Konzerte Saison 2013-2014

  • 18.2.2014
  • 19.30
  • 88.Saison
  • Zyklus B
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Belcea Quartet (London)

Das Belcea Quartet, das 1994 am Londoner Royal College of Music gegründet wurde, zählt zu den renommiertesten Quartetten seiner Generation. Es ist international mit einer Rumänin und einem Polen, zwei Gründungsmitgliedern, sowie zwei Franzosen besetzt. Das Belcea Quartet konzertiert regelmässig in den grossen Konzerthäusern Europas und Amerikas und bei renommierten Festivals. Lehrer des Quartetts waren Mitglieder des Chilingirian, des Amadeus und des Alban Berg Quartetts. Es gewann 1999 den ersten Preis in Osaka und Bordeaux. Damit begann sehr rasch eine steile internationale Karriere. 2001 und 2003 erhielt es den Royal Philharmonic Society’s Chamber Music Award. Seit 2001 begann das Quartett eine feste Zusammenarbeit mit EMI, für die es nach seiner Debut-CD (Debussy, Ravel, Dutilleux) Werke von Brahms, Fauré, Mozart (Dissonanzen- und Hoffmeister-Quartett), Britten, Adès, Schubert (u. a. das Quintett mit Valentin Erben) und Bartók eingespielt hat. Die Saison 2011/12 war vollständig Beethoven gewidmet, verbunden mit Tourneen in Grossbritannien, Deutschland, Österreich, Schweden und den USA. Den Zyklus hat das Belcea Quartet daraufhin auf acht CDs beim neuen Label ZigZag Territoires eingespielt und 2012/ 2013 veröffentlicht, dort ebenfalls Janáček. 2001 bis 2006 war es Quartet in residence an der Wigmore Hall, ab 2006 ist es an der Guildhall School of Music and Drama in London und seit der Saison 2010/2011 zudem als Ensemble in Residence am Wiener Konzerthaus tätig. Dem Belcea Quartet gehören zwei Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel an, der 1. Konzertmeister Axel Schacher (seit 2011) und der Solocellist Antoine Lederlin (seit 2006). In unseren Konzerten war es zusammen mit dem Cellisten Gary Hoffman im Dezember 2008 zu Gast.
Caecilientag, oder zweimal Orpheus Britannicus

Der 22. November ist der Tag der Musikheiligen Caecilia, der in London seit 1683 gefeiert wurde. Am Vortag dieses Festes, für das er 1683 drei und 1692 eine umfangreiche Ode komponiert hatte, ist Henry Purcell im Jahre 1695 im Alter von nur 36 Jahren in London gestorben. Er war wohl der Sohn des Sängers der 1660 gegründeten Chapel Royal und Komponisten Thomas Purcell und selber Mitglied dieser Chapel, zuerst als Chorknabe, später als Organist. Dieses Amt hatte er auch an der Westminster Abbey inne. Bereits zu Lebzeiten galt er als führender englischer Komponist und erhielt den Ehrentitel «Orpheus Britannicus». Die meisten seiner Werke sind vokal: Hymnen, Anthems, Oden, Lieder und Bühnenwerke; neben der Oper «Dido and Aeneas» (1689) stehen Mischformen wie Semi-Operas (King Arthur, The Fairy Queen) und Masques. Eine davon, «The Indian Queen», ist ab April im Theater Basel zu sehen. Hier spielen auch instrumentale Stücke als Vor- und Zwischenspiele oder als Tänze eine wichtige Rolle. Absolute Instrumentalmusik dagegen ist eher selten. Es sind vor allem Kammermusikwerke wie die Sonata’s of III parts (1683) und in four parts (erschienen 1697) sowie die 1678 bis 1680 komponierten drei- und vierstimmigen Fantazias für Gambenensemble. In dieses Umfeld gehört auch die berühmte Chacony in g-moll. Genau datierbar sind die neun vierstimmigen Fantasien, welche zwischen dem 10. Juni und 31. August 1680 entstanden sind, deren Stimmen sich leicht auf ein heutiges Streichquartett übertragen lassen. Da die drei dreistimmigen und eine unvollendete Fantasie mitgezählt werden, ergeben sich höhere Nummern als 9. Entstanden ist die oft als «Fancy» bezeichnete Gattung im England des ausgehenden 16. Jahrhunderts als Übertragung vokaler Motetten auf Streichinstrumente. Daraus entwickelte sich instrumentale Kammermusik. Purcells Fantasien sind aber bereits die letzten Vertreter, da sich auch in England die Sonaten mit Basso continuo durchsetzten. Eine im Wechsel von polyphonen Abschnitten und einem homophonen, der durch die Vortragsbezeichnung slow gekennzeichnet ist, typische Form zeigt die 6. Fantasie. Es werden mehrere Themen kombiniert und kontrapunktisch verarbeitet. In der 10. Fantasie wird ein rhythmisch geprägtes Eingangsthema polyphon verarbeitet; später wird die fest gefügte Form von leichteren und spielerischen Teilen abgelöst. Auch hier tritt eine Slow-Passage dazwischen, bevor die spielerischen Elemente quick den Schluss bilden.

Am 21. November 1945 gedachte England des 250. Todestages Purcells. Dabei wurde das aus diesem Anlass komponierte 2. Streichquartett von Britten uraufgeführt. Der neue «Britische Orpheus» bezeugte so die Verehrung für seinen Vorgänger, durch den er sich zu neuen Werken anregen liess. In jene Schaffensepoche Brittens gehörten nämlich auch die ebenfalls dem Andenken Purcells gewidmeten Donne-Sonette, die Bearbeitung von Dido and Aeneas sowie die Variationen über ein Purcell-Thema in The Young Person’s Guide to the Orchestra op. 34. Dieses Interesse färbte auf Brittens Kompositionsweise ab, denn die Qualitäten, welche er an Purcell rühmte, clarity, brilliance, tenderness und strangeness, erscheinen in seinem 2. Streichquartett wieder. Der erste Satz wird von einem dreiteiligen Thema beherrscht; jeder Teil wird von einer aufsteigenden Dezime eingeleitet. Das eigentliche zweite Thema ist eine Verbindung jener ersten beiden Abschnitte. Die Durchführung wird ebenfalls aufgeteilt und von den genannten Abschnitten bestimmt. Besonders eindrücklich ist der Reprisenbeginn mit der Gleichzeitigkeit der drei Thementeile. Der Schluss in C-dur kehrt zum Anfang zurück. Der knappe Mittelsatz, ganz con sordino zu spielen, ist ein ruhelos-unheimliches Scherzo. Die eigentliche Huldigung an Purcell bildet die abschliessende, mit der alten purcellschen Namensform bezeichnete Chacony, also eine Variationenfolge über einem festen Grundthema. Dieses Grundthema wird in vier Gruppen, die durch Kadenzen der Soloinstrumente (Cello, Bratsche, 1. Geige) getrennt sind, in je sechs Variationen zuerst harmonisch, dann rhythmisch, daraufhin auf der Grundlage einer neuen Kontrapunktmelodie melodisch und zuletzt in drei krönenden Codavariationen abgewandelt. Bereits Purcell hatte in seiner g-moll-Chacony die strenge Form durch leichtes Variieren des Themas und durch freiere Zwischenspiele aufgelockert. Noch etwas: Britten wurde am 22. November 1913, am Caecilientag also, geboren. Die heutige Aufführung mag eine etwas verspätete Hommage zum 100. Geburtstag sein.

Franz Anton Hoffmeister (1754-1812) hatte die Rechte studiert, später aber zur Musik gewechselt. Neben einer grossen Zahl eigener Kompositionen ist er ab 1784 vor allem als Verleger bekannt. Bei ihm erschien 1785 von drei geplanten Klavierquartetten Mozarts das in g-moll (KV 478), das zweite (Es-dur KV 493, vollendet am 3. Juni 1786) 1787 allerdings bei Artaria – und das dritte wurde leider nie komponiert. Die geplante Werkserie für diese neuartige Besetzung – was wohl den Erfolg minderte und auch das Ende der Serie verursachte – gehörte vielleicht zu einer Art «Existenzsicherungsprogramm» für Mozart. Hoffmeister jedenfalls unterstützte den Freund öfters finanziell. Möglicherweise steht das als Hoffmeister-Quartett bekannte KV 499 in diesem Zusammenhang, ob als «Ersatz» für die erfolglosen Klavierquartette oder als Dank für Unterstützung ist unklar. Auffällig ist, dass dieses siebte der zehn späten Quartette ein Einzelopus ist. Mozart trug es am 19. August 1786 in sein Werkverzeichnis ein. Es entstand ein Jahr nach Beginn der Komposition des Figaro und erschien im selben Jahr bei Hoffmeister. Mit dem Figaro hat es die Haupttonart D-dur gemein, dazu die Mischung aus Melancholie und Buffonerie, heiterem Charme und leidvollem Ernst, welche die Oper so unvergleichlich macht. Schon das Thema des Kopfsatzes verbindet Einfaches mit Elegantem im Hauptthema, das in absteigenden Dreiklangtönen beginnt und, eingeleitet von einem punktierten Rhythmus, in eine fünffache Tonwiederholung münden. Die Motive bilden, ständig variiert, das Grundmaterial des Satzes, das zeitweise kontrapunktisch verarbeitet wird oder durch weitere Motive ergänzt und abgelöst wird. Dies macht den Satz vielfältig und doch einheitlich. Ihm folgt, letztmals an zweiter Stelle, das ländlerhafte Menuett und ein bewegtes, intensives Trio in d-moll. Kontrastreich schliesst sich das Adagio in G-dur an, von dem Alfred Einstein gesagt hat, es spreche «in noch niemals gehörter Tiefe von gewesenem Leid». Auch das Finale zeigt in den raschen Triolen, welche das Thema am Beginn in Fragmente zerlegen, als ob sie erst lernen müssten, daraus das Hauptthema zu machen, die seltsame Mischung von Heiterkeit und Melancholie, welche diesen Einzelgänger unter den grossen Quartetten mit dem Figaro verbindet.