolge ist Nr. 3 / 1 / 2 / 5 / 4 / 6.) Der eigentliche Bruch mit dem 18. Jahrhundert wird sechs Jahre später mit den Rasumowsky-Quartetten op. 59 erfolgen. Bis zu einem gewissen Grad kann man die drei ersten Quartette noch der Spielmusik – wenn auch auf höchstem Niveau – des 18. Jahrhunderts zuweisen. Das wird am 2. Quartett deutlich, dem man im 19. Jahrhundert wegen seiner galanten «Verbeugungen» des ersten Satzes den Beinamen «Komplimentierquartett» gegeben hat. Aber gerade in diesem Werk ist das damals moderne Scherzo voll entwickelt. Überraschungen bietet auch das Adagio, welches von einem Allegro unterbrochen wird. Das Finale ist zwar ein Sonatensatz, gibt sich aber spielerisch.
Das 2. Streichquartett war das erste Quartett Schostakowitschs, das – 1964 – bei der Gesellschaft für Kammermusik Basel aufgeführt wurde. Es ist bis heute bei dieser einen Aufführung geblieben. Das 2. Quartett ist sechs Jahre nach dem ersten von 1938 entstanden, also noch während des 2. Weltkrieges. Dies ist dem Werk im Vergleich mit dem «heiteren, lustigen und lyrischen, frühlingshaften» (Schostakowitsch) 1. Quartett anzuhören. Man hört slawische Anklänge, die man nur allzu gerne mit Patriotismus zu verbinden geneigt ist – vielleicht ist dies ja gewollt, wie das Slawische Quartett Schebalins zeigt. Schostakowitsch widmete es denn auch seinem Freund, nachdem ihn dieser 1943 ans Moskauer Konservatorium berufen hatte. Wie schon die Satzbezeichnungen vermuten lassen, beruht das Werk auf klassischen Formen, die allerdings mit Affekten (durchaus im barocken Sinn) und Expressivität erfüllt werden. Das Quartett beginnt gleichsam opernhaft, mit Ouvertüre, Rezitativ und Arie. Der als Ouvertüre bezeichnete Kopfsatz ist ein regelrechter Sonatensatz, bei dem – wer hätte das damals ausser Schostakowitsch, der auch in der 9. Sinfonie (1945) so verfährt, noch gewagt – die Exposition wiederholt werden soll. Die Violine übernimmt das Hauptmotiv. Dieses wird in der Folge ständig verändert und erweitert und bestimmt den ganzen, von energiegeladener Kompromisslosigkeit gekennzeichneten Satz. Das Adagio in b-moll beruht auf dem barocken Schema von Rezitativ und Arie des 18. Jahrhunderts, wobei allerdings das Rezitativ nach der expressiven Romanze wieder aufgenommen wird. Der Satz ist von Klage bestimmt; sie wird in dem taktlos notierten Rezitativ von der Violine vorgetragen. Der folgende Walzer in Es-dur zeigt ein bei Schostakowitsch nicht seltenes Verfahren. Das vermeintlich Heitere wird ins Gegenteil verkehrt. Hier ist es nicht so sehr das Groteske als das spukhaft Unheimliche. So wird eine Art fahler Totentanz daraus, bevor im Mittelteil dramatischere Töne angeschlagen werden. Für das Finale wählte Schostakowitsch Variationen in a-moll über ein von der Viola vorgetragenes Thema. Hier werden die Anklänge an russische Folklore immer deutlicher. Man fühlt sich an Mussorgskys Boris Godunow erinnert. Die Verarbeitung führt von figurativem Variieren immer mehr vom Thema weg zu einem grossen Höhepunkt, bevor zum Schluss das Adagio zurückkehrt.
rs