Das Streichquartett op. 3 ist das letzte Werk, das Alban Berg während seines 1910 beendeten Studiums bei Schönberg und unter dessen Aufsicht – „direkt von Schönberg empfangen“ nannte es Berg – komponiert hat. Er widmete es Helene Nahowski, die gegen den Willen ihrer Familie bald darauf seine Frau werden sollte. Die Uraufführung fand am 24. April 1911 in Wien durch ein ad hoc-Quartett statt. Den Durchbruch sollte das Werk aber erst nach der Aufführung vom 2. August 1923 durch das Havemann-Quartett vor versammelter Kritik beim Salzburger Kammermusikfest erlangen. Weitere offenbar sehr erfolgreiche Aufführungen folgten. Dies veranlasste Berg 1924 wohl auch zur Revision des Werks für die Universal Edition. Die beiden Sätze sind im Tempo angeglichen, etwa gleich lang und im Material eng verwandt. Noch 1935 hat Berg daran gedacht, einen kurzen Mittelsatz einzuschieben, um die beiden (zu) ähnlichen Sätze zu trennen. Sie beginnen beide mit einer heftigen Geste der 2. bzw. der 1. Violine. Die Themen, welche zudem alle untereinander motivisch verbunden und verwandt sind, machen es einem nicht leicht, beim Hören der Satzform zu folgen, obwohl es sich um einen Sonatensatz und um ein Sonatenrondo handelt. (Wie wichtig strenge Formen für Berg waren, zeigen seine anderen Werke, etwa Wozzeck.) Die Themen selber verschleifen diese Formen für das Ohr geradezu, zumal sie intensiv verarbeitet werden. So ist für den Hörer ohne Partitur ein vor allem rhythmisch auffälliges Motiv viel leichter verfolgbar, das gleich am Beginn pianissimo in Bratsche und Cello auftaucht. Eindrücklich sind Klanglichkeit und Farbigkeit des Stücks; Berg fordert mit genauen Vortragsvorschriften dafür mannigfache Spieltechniken. Dass ihm neben den expressiven Ausbrüchen durchaus auch der Wohlklang wichtig war, zeigt er im Brief an seine Frau nach der erwähnten Salzburger Aufführung: „Es war künstlerisch der schönste Abend meines Lebens. (...) Trotz meiner grossen Aufregung (...) schwelgte ich in dem Wohlklang und der feierlichen Süsse und Schwärmerei dieser Musik. Du kannst Dir’s nach dem, was Du bisher gehört hast, nicht vorstellen. Die sogenannt wildesten und gewagtesten Stellen waren eitel Wohlklang im klassischen Sinn.“
Waren seine beiden ersten Streichquartette (op. 51/1 und 2 in c- und a-moll von 1865 bis 1873), vor denen Brahms laut einer Äusserung einem Freund gegenüber „bereits über 20 Quartette“ komponiert haben soll, durch romantische Expressivität und Leidenschaftlichkeit bestimmt, so kann das dritte als geradezu klassisch oder sogar klassizistisch gelten. Es ist schlichter und weniger von motivischer Arbeit geprägt als die beiden Vorgänger und dazu vorwiegend heiter; es überrascht mit mehr Freiheit und Anspielungen. Brahms dürfte nach dem endlich gelungenen Abschluss der 1. Sinfonie richtig entspannt gewesen sein. Er musste nun weder sich noch der musikalischen Welt beweisen, was er alles beherrscht und was für eine anstrengende Sache anspruchsvolles Komponieren ist. Das Quartett entstand im Sommerurlaub 1875 im hübsch gelegenen Ziegelhausen am Neckar östlich von Heidelberg, wo Brahms auch an der 1. Sinfonie gearbeitet hatte. Im Mai 1876 spielte das Joachim-Quartett das Werk im privaten Rahmen bei Clara Schumann in Berlin, im Herbst öffentlich ebenfalls in Berlin; kurz danach folgte das Hellmesberger-Quar-tett in Wien. Schon der Beginn mit einer (bewussten?) Anspielung auf die Hornrufe von Mozarts Jagdquartett KV 458 oder vielleicht auch als Selbstzitat aus dem Scherzo des Streichsextetts op. 18, beides Werke in B-dur, gibt den Grundton an. Rhythmisch wird das Spielerische durch die Gegenüberstellung und zeitweise Überlagerung von 6/8- und 2/4-Takt geleistet. Das romanzenhafte Andante in F-dur zeigt dreiteilige Liedform, wobei der Mittelteil, meist in d-moll, freier und dramatischer ist. Besonders angetan war Brahms vom dritten Satz, den er als zärtlich und leidenschaftlich zugleich auffasste. Es handelt sich eher um ein Intermezzo als um ein echtes Scherzo, das zudem Elemente aus dem bereits scherzohaften Hauptthema des Kopfsatzes übernimmt. Auffällig ist die führende Rolle der Bratsche, um deretwillen sogar Geigen und Cello mit Dämpfer zu spielen haben. Dafür hat sie am Beginn des a-moll-Trios zu schweigen, als ob Brahms auf die Bezeichnung dieses Teils anspielen wollte. Bald darf sie aber auch hier ihre Führungsrolle wieder übernehmen. Die Klanglichkeit dieser Instrumentation gibt dem Satz etwas Notturnohaftes. Das Finale mit Thema und acht Variationen, in denen Brahms seine Meisterschaft in dieser Form beweist, erhält auch umfangmässig das grösste Gewicht im Quartett. Anspielungen fehlen auch hier nicht: Taucht da nicht in der 7. Variation das Jagdthema aus dem Kopfsatz wieder auf und spielt im Variationenreigen mit?
rs