Konzerte Saison 2015-2016

  • 12.1.2016
  • 19:30
  • 90.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Borromeo String Quartet (Boston)

Das Borromeo String Quartet wurde 1989 von Nicholas Kitchen und Mitstudenten vom Curtis Institute of Music Philadelphia gegründet und spielte in dieser Besetzung bis 2000. Von damals sind der 1. Geiger und die Cellistin bis heute dabei. Das Quartett gewann mehrere bedeutende Preise, so 1990 den 1. Preis beim Wettbewerb von Evian, 1998 den Cleveland Quartet Award, 2001 den Lincoln Center’s Martin E. Segal Award und 2007 den Avery Fisher Career Grant. Es war Ensemble-in-residence bei verschiedenen Institutionen und Konzert¬organisationen in den USA. Als erstes Quartett verwendete es auf der Konzertbühne Laptop-Computer als Notenträger, nicht zuletzt, weil es jeweils Partituren mit allen Stimmen benutzt. Seit 2003 machte es eigene Aufnahmen und Videos von seinen Konzerten, die es über mehrere Jahre durch sein «Living Archive» verbreitete. Die Borromeos sind auch begeisterte Erzieher, welche für jegliches Alter Aufführungen im klassischen wie im zeitgenössischen Repertoire auf neuen Wegen fördern und dazu Multi-Media-Techniken nutzen, um den oft überraschenden schöpferischen Prozess, der hinter einzelnen Werken steckt, oder bei andern den Aufbau graphisch aufzuzeigen. Häufig spielt es Werke zyklisch. Gerühmt wurde es für seinen Bartók-Zyklus ebenso wie für das Projekt «Bartók: Paths not taken», bei dem es eine Reihe von wieder entdeckten alternativen Sätzen, die Bartók für seine sechs Quartette entworfen hatte, darbot. Auch die Beethoven-Quartette spielt es gerne in grösserem Zusammenhang. Dabei hat es seine überraschenden Entdeckungen in den Manuskripten in Vorkonzerten vorgestellt. In seinem Repertoire finden sich ein Schostakowitsch-Zyklus genauso wie Zyklen von Mendelssohn, Dvořák, Brahms, Schumann, Schönberg, Janáček, Lera Auerbach, Tschaikowski und Gunther Schuller.
 Das Quartett hat mit einigen ihm wichtigen zeitgenössischen Komponisten zusammen gearbeitet, so mit Gunther Schuller, John Cage, György Ligeti, Steve Reich, Osvaldo Golijov, Jennifer Higdon, Steve Mackey, John Harbison, Leon Kirchner und andern.
Haydns letzte Sechserserie von Streichquartetten erschien 1799. Entstanden sind sie wohl 1796/97, zwei Jahre nach der letzten Sinfonie Nr. 104. Da Haydn die berühmte Kaiserhymne erst Ende Januar 1797 vollendete, dürfte das sogenannte Kaiserquartett erst danach entstanden sein. Die Autographe sind verloren. Dass der Widmungsträger Graf Joseph Erdödy sie für einige Zeit zum alleinigen Gebrauch erhielt (was ihn 100 Dukaten kostete), erklärt wohl die relativ späte Veröffentlichung bei Artaria. Das op. 76 wurde mehrfach zur bedeutendsten Werkgruppe Haydns erklärt; man hat es als Ernte oder krönende Zusammenfassung seines Quartettschaffens bezeichnet. Das 6. Quartett hat nicht die Bekanntheit anderer Nummern (etwa der Nr. 2 «Quinten-» und 3 «Kaiserquartett») erreicht; es ist aber eines der ungewöhnlichsten. Erstaunlich, dass man es eher selten im Konzert hört (bei uns nur 1979 und 1982). Sein Kopfsatz wird von einem Thema, das, ohne klare melodische Struktur, kaum für Variationen zu taugen scheint, und vier Variationen eher unkonventionell eingeleitet. Die vierte schlägt in ein Allegro um und enthält ein aus einer Gegenmelodie entstehendes Fugato. Wie beim «Kaiserquartett» bleibt das Thema als Cantus firmus durchwegs erhalten. Am überraschendsten dürfte das folgende Adagio, eine Fantasia im entfernten H-dur, sein. Dieses H-dur wird wiederholt von gewagten Abweichungen in andere Tonarten abgelöst: Haydn nutzt die Freiheit der «Fantasie» auch im Harmonischen. Das Menuett ist mit Presto überschrieben (generell sind die Menuette im op. 76 rasch), als ob es ein Scherzo wäre. In der Tat sind wir weit weg vom klassischen alten Tanz. Dazu trägt auch die 24mal wiederholte viertaktige absteigende Es-dur-Basslinie inklusive Fuge bei. Das ¾-Takt-Finale, ein Sonatensatz, wird mit einem erneut tonleiterhaften Motiv vom Rhythmus beherrscht. Trotz hohem Tempo ist es kein Kehrausfinale, wohl aber ein echtes pezzo spiritoso.

Der am vergangenen 21. Juni im 90. Lebensjahr verstorbene Gunther Schuller war der Sohn deutscher Einwanderer. Er studierte Flöte, Horn und Musikwissenschaft und war zunächst als Hornist im Cincinnati Symphony Orchestra und im Met-Orchester tätig. Er beschäftigte sich intensiv mit dem Jazz und verfasste eine «History of Jazz». Von seinen fünf Streichquartetten ist das letzte 2013 entstanden; das dritte von 1986 hat das Emerson Quartet 1987 bei uns aufgeführt. Das vierte entstand im Frühjahr und Frühsommer 2002 zum Andenken an den Geiger Felix Galimir (1910-1999). Die Uraufführung spielte das Juilliard String Quartet im September 2002 in Detroit. Schuller schrieb dazu (gekürzt): «Dieses Quartett weicht in mehrfacher Weise von meinen früheren drei Quartetten ab, besonders erkennbar in der formalen Gestaltung mit zwei langsamen Sätzen, welche einen raschen umrahmen. Gesamthaft ist die harmonische Sprache äusserst reich und eindringlich mit Partien in achtstimmiger Notation. Die Eröffnungstakte bilden eines meiner besonderen Kompositionsprinzipien, das während vieler Jahre mein Werk bestimmt hat: der Gestaltung einer musikalischen Idee oder eines musikalisches ‚Statement’, welche die Aufmerksamkeit des Zuhörers weckt. Alle vier Instrumente tragen, jedes in seiner Weise, in den ersten vier Takten zu dieser Idee bei. Den Hauptteil des ersten Satzes kennzeichnet eine ausgedehnte und dicht gewobene chromatische Episode, in welcher die drei oberen Instrumente (mit der ersten Geige in der Führungsrolle) ihre Melodie über einem durchgehenden Orgelpunkt des Cellos spielen – das etwa eineinhalb Minuten lang. Diese Episode kehrt später in umgekehrter Form wieder, jetzt mit dem Orgelpunkt in der ersten Geige. Ein weiterer ungewohnter und für mich neuer Zug tritt in der Satzmitte auf, wo plötzlich eine nervös-bewegte Musik mit der langsameren Orgelpunkt-Musik alterniert. – Der zweite Satz ist im Wesentlichen ein ungestümes Scherzo in ABCA-Form. Ich war versucht, ihn ‚sound shards’ (‚Klangfetzen’) oder, wie es vielleicht Debussy getan hätte, ‚Sturmwolken’ zu nennen. Diese zunächst ruhelos vorwärts drängende Musik macht zwei sanfteren, ruhigeren Mittelabschnitten Platz. Im Adagio-Abschnitt gibt es zwei versteckte Anspielungen auf Beethoven und Mozart. Die Reprise der drängenden Musik beschliesst den Satz. – Im dritten Satz kehrt die Ruhe mit einer marschähnlichen, langsam bewegten Musik im ¾-Takt zurück. Hier arbeitete ich mit einem eher ungewöhnlichen Wechsel im Spiel mit und ohne Vibrato. Ein feiner, leicht gewebter Mittelteil schlägt unvermittelt in einen kurzen ‚Sommersturm’-Ausbruch um. Vier mächtige Zwölfton-Akkorde künden die Coda des Werks an, eine imposante Unisono-Passage mit überraschendem Ende.» Dabei kommt nach Mozart und Beethoven, wenn auch nicht nach Noten zitiert, noch der dritte im Bunde zum Zug...

Auch Bartóks 5. Quartett ist mit den USA verbunden. Es entstand sechs Jahre nach dem vierten als Auftrag der amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge (1864-1953) in nur vier Wochen im August/September des Jahres 1934. Für Bartók, der oft lange um ein Werk rang, ist das auffallend kurz. Auf Wunsch der Auftraggeberin spielte das Kolisch Quartett, zugleich Widmungsträger, die Uraufführung am 8. April 1935 in Washington. Mit dem 4. Quartett hat es die äussere Form – man hat sie Bogen- oder Brückenform genannt – gemeinsam: Vier Sätze legen sich, was Tempo, Charakter, Dauer und weitere Gesichtspunkte betrifft, symmetrisch um einen zentralen Satz herum. Beim Vorgänger war das ein langsames Stück (Non troppo lento), um das zwei Scherzi stehen; beide Aussensätze hatten ein rasches Tempo. Im 5. Quartett geht Bartók punkto Symmetrieachse noch etwas weiter, wird diese doch vom Trio (Vivacissimo) eines Scherzos in der Mitte des ganzen Werks gebildet. Dieser Mittelsatz ist kein rein heiteres oder heftiges Scherzo, sondern wirkt gelegentlich geradezu verspielt. Ebenso wenig bilden, wie die Bezeichnung alla bulgarese andeuten könnte, bulgarische Melodien das Material. Bartók bezieht die Bezeichnung auf die Rhythmik mit ungleichmässigen, ständig wechselnden Metren. Im con sordino zu spielenden Trio etwa ist die Taktform mit 3+2+2+3/8 angegeben. Auch die übrigen Sätze nehmen die Bogenform auf, einerseits im Rückgriff auf den «Spiegelsatz», andererseits auch im Satzinnern. So treten im Kopfsatz in Sonatenform mit drei Themen in der Reprise die Teile rückläufig auf. Seine Themen werden im Schlusssatz wieder aufgegriffen und verarbeitet. In dessen Mittelteil steht eine Fuge. Die beiden den Mittelsatz rahmenden langsamen Sätze hängen insofern zusammen, als das Andante das Thema des Adagio frei aufnimmt und weiterentwickelt, wie auch im Scherzo die Reprise eine Variante des ersten Teils ist. Kommt dazu, dass das Werk Elemente der ‚klassisch-ernsten’ Musik und der Volksmusik harmonisch verbindet. Auch wenn, vor allem im ersten Satz, das Heftige nicht zu kurz kommt, wirkt das Stück eher heiter und transparent.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 80, Es-dur, op. 76, Nr. 6, Hob. III:80 (1797)
Allegretto – Allegro
Fantasia: Adagio
Menuetto: Presto – Alternativo
Finale: Allegro spirituoso

Gunther Schuller 1925-2015

Streichquartett Nr. 4 (2002)
Lento moderato
Allegro energico
Lento assai

Béla Bartók 1881-1945

Streichquartett Nr. 5, Sz 102 (1934)
Allegro
Adagio molto
Scherzo: Alla bulgarese
Andante
Finale: Allegro vivace – Presto