Konzerte Saison 2010-2011

  • 7.12.2010
  • 20.15
  • 85.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Tokyo String Quartet (New York)

Das Toyko String Quartet wurde von Studenten der Musikhochschule Tokio während ihres Studiums bei Mitgliedern des Juilliard String Quartets (Robert Mann, Raphael Hillyer und Claus Adam) an der Juilliard School New York 1969 offiziell gegründet. 1970 gewann es den ARD-Wettbewerb in München, was eine weltweite Karriere einleitete. Bald galt es als eines der hervorragendsten Quartette überhaupt, bald erschienen auch gerühmte Platten, so die Einspielung der Quartette op. 50 von Haydn (1973). Seither hat es über 40 Aufnahmen gemacht, darunter Gesamtaufnahmen von Beethoven, Schubert und Bartók. Zum Jubiläum gab das Quartett 2009 eine Reihe Konzerte in der Oji Hall von Tokio unter dem Motto «Yesterday (Debütprogramm in New York von 1970 mit Beethoven, Berg, Bartók) – Today (Programm gemäss Publikums-Abstimmung per Internet) – Tomorrow (Musik eines jungen japanischen Komponisten)». Die vier Quartettmitglieder spielen Stradivari-Instrumente, die, weil sie in Paganinis Besitz waren, «Paganini Quartett» genannt werden. Mit den Jahren hat es Besetzungswechsel gegeben. So hat etwa 1996 Mikhail Kopelman, zuvor Primarius beim Borodin Quartett, den 1981 für Koichiro Harada eingewechselten Peter Oundjian abgelöst. Von der ursprünglichen Besetzung ist heute noch der Bratscher dabei. Martin Beaver kam als letzter 2002 neu hinzu, Clive Greensmith 1999, Kikuei Ikeda 1974. Das Ensemble ist natürlich auch in unseren Konzerten aufgetreten: 1981, 1983, 1989 und zuletzt – in der heutigen Besetzung – am 1. Dezember 2009 mit Schubert, Berg und Brahms.
Das Es-dur-Quartett mit der merkwürdigen Opuszahl 125/1 ist eines der bekanntesten Jugendquartette Schuberts. Noch merkwürdiger aber ist, dass man zum Teil bis ins 20. Jahrhunderts gemeint hat, das Werk sei 1824, also etwa gleichzeitig mit den Quartetten «Rosamunde» und «Tod und das Mädchen» entstanden. Vielleicht liegt der Bekanntheitsgrad des Werks – neben durchaus vorhandenen Qualitäten – auch daran. Zweifel an dieser Datierung waren bei der Gesamtausgabe (Alte Gesamtausgabe, Serie V, Streichquartette, 1890) aufgekommen. Die damals vermutete Entstehung «um 1817» (darum die Nr. 10 statt der richtigeren Nr. 7) erwies sich aber noch einmal als falsch, als das fragmentarische Autograph gefunden wurde: November 1813 ist richtig. Das Werk ist also eines der zahlreichen von Schubert für das Familienquartett geschriebenen Streichquartette, und zwar das letzte während Schuberts Zeit im Schulkonvikt, das er eben im November 1813 verliess, um sich nach dem Vorbild seines Vaters für den Beruf eines Volksschullehrers ausbilden zu lassen. Die Opuszahl kam dadurch zustande, dass die Verleger, die nach dessen Tod Werke Schuberts herausbrachten, die bereits vorhandenen Opuszahlen fortsetzten. Schubert selbst hatte noch vor seinem Tod die Opusnummern 98f., 101-105 und 108 an Werke vergeben, welche er zur Veröffentlichung vorsah. Bekannt sind etwa die nur noch geplante Opuszahl 99 (op. post.; D 898) und das noch zu Lebzeiten erschienene op. 100 (D 929) für die beiden Klaviertrios. Spätere Opuszahlen stammen nicht mehr von Schubert. Das Es-dur-Quartett erschien zusammen mit dem Quartett in E-dur D 353 von 1816 (op. 125/2) im Jahre 1830 bei Joseph Czerny in Wien. Dabei hat vermutlich der Verleger das Scherzo an die zweite Stelle gesetzt, was bei Schuberts Sinfonien, Quartetten und Klaviersonaten ganz aussergewöhnlich wäre. Der lyrische Kopfsatz verzichtet auf markante Themen und setzt sie auch nicht wirklich gegeneinander ab. Das folgende Scherzo sprüht vor Vitalität, die sich auch in äusserster Kürze bemerkbar macht. Sein Trio in c-moll gibt sich über Bordunquinten des Cellos als besinnlicher Ländler. Das sangliche Adagio – das einzige in Schuberts Quartettschaffen unter lauter Andante-Sätzen – steht überraschend ebenfalls in Es-dur; es kennt keine Ausbrüche, wie sie manchen Andante-Sätzen und erst recht dem späten Schubert eigen sind, und klingt geradezu andächtig. Überschäumende Spielfreude ist dem als Sonatensatz gestalteten Finale eigen, was grosse Wirkung tut; ein wunderbar sangliches zweites Thema setzt dazu den Kontrast.

Der amerikanische Komponist Samuel Barber ist einer jener Komponisten, die man fast nur aufgrund eines einzigen Stückes kennt, obwohl oder vielleicht gerade weil er weitgehend als Postromantiker gilt und nie ein Avantgardist war. Weder seine Oper «Vanessa», 1958 gleich nach der Uraufführung in New York bei den Salzburger Festpielen aufgeführt, noch das Violinkonzert (op. 14, 1939/40) noch «Dover Beach» für Streichquartett und Singstimme (op. 3, 1931) – Barber, der eine Gesangskarriere im Auge hatte, hat das Stück selber aufgeführt – konnten sich bei uns definitiv durchsetzen. Auch die in Amerika offenbar häufiger gespielte, von Horowitz uraufgeführte viersätzige Klaviersonate von 1949, die als Meisterwerk gilt, hört man bei uns nie. Wirklich bekannt geworden ist Barber einzig durch sein Adagio for Strings, das man bei den Begräbnissen von Präsident Eisenhower und Albert Einstein gespielt hat. Dass es sich bei diesem Stück um die Bearbeitung für Streichorchester (1938 für Toscanini) des langsamen Satz aus dem Streichquartett op. 11 handelt, ist kaum bekannt. Ein zweites Streichquartett von 1947 blieb unvollendet. Das Quartett op. 11 ist in Rom entstanden, als sich der Komponist aufgrund eines Stipendiums in Europa aufhielt. Es gliedert sich in zwei Abteilungen, von denen die erste den Kopfsatz, die zweite das Adagio und das attacca anschliessende Finale umfasst. Der erste Satz in h-moll, beinahe klassisch in Form und Tonsprache, hält sich einigermassen an die Sonatenform mit drei Themen. Das erste Thema weist ein markantes Kopfmotiv auf, das im ganzen Satz bestimmend bleibt. Das zweite mit elegischem Klang und Duktus, kontrastiert dazu. Ein dritter Gedanke nimmt wieder mehr Bewegung an und spielt mit dem Hauptmotiv, während die Durchführung auf das elegische Material zurückgreift. Eine Überleitung mit dissonanten Reibungen führt zum Hauptthema zurück und somit zur Reprise. Das Adagio in b-moll ist weitgehend ein zarter, ruhiger Klagegesang voll Melancholie und steigert sich nur einmal zu grosser klanglicher Intensität. Der kurze, rund zweiminütige Schlusssatz greift, wie schon die Tempobezeichnung andeutet, auf den Kopfsatz zurück, und endet in einer Art Presto-Coda.

Am 9. November 1822 bat Fürst Nikolaus Galitzin Beethoven, für ihn «un, deux ou trois nouveaux Quatuors» zu schreiben. Die Anfrage kam Beethoven nicht ungelegen. Bereits am 5. Juni 1822 hatte er dem Verlag Peters ein Quartett in Aussicht gestellt, das spätere op. 127. Er widerrief das Angebot, da mir etwas anderes dazwischen gekommen: Es waren dies die Missa solemnis und die 9. Sinfonie – und die brauchten bekanntlich ihre Zeit. Ihre Uraufführungen fanden im April und Mai 1824 statt. Bereits im Februar 1824 hatte Beethoven die Arbeit am Quartett wieder aufgenommen und schloss es ein Jahr später ab. Die Uraufführung erfolgte am 6. März 1825 durch das Schuppanzigh-Quartett in Wien; sie war ein Misserfolg, weil das Ensemble das Stück unterschätzt und zu wenig gut vorbereitet hatte. Die Wiederholung am 23. März hingegen wurde zum Erfolg. Noch während der Arbeit am Es-dur-Quartett, wohl im Herbst 1824, konzipierte Beethoven zwei weitere Quartette, op. 132 und op. 130. Das viersätzige Opus 127 ist leichter fasslich als die drei folgenden grossen Quartette. Der erste Satz bringt nach sechs Maestoso-Takten teneramente ein lang ausgesponnenes, klar gegliedertes Thema in einer lyrischen Melodie. Trotz seinem Seitensatz in g-moll und trotz der mehrfachen Wiederaufnahme des Maestoso-Teils wirkt der Satz wie eine Idylle. Es folgt eine Variationenreihe über ein weitgespanntes, rhythmisch einheitliches, kanonartig einsetzendes Thema; ihr Charakter wechselt zwischen Unruhe, Munterkeit und Ekstase. Das Scherzo ist von nervöser Unrast geprägt; kontrapunktische Arbeit in geflüstertem Piano trägt gespenstische Züge. Das Trio wird von fahrigen Violinpassagen und stampfenden Tänzen bestimmt. Das Finale alla breve ohne eigentliche Tempobezeichnung wirkt volkstümlich, manchmal fast derb, bevor es in der ausgedehnten Coda (Bezeichnung unklar: Allegro con moto oder comodo), die im Charakter eher einem comodo als einem con moto entspricht, in lyrischer Expressivität schliesst.

rs

Franz Schubert 1797-1828

Streichquartett Nr. 10, Es-dur, op. post. 125, Nr. 1, D 87 (1813)
Allegro moderato
Scherzo: Prestissimo – Trio
Adagio
Allegro

Samuel Barber 1910-1981

Streichquartett op. 11 (1936)
I. Molto allegro e appassionato
II. Molto adagio –
Molto allegro (come prima) – Presto

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 12, Es-dur, op. 127 (1822–25)
Maestoso – Allegro
Adagio, ma non troppo e molto cantabile – Adagio molto espressivo
Scherzando vivace – Allegro – Tempo I – Presto
Finale: (ohne Tempobezeichnung) – Allegro comodo