Musikstücke, welche einem als ernst oder traurig erscheinen, müssen nicht immer einen traurigen Anlass haben. Handkehrum müssen Werke, welche etwa nach dem Tod einer für den Komponisten wichtigen Person entstanden sind, nicht unbedingt durchweg traurige Stücke sein. Und schon gar nicht müssen sie plakativ den Titel „in memoriam“ oder „Le Tombeau de NN“ tragen. Auch wenn keines der drei Werke im heutigen Programm ausdrücklich den Titel einer Trauermusik trägt, sich also alle als absolute Musik darstellen, sind sie doch irgendwie von Tragik, Leid, Trauer oder vom Gedenken an eine verstorbene Person bestimmt. Die zweimal auftretende Tonart f-moll mag ein Hinweis darauf sein.
Man hat Haydns f-moll-Quartett als tragisch und als typischen Vertreter der Tonart f-moll bezeichnet oder seine ernste, schwermütige Grundhaltung hervorgehoben. Von einem tragischen Hintergrund wissen wir jedoch nichts. Es ging Haydn wohl eher um Ernsthaftigkeit, welche das op. 20 generell gerade in der Ausarbeitung auszeichnet – es handelt sich also ganz um absolute Musik. Im ersten Satz des Quartetts Nr. 5 entwickelt sich das kantable ausgedehnte erste Thema in mehreren Windungen, bevor es in As-dur wiederholt wird. Auch das zweite Thema steht in As-dur. Das Ende des Satzes bildet eine nicht nur durch ihre Länge aussergewöhnliche Coda; sie schliesst piano in f-moll. Das Menuett steht wie bei zwei weiteren Quartetten des op. 20 an zweiter Stelle. Hier hat man neben der Weiterführung der schwermütigen Stimmung auch einen graziösen, sanften Charakter festgestellt. Das Trio bringt die Tonart F-dur, bildet aber kaum einen Kontrast zum Menuett. F-dur ist auch die Tonart des Adagio. Sein Sechsachteltakt in der Art eines wiegenden Siciliano hellt die Stimmung insbesondere in den Variationen auf. Das Finale (ohne Tempobezeichnung) wird von einer Fuge mit zwei kontrastierenden Themen gebildet. Sie kehrt in ihrer streng konsequenten Ausführung zum Ernst der Anfangssätze zurück. Über die Bedeutung des op. 20 sagte einst Donald Tovey: „Mit Opus 20 erreicht die historische Entwicklung von Haydns Quartetten ihren Endpunkt; und weiterer Fortschritt ist nicht Fortschritt in irgendeiner geschichtlichen Bedeutung, sondern schlicht der Unterschied zwischen einem Meisterwerk und dem nächsten.“ Eines der Probleme, das Komponisten bei der Sonatenform immer wieder beschäftigte (man denke an Beethovens 9. Sinfonie und Grosse Fuge), war die Gestaltung des Schlusssatzes, der gegenüber den andern Sätzen nicht abfallen sollte. Haydn wählte dazu in drei der Quartette des op. 20 eine Fuge, je eine zu 2, 3 und 4 soggetti. Seine intensive Auseinandersetzung mit den sechs Quartetten zeigen Entwürfe, von denen allerdings nur einer erhalten ist. Selbst die Reihenfolge hat er mehrfach geändert. Im Entwurfskatalog von 1772 steht das f-moll-Quartett am Anfang (Haydn bringt zuerst die Fugenquartette mit aufsteigender Anzahl der soggetti), im Druck bei Chevardière (Paris 1774), der die Opuszahl XX festlegt, an zweiter Stelle. Im Druck von ca. 1779, berühmt geworden durch das Bild der Sonne auf dem Titelblatt (darum „Sonnenquartette“), steht es an 5. Stelle; in der Neuausgabe bei Pleyel von 1802 blieb es dabei, weshalb wir das Quartett heute als Nr. 5 bezeichnen. Für die zweibändige Ausgabe bei Artaria (Wien 1800/01) hat Haydn die Werke und die Reihenfolge sorgfältig revidiert. Band I bringt die Quartette in Es (Nr. 1), A (6) und f (5); Band II jene in D (4), C (2) und g (3). Hier stehen also die beiden Moll-Werke jeweils am Ende eines Bandes. H. C. Robbins Landon vermutet, Haydn habe mit dieser Neuordnung möglicherweise sein op. 20 näher zum damals modernen op. 18 Beethovens stellen wollen, gerade mit der Betonung der dramatischsten Werke am Schluss jeder Teilserie.
Am 24. Dezember 1935 war Alban Berg 50jährig an einer Blutvergiftung infolge von Furunkulose in Wien gestorben. Das 4. Streichquartett, an dem Zemlinsky während des ersten Halbjahrs 1936 arbeitete, nimmt zweifellos darauf Bezug. Hinweise sind die Bezeichnung „Suite“ im Manuskript und der Aufbau des Werkes. Zemlinsky gestaltet die Hommage an seinen Freund als absolute Musik in Form eines „Tombeau d’ A. B.“, indem er auf Titel und Satzfolge von Bergs „Lyrischer Suite“ von 1926 anspielt, welche ihm mit einem Zitat aus seiner eigenen „Lyrischen Sinfonie“ gewidmet war. Auch im Detail gibt es Entsprechungen. So sind die sechs Sätze ebenfalls motivisch untereinander verbunden und werden je zu zweit (jeweils langsam – schnell) zusammengefasst, was das Werk letztlich dreigliedrig macht. Das Präludium beginnt verhalten. Horst Weber spricht von „versteinerten Akkordfolgen“, als ob sich Zemlinsky aus der Erstarrung nach Bergs Tod erst lösen müsste. Das lyrische Zentrum des Werks bildet das Adagietto; lyrisch bleibt auch die vom Cello eingeleitete Variationenfolge der Barcarole. Zwei Scherzo-Sätze (Burleske und Intermezzo), zu denen sich im Charakter das Fugen-Finale gesellt, bilden dazu den Kontrast. Bemerkenswert sind die kaum zufälligen „Zitate“ von Satzbezeichnungen des von Berg und Zemlinsky verehrten Mahler (Adagietto, Burleske). Zemlinsky fand in den ihm in Europa verbleibenden zwei Jahren kein Ensemble, welches das Werk in Wien, wohin er 1933 zurückgekehrt war, aufführen wollte. 1938 nahm er es bei seiner Emigration mit nach Amerika. Auch dort kam es weder zum Druck noch zu einer Aufführung. Erst 25 Jahre nach dem Tod des Komponisten erfolgte 1967 in Wien die Uraufführung. Zwölf Jahre später, vor dreissig Jahren also, spielte es das LaSalle Quartet das bisher einzige Mal in unseren Konzerten.
Am 14. Mai 1847 war Fanny Hensel-Mendelssohn an einem Schlaganfall in Berlin gestorben. Felix war vom Tode seiner Schwester zutiefst erschüttert. Nach anfänglicher Erschöpfung und Unfähigkeit zu komponieren, schrieb er im Sommer in Interlaken das f-moll-Quartett als wichtigstes Werk dieser Zeit. Es darf als eine Art Requiem für Fanny gelten, eine Klage um die geliebte Schwester. Wenn dabei noch Fragmente eines Lieblingsmotivs Fannys aufscheinen, so wird klar, wem diese Klage gilt. Das Werk ist, bei Mendelssohn eine Seltenheit, autobiographisch zu verstehen. Die Mendelssohn gelegentlich vorgeworfene oberflächlich-klangschöne Unverbindlichkeit ist wie weggefegt; es handelt um ein Ausnahmewerk von grossartiger Dynamik und Tiefe. Auch wenn gelegentlich Lyrisch-Kantables ansetzt, herrscht Zerrissenheit vor, vernehmbar in den schroffen Klängen und Tremoli des Kopfsatzes, in den Synkopen und den Tritoni des Scherzos oder in den Dissonanzen und fragmentarischen Motiven des Finales. Einzig der Klagegesang des Adagios, meist in As-dur, versucht lyrisch zu sein, so, als ob er an Lieder Fannys erinnern wollte, doch ohne dass es zu einem eigentlichen Liedgesang (ohne Worte) kommt. Hier wird auch deutlich, was Fanny für Felix war: die wichtigste musikalische Beraterin während vieler Jahre. Am 4. November desselben Jahres war auch Felix tot.
rs