Schuberts Neubeginn im Quartettschaffen scheiterte zunächst – wie jener in der Sinfonie. Im Gegensatz zur Sinfonie, wo aus den Jahren 1818 bis 1824 vier Versuche, darunter die berühmte «Unvollendete», vorliegen, gibt es im Quartettschaffen jener Zeit nur einen abgebrochenen Anlauf, den c-moll-Quartettsatz (zu dem noch 41 Takte eines langsamen Satzes kommen) von 1820 (D 703). Operierte dieser Sonatensatz mit extremen Gegensätzen, c-moll-Unruhe einerseits und lyrisch weitgespannter Kontrastmelodie im Seitensatz andererseits, so lebt das vier Jahre später vollendete a-moll-Quartett fast durchweg vom lyrisch Zurückgenommenen. Unruhe allerdings fehlt nicht. Das a-moll-Quartett sei, so schrieb Schuberts Freund, der Maler Moritz von Schwind, «im ganzen sehr weich, aber von der Art, dass einem Melodie bleibt wie von Liedern, ganz Empfindung». Tatsächlich klingen Lieder an: Im 1. Satz, der weich zwischen der Unruhe der Begleitfiguren und der Ruhe der Kantilene schwankt, ist es das zehn Jahre ältere Gretchen-Lied «Meine Ruh ist hin» (D 118). Eine ganz andere Unruhe als jene des c-moll-Satzes! Zu Beginn des wenig tanzhaften Menuetts erklingt im Cello ein Motiv, das an den Beginn des Schiller-Liedes «Die Götter Griechenlands» (D 677, 1819) erinnert, das A-dur-Trio zitiert daraus die Melodie zu «Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur». Anders als im zeitgleich geplanten d-moll-Schwesterwerk, welches die Unruhe und Unheimlichkeit des c-moll-Satzes wieder aufgreift, verwendet Schubert im 2. Satz 16 Takte lang nicht etwa ein Lied, sondern den 2. Entre-Act aus der Schauspielmusik zu «Rosamunde», schreibt aber keine Variationen dazu. (Das wird er 1827 im B-dur-Impromptu D 935/3 nachholen.) Das liedhafte Stück dient im Schauspiel dem nachdenklichen Zurückblicken – und so wirken auch die Anklänge im Quartett. Sogar das alla zingarese im Finale legt mehr Wert auf Besinnlichkeit als auf Kehraus. Darin zeigt sich nicht, wie man lange geglaubt hat, Schuberts Unfähigkeit, unabhängig von Liedern zu komponieren, sondern ein gezieltes, in der entscheidenden Phase der Neuorientierung reflektierendes Zurückblicken, das in anderer Weise auch im d-moll-Quartett geschieht (Liedvariationen über «Der Tod und das Mädchen», Anklänge an «Erlkönig» etc.). Das «Rosamunde»-Quartett scheint in letzter Zeit besonders beliebt zu sein. Auch in unseren Konzerten war es in den letzten Jahren dreimal zu hören: Ende 2005 mit dem Artemis, 2007 mit dem Kuss und 2009 mit dem Bennewitz Quartett.
Tschaikowskys erstes Streichquartett hat – für ein Kammermusikstück eher selten – einen ziemlich banalen äusseren Anlass. Nikolai Rubinstein, der Direktor des von ihm gegründeten Moskauer Konservatoriums, Freund und Förderer Tschaikowskys, der ebenda Harmonielehre unterrichtete, hatte ihm geraten, ein Konzert mit eigenen Werken durchzuführen, um sein eher bescheidenes Gehalt aufzubessern. Weil ihm dafür aber ein grösseres Stück fehlte, schrieb der Komponist im Februar 1871 in aller Eile dieses erste Quartett – und hatte damit sogleich Erfolg: Publikum und Kritik nahmen das Quartett begeistert auf. Es ist musikantisch-spielfreudig und weist einen unverkennbaren russischen Tonfall auf. Im Kopfsatz allerdings, dessen Thema mit seinem synkopierten 9/8-Takt so eigenartig wirkt, hat man auch schon Schubert-Anklänge festgestellt. Das Andante in B-dur, durchwegs con sordini zu spielen, hat 1876 Tolstoi Tränen entlockt. Es beruht auf einem ukrainischen Volkslied im Wechsel von 3/4- und 2/4-Takt und einem salonhaften Originalthema, wie es «ein Orchester in einem Salon de thé an den Ufern des Schwarzen Meeres» (J.-A. Ménétrier) spielen könnte; die schlichte Satztechnik bewahrt es vor Banalität. Zehn Jahre später begeisterte sich sogar Eduard Hanslick für das ganze Werk und insbesondere für diesen zweiten Satz: «Eine leichtfüssige, ganz eigentlich pikante Composition, die in dem Andante, einer serenadenhaften Melodie über pizzikirten Bässen, ihre glänzendste Seite aufweist.» Das Scherzo, ein robuster russischer Tanz, ist heiter und entwickelt durch die Verlagerung des schweren Taktteils eine starke rhythmische Energie. In frohem Schwung verläuft das Finale. Es beginnt mit einem für das ganze Sück bestimmenden Quartsprung abwärts und lässt gleichsam ein russisches Dorffest aufleben. Doch auch hier klingt im abrupten Wechsel von D-dur nach B-dur Schubert an. Nach dem pianissimo-Rückgriff auf das dritte Thema im Andante-Tempo klingt die Coda triumphierend fortissimo und Allegro vivace aus.