Concerts Season 2013-2014

  • 28.1.2014
  • 19.30
  • 88.Season
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Arditti Quartet (London) Franziska Hirzel, soprano

Biography available in German ▼
Seit seiner Gründung im Jahre 1974 durch den damals 21-jährigen Irvine Arditti gilt das Arditti Quartet als das Ensemble für moderne Streichquartettliteratur. Werke vor 1900 spielt es nur wenige wie Beethovens Grosse Fuge, dafür umso lieber neue und neuste Stücke. Mehrere hundert Quartette und dazu Werke in anderer Besetzung hat es zur Uraufführung gebracht, drei auch in unseren Konzertreihen (Ferneyhough Nr. 4 1990, Wohlhauser 2001, Winkelman 2011). Die Reihe der Komponisten, die Werke explizit für die Ardittis geschrieben haben, ist lang. Kein Wunder, dass das Ensemble auch eine enge Zusammenarbeit mit diesen Kom-ponisten pflegt. Nicht nur «Weltmeister im Uraufführen» (wie die Basler Zeitung einst titelte) sind die Arditti-Musiker, sondern unbestritten auch Garanten für die höchst kompetente Interpretation Neuer Musik. Dies haben sie in über 190 CD-Einspielungen solcher Werke bewiesen. Für die beste Aufnahme zeitgenössischer Musik errang das Arditti Quartet 1999 mit Quartetten von Elliott Carter und 2002 mit Harrison Birtwistle den Gramophone award. Der enorme Einsatz für die moderne Musik wurde zudem 1999 mit dem renommierten Ernst von Siemens Musik-Preis und 2004 mit dem «Coup de Coeur» der Académie Charles Cros für den Beitrag zur Verbreitung der Musik unserer Zeit gewürdigt. Erstaunlich ist nicht nur die Breite dieses höchst schwierigen Repertoires, sondern auch, dass das Quartett diese Werke jederzeit präsent hat und aufführen kann. Die Ardittis haben bei uns auch schon früher Werke des heutigen Programms gespielt: 1990 Schönbergs 2. Quartett und 2008 Bergs Lyrische Suite. Der Plan zum heutigen Konzert mit Franziska Hirzel entstand im Anschluss an den letzten Auftritt des Quartetts bei uns als Einspringer für die Uraufführung von Helena Winkelmans Quartett 2011.

Franziska Hirzel, Sopran, gastierte an zahlreichen europäischen Bühnen und Internationalen Festspielen (Salzburger-Festspiele, Holland-, Flandern-, Rheingau-Festival, Internationales Beethoven Fest Bonn, Prager Herbst). Ihr umfangreiches Opern- und Konzertrepertoire reicht von Rameau bis zu zeitgenössischen Komponisten mit mehreren Uraufführungen. Sie erhielt Auszeichnungen für besondere Aufführungen und Aufnahmen: Diapason d’Or, Grand Prix de la Critique, EchoKlassik. Sie wirkte bei Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen mit, etwa bei Schönbergs «Moses und Aron» unter Pierre Boulez. Schwerpunkte bilden die Mélisande von Debussy, die grossen Mozart-Partien und Konzertarien, Bach-Passionen, Beethoven- und Mahler-Sinfonien. Ihre neueste Aufnahme mit Liedern von Richard Wagner, Hans von Bülow und Franz Liszt in Blu-Ray-Audio erschien im September 2013. Sie unterrichtet Sologesang in Basel.

Commentary available in German ▼

Die «Fünf Sätze» Weberns dürften für den Komponisten in mancher Hinsicht den Durchbruch gebracht haben: Befreiung von der festen Tonalität – das Wort Atonalität schätzte Webern nicht – ebenso wie von den tradierten Formen und Bekenntnis zur Kürze. Die für Webern charakteristische Kürze hängt eng mit dem Verlassen der klassischen Satzformen zusammen. Sonatenform mit Durchführung und Reprise oder Rondoform mit mehrfacher Wiederkehr des Themas waren keine unumgehbaren Zwänge mehr, und diese Freiheit der beinahe abstrakten selbst gewählten Form machte aussagekräftige Stücke von der Dauer einer halben bis zwei Minuten möglich. «Webern kann in zwei Minuten mehr sagen als die meisten anderen Komponisten in zehn.» Die Aussage von Humphrey Searle (englischer Zwölftonkomponist und Webern-Schüler, 1915-1982) können wir zu «in wenigen Sekunden» ändern: Der dritte der «Fünf Sätze» dauert gegen 40 Sekunden. Und doch sind die «Fünf Sätze» mit rund zehn Minuten noch relativ lang; die «Sechs Bagatellen» op. 9 (1911/13) werden noch vier dauern. Der erste Satz des op. 5 ist eigentlich noch ein Sonatensatz. Kürze allein ist nicht entscheidend. Wichtig ist neben der Dichte, die durchaus auch Luft lässt, die Vielfalt der Klänge, welche durch extreme Differenzierung der Spielweise erreicht wird. Der Kritiker Paul Stefan hat die Kompositionsweise umschrieben mit «Nicht ein Ton zuviel, von allem nur die letzte Frucht, das innerste Wissen, die kleinste Bewegung.» Im op. 5 ist Webern auf dem Weg dahin.

Zusammen mit Webern war Alban Berg 1904 Schönbergs Schüler geworden. Wo Webern durch Kürze und Dichte überzeugt, wirkt Berg durch Expressivität und Klangsinnlichkeit, die manchmal an Spätromantisches erinnert. Natürlich kennt auch er die neuen Klänge und setzt sie in der Lyrischen Suite gekonnt ein. Diese hat er nach Alexander Zemlinskys Lyrischer Sinfonie benannt, dem älteren Freund und Mentor gewidmet und ihm mit einem Zitat im Adagio appassionato die Reverenz bekräftigt. Dass hinter Widmung und Zitat mehr steckt, erahnt man, seit man weiss, dass das Werk der Ausdruck einer tiefen, doch unerfüllten Liebe zu Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs-Robettin ist. Man kann sich fragen, ob nicht bewusste Tarnung vorliegt. Die Lyrische Sinfonie ist eine Folge von sieben Liebesgesängen. Berg zitiert die schönste Phrase des Baritons, den Refrain «Du bist mein Eigen, mein Eigen» aus dem 3. Satz. Sieht man das Textumfeld näher an, so fällt folgende Passage der 3. Strophe auf: «Ich hab dich gefangen und dich eingesponnen, Geliebte, in das Netz meiner Musik. Du bist mein Eigen, mein Eigen, du, die in meinen unsterblichen Träumen wohnt.» Genau das hat Berg getan, wenn er die Initialen A-B und H-F «immer wieder in die Musik hineingeheimnisst». Die Zahlen 10 und 23, «unsere Zahlen», wie Berg für Hanna schreibt, bestimmen das Kompositionsschema von Sätzen und Satzteilen. «Ich habe dies und vieles andere Beziehungsvolle für Dich in diese Partitur hineingeschrieben», so ein Tristanzitat und in der Melodiestimme des Largo desolato eingewoben ein Zitat aus Baudelaires Gedicht De profundis clamavi: «Zu Dir, Du einzig teure, dringt mein Schrei aus tiefster Schlucht, darin mein Herz gefallen.» All dies geschieht im Rahmen der Zwölftontechnik und der scheinbar absoluten Musik eines Streichquartetts. In Kenntnis des geheimen Programms, das Bergs Gattin Helene nie durchschaut hat, versteht man auch die eigenartigen Satzbezeichnungen vom gioviale (ursprünglich gioioso) über das delirando der Krise des Liebesdramas bis hin zum endgültigen Verzicht im desolato. Berg charakterisierte die sechs Sätze mit 1. «...dessen belanglose Stimmung die folgende Tragödie nicht erahnen lässt» / 2. «Szene im Hause Hannas» / 3. «Liebe zu Hanna. 20.5.25» / 4. «Tags darauf» / 5. «Schrecken und Qualen, die nun folgten» / 6. mit dem erwähnten «De profundis clamavi». Aber die durchaus als absolute Musik fassbare Suite verliert dadurch ebenso wenig an Aussagekraft und Schönheit wie Janáčeks fast gleichzeitiges 2. Streichquartett mit seiner ähnlichen «Thematik».

Der die «Luft von anderem Planeten» als erster gespürt, sie seinen Schülern vermittelt und zudem den George-Text an entscheidender Stelle vertont hat, war Schönberg. Das 2. Streichquartett ist das Werk dieses Übergangs, bei dem sich einerseits Tonartenbindung (fis-moll im Kopfsatz) und andererseits der Verzicht auf die feste Einbindung ins Tonartensystem (im 2. Satz mit dem Volksliedzitat) finden. Merkwürdigerweise ist dieses Quartett wie dasjenige Bergs, wenn auch mit vertauschten Rollen, eng mit der Beziehung zu einer Frau verbunden. Auch Schönberg bedient sich eines unüberhörbaren Zitats, und auch Zemlinsky ist beteiligt, dazu am Rande Webern. Schönberg war nicht nur Schüler Zemlinskys, der sein einziger Lehrer war, er hatte 1901 auch dessen Schwester Mathilde geheiratet. Diese hat ihn 1907 mit dem Maler Richard Gerstl betrogen und verlassen, was Schönberg in eine tiefe Krise stürzte. Es gelang zwar Webern, Mathilde und Schönberg wieder zusammenzubringen – doch da war nichts mehr wie früher. Das Zitat «O du lieber Augustin, alles ist hin...» im 2. Satz gibt dieser Stimmung Ausdruck. Neu an diesem Quartett ist der Einbezug der Singstimme. Was in der Sinfonie seit Beethoven nicht häufig, doch möglich und seit Mahler gängig geworden war, bedeutete in einem Streichquartett beinahe einen Tabubruch. Auch in den beiden «Vokalsätzen», in denen die Singstimme in den Streichersatz eingebaut ist, wird die feste Grundierung auf einer Tonart aufgehoben. Dazu kommt die in Georges Texten ausgedrückte Lösung vom Irdischen ins geradezu Mystische. Die neue Musik Schönbergs, welche damals Skandale auslöste, und die seiner Schüler musste wie «Luft von anderem Planeten» wirken: Neue Welten öffnen sich. Und so ist Schönbergs Wahl gerade dieser Texte und speziell des Gedichts «Entrückung» mehr als nur die Klage über den Verlust, wie es «Litanei» zunächst nahe legen könnte, sondern bedeutet das bewusste Verlassen gewohnter Wege und Suche nach Neuem. 1923 wird sich dies definitiv in der Kompositionstechnik «mit zwölf nur aufeinanderbezogenen Tönen» erfüllen.

Anton Webern 1883-1945

5 Sätze für Streichquartett, op. 5 (1909)
Heftig bewegt. Tempo I – Etwas ruhiger, Tempo II
Sehr langsam
Sehr bewegt
Sehr langsam
In zarter Bewegung

Alban Berg 1885-1935

Lyrische Suite für Streichquartett (1926)
Allegretto gioviale
Andante amoroso
Allegro misterioso – Trio estatico
Adagio appassionato
Presto delirando – Tenebroso
Largo desolato

Arnold Schönberg 1874-1951

Streichquartett Nr. 2, fis-moll, op. 10, mit Singstimme im 3. und 4. Satz, Gedichte von Stefan George (1907/08)
Mässig
Sehr rasch
LITANEI: Langsam
ENTRUECKUNG: Sehr langsam