Der 1916 in Angers geborene Dutilleux vertritt zusammen mit Olivier Messiaen (*1908) die französische Komponistengeneration zwischen dem «Groupe des Six» (Honegger, Milhaud [beide *1892], Poulenc [*1899]) und Pierre Boulez (*1925). Er gilt als Klassiker unter den modernen französischen Komponisten, der zwar zur Tradition stand, sie jedoch in origineller Weise zu verjüngen wusste, und dazu als Perfektionist, was sich am verhältnismässig geringen Umfang seines Werkkatalogs erkennen lässt. Er war Professor am Pariser Conservatoire und 1944-63 Leiter der Musikproduktion beim ORTF. Obwohl er vor allem Instrumentalwerke geschrieben hat, ist sein einziges Streichquartett erst 1976 im Auftrag der Koussewitzky-Stiftung und der Library of Congress in Washington entstanden. Es wurde am 6. Januar 1977 vom Quatuor Parrenin in Paris uraufgeführt, die amerikanische Erstaufführung durch das Juilliard Quartet – es hat das Stück 1986 auch in unseren Konzerten gespielt – folgte 1978. Dutilleux bemerkte zu seinem Werk: «Je n’avais jamais écrit jusque-là pour le quatuor. J’ai commencé par ébaucher des pièces qui se présentaient un peu comme des études à cette tâche nouvelle pour moi. Il s’agissait de fragments isolés sans véritables liens entre eux, mais que je fis parvenir au Quatuor Juilliard pour qu’ils se familiarisent avec mon écriture.» Der Komponist achtet in diesem Werk auf starke Einheitlichkeit, die mit dem Motto „Ainsi la nuit“ gleich zu Beginn vorbereitet wird. Es wirkt sich auf das ganze Stück aus, da dieses insgesamt unter dem Aspekt der Nacht steht. Dutilleux: „Tout se transforme insensiblement en une sorte de vision nocturne, d’où le titre Ainsi la nuit. Cela se présente, en somme, comme une suite d’„états“ avec un côté quelque peu impressioniste.“ Das Stück mit einer Dauer von rund 17 Minuten wird, sieht man von einer bedeutungsvollen Luftpause nach dem 3. Satz ab, ohne Pausen gespielt. Nach der achttaktigen, mottoartigen Introduktion (Libre et souple) folgen sieben Sätze, von denen die ersten fünf jeweils durch Parenthèses genannte kurze Zwischenspiele getrennt sind. Wie in anderen Werken dienen sie einem „concept de mémoire“, das dem Komponisten wichtig ist, indem er durch Rückbesinnung bzw. Vorwegnahme Verbindungen zwischen einzelnen Sätzen und mit den Parenthèses herstellt. Die Sätze zeigen aber unter dem Aspekt des Kontrasts auch ein breites Spektrum an Vielfalt. Im Schlussstück „Temps suspendu“ zersetzen sich die früheren Elemente bis hin zur Erstarrung.
„Tutto nel mondo è burla – Alles in der Welt ist Posse.“ So beginnt das Schlussstück von Verdis letzter Oper „Falstaff“ (Uraufführung am 9. Februar 1893 an der Mailänder Scala) – in Form einer Fuge. Der achtzigjährige Komponist beschloss damit witzig sein Opernschaffen, indem er sich über die Welt als Narrenhaus mokiert und mit der Erkenntnis endet, im Stück – im Leben? – seien „tutti gabbati – alle betrogen“, auch die, welche kurz zuvor noch glaubten, sie hätten die Lage im Griff. Wenig zuvor hiess es „Ride ben chi ride la risata final – Gut lacht, wer den letzten Lacher lacht.“ Lachen – ist das die Quintessenz eines langen Lebens? Nachdem er 24 ernsthafte Opern und jung eine komische geschrieben hatte, lässt er sein Schaffen im Lachen enden. Erstaunlich ist, dass er bereits zwanzig Jahre zuvor im Streichquartett den Schlusssatz nicht nur als Fuge gestaltet hat, sondern sie als Scherzo in raschestem Tempo charakterisiert. Im einzigen Werk einer Gattung, die man Verdi kaum zutraut, die er aber bestens kannte, sie aber nicht für „italienisch“ hielt, nimmt er senza parole den Schluss der letzten Oper vorweg. Bereits im vorangehenden Satz (Prestissimo), dem eigentlichen Scherzo, das als Trio eine kantable Serenade mit „Gitarrenbegleitung“ aufweist, scheint der spätere Falstaff-Ton präsent. Sein durcheinander wirbelndes Geschwätz dürfte man allerdings eher den „lustigen Weibern“ zuschreiben als der Schlussweisheit Falstaffs; das Trio lässt in den hohen Cellophrasen an den schmachtenden Ton Fentons denken. Der Kopfsatz deutet musikalisch die Entstehung des Quartetts an: 1873 musste Verdi in Neapel bei der Einstudierung der „Aida“ eine dreiwöchige Pause einlegen, da die Sängerin der Titelrolle, Teresa Stolz, an einer Halsentzündung litt. Da komponierte er zum Zeitvertreib eben ein Streichquartett – und schon beim ersten Thema scheinen Anklänge an „Aida“ auf, speziell an Passagen der Amneris am Beginn der Oper. Die Vortragsbezeichnung dolcissimo, con eleganza im nicht tiefgründig sein wollenden Andantino passt durchaus auch ins Opernhaus. Obwohl man bei Verdi immer dieses Opernhafte sucht (und findet) – das Quartett ist ein originelles Kammermusikwerk. Verdi dachte zunächst nicht an öffentliche Aufführungen und liess es nur im Freundeskreis spielen; erst drei Jahre später gab er es frei. Er wusste selber nicht (oder tat wenigstens so), was er von dem Werk halten solle, „aber dass es ein Quartett ist, das weiss ich!“