Der am vergangenen 21. Juni im 90. Lebensjahr verstorbene Gunther Schuller war der Sohn deutscher Einwanderer. Er studierte Flöte, Horn und Musikwissenschaft und war zunächst als Hornist im Cincinnati Symphony Orchestra und im Met-Orchester tätig. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Jazz und verfasste eine «History of Jazz». Von seinen fünf Streichquartetten ist das letzte 2013 entstanden; das dritte von 1986 hat das Emerson Quartet 1987 bei uns aufgeführt. Das vierte entstand im Frühjahr und Frühsommer 2002 zum Andenken an den Geiger Felix Galimir (1910-1999). Die Uraufführung spielte das Juilliard String Quartet im September 2002 in Detroit. Schuller schrieb dazu (gekürzt): «Dieses Quartett weicht in mehrfacher Weise von meinen früheren drei Quartetten ab, besonders erkennbar in der formalen Gestaltung mit zwei langsamen Sätzen, welche einen raschen umrahmen. Gesamthaft ist die harmonische Sprache äusserst reich und eindringlich mit Partien in achtstimmiger Notation. Die Eröffnungstakte bilden eines meiner besonderen Kompositionsprinzipien, das während vieler Jahre mein Werk bestimmt hat: der Gestaltung einer musikalischen Idee oder eines musikalisches ‚Statement’, welche die Aufmerksamkeit des Zuhörers weckt. Alle vier Instrumente tragen, jedes in seiner Weise, in den ersten vier Takten zu dieser Idee bei. Den Hauptteil des ersten Satzes kennzeichnet eine ausgedehnte und dicht gewobene chromatische Episode, in welcher die drei oberen Instrumente (mit der ersten Geige in der Führungsrolle) ihre Melodie über einem durchgehenden Orgelpunkt des Cellos spielen – das etwa eineinhalb Minuten lang. Diese Episode kehrt später in umgekehrter Form wieder, jetzt mit dem Orgelpunkt in der ersten Geige. Ein weiterer ungewohnter und für mich neuer Zug tritt in der Satzmitte auf, wo plötzlich eine nervös-bewegte Musik mit der langsameren Orgelpunkt-Musik alterniert. – Der zweite Satz ist im Wesentlichen ein ungestümes Scherzo in ABCA-Form. Ich war versucht, ihn ‚sound shards’ (‚Klangfetzen’) oder, wie es vielleicht Debussy getan hätte, ‚Sturmwolken’ zu nennen. Diese zunächst ruhelos vorwärts drängende Musik macht zwei sanfteren, ruhigeren Mittelabschnitten Platz. Im Adagio-Abschnitt gibt es zwei versteckte Anspielungen auf Beethoven und Mozart. Die Reprise der drängenden Musik beschliesst den Satz. – Im dritten Satz kehrt die Ruhe mit einer marschähnlichen, langsam bewegten Musik im ¾-Takt zurück. Hier arbeitete ich mit einem eher ungewöhnlichen Wechsel im Spiel mit und ohne Vibrato. Ein feiner, leicht gewebter Mittelteil schlägt unvermittelt in einen kurzen ‚Sommersturm’-Ausbruch um. Vier mächtige Zwölfton-Akkorde künden die Coda des Werks an, eine imposante Unisono-Passage mit überraschendem Ende.» Dabei kommt nach Mozart und Beethoven, wenn auch nicht nach Noten zitiert, noch der dritte im Bunde zum Zug...
Auch Bartóks 5. Quartett ist mit den USA verbunden. Es entstand sechs Jahre nach dem vierten als Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge (1864-1953) in nur vier Wochen im August/September des Jahres 1934. Für Bartók, der oft lange um ein Werk rang, ist das auffallend kurz. Auf Wunsch der Auftraggeberin spielte das Kolisch Quartett, zugleich Widmungsträger, die Uraufführung am 8. April 1935 in Washington. Mit dem 4. Quartett hat es die äussere Form – man hat sie Bogen- oder Brückenform genannt – gemeinsam: Vier Sätze legen sich, was Tempo, Charakter, Dauer und weitere Gesichtspunkte betrifft, symmetrisch um einen zentralen Satz herum. Beim Vorgänger war das ein langsames Stück (Non troppo lento), um das zwei Scherzi stehen; beide Aussensätze hatten ein rasches Tempo. Im 5. Quartett geht Bartók punkto Symmetrieachse noch etwas weiter, wird diese doch vom Trio (Vivacissimo) eines Scherzos in der Mitte des ganzen Werks gebildet. Dieser Mittelsatz ist kein rein heiteres oder heftiges Scherzo, sondern wirkt gelegentlich geradezu verspielt. Ebenso wenig bilden, wie die Bezeichnung alla bulgarese andeuten könnte, bulgarische Melodien das Material. Bartók bezieht die Bezeichnung auf die Rhythmik mit ungleichmässigen, ständig wechselnden Metren. Im con sordino zu spielenden Trio etwa ist die Taktform mit 3+2+2+3/8 angegeben. Auch die übrigen Sätze nehmen die Bogenform auf, einerseits im Rückgriff auf den «Spiegelsatz», andererseits auch im Satzinnern. So treten im Kopfsatz in Sonatenform mit drei Themen in der Reprise die Teile rückläufig auf. Seine Themen werden im Schlusssatz wieder aufgegriffen und verarbeitet. In dessen Mittelteil steht eine Fuge. Die beiden den Mittelsatz rahmenden langsamen Sätze hängen insofern zusammen, als das Andante das Thema des Adagio frei aufnimmt und weiterentwickelt, wie auch im Scherzo die Reprise eine Variante des ersten Teils ist. Kommt dazu, dass das Werk Elemente der ‚klassisch-ernsten’ Musik und der Volksmusik harmonisch verbindet. Auch wenn, vor allem im ersten Satz, das Heftige nicht zu kurz kommt, wirkt das Stück eher heiter und transparent.