«In meinen neueren Werken verwende ich mehr Kontrapunkt als früher. So vermeide ich wieder die Formeln des 19. Jahrhunderts, die vorwiegend homophoner Art waren. Ich studiere Mozart. Vereinigte er nicht in wunderbarer Weise kontrapunktische und homophone Ideen? Ich habe die vorklassischen Kontrapunktisten studiert, die für Orgel und Cembalo schrieben, und ich habe vor, die Partituren der alten Vokalkontrapunktisten zu lesen. Denn ich beabsichtige immer ein Lerner zu bleiben.» So äusserte sich Bartók 1928, im Entstehungsjahr des 4. Streichquartetts. Das kontrapunktische Element (Häufigkeit von Kanon und Umkehrungsimitation, etwa im Finale) verbindet sich mit dem Mittel der Variation und mit der neu entwickelten Brücken- oder Bogenform. Diese erklärt Bartók in seiner Analyse des 4. Quartetts, die er für die Studienpartitur verfasste: «Der langsame Satz bildet den Kern des Werkes, die übrigen schichten sich um diesen, und zwar ist der vierte Satz eine freie Variation des zweiten Satzes. Die Sätze eins und fünf wiederum haben gleiches thematisches Material, das heisst: um den Kern (Satz drei) bilden die Sätze eins und fünf die äussere, die Sätze zwei und vier die innere Schicht.» Dies geschieht nicht nur im Satzcharakter, z. B. der beiden Scherzi, sondern – wie Bartók andeutet – auch in der Verwendung des Materials. Das Hauptthema des 5. Satzes und das Seitenthema des 1. Satzes gehören zusammen. Und «das Thema des vierten Satzes ist mit dem Hauptthema des zweiten Satzes identisch: dort bewegt es sich innerhalb enger Intervalle der chromatischen Tonleiter, hier erweitert es sich in der diatonischen Tonreihe.» Auch die Dauer der Sätze unterstreicht diesen Bau: Sätze 1, 3 und 5 bzw. 2 und 4 sind jeweils ungefähr gleich lang, wobei die längeren Sätze etwas mehr als doppelt so lang dauern wie die beiden kürzeren Scherzi. Das Werk wird von einer konstruktiven Zelle, bestehend aus auf- und absteigenden Halbtonschritten, zu Beginn des Kopfsatzes im Cello h – c – des – c – h – b, bestimmt. Diese Keimzelle wird mehrfach variiert. Der 3. Satz, der Kern des Quartetts, beruht auf einem Variationsprinzip, dessen Mittelteil durch die Vielfalt der Spieltechniken auffällt.
Die drei Streichquartette Tschaikowskys, neben dem Klaviertrio und dem Streichsextett seine kammermusikalischen Hauptwerke, sind 1871, 1874 und 1876 entstanden; sie sind alle klassisch viersätzig. Ist das erste noch weitgehend musikantisch gehalten, treten schon beim zweiten bei aller Spielfreudigkeit tiefer empfundene und expressivere Teile auf. Das dritte nun dringt in ganz andere Sphären vor. Man hat von «seelischen Abgründen» (A. Werner-Jensen) gesprochen. Wie das spätere Klaviertrio von 1881/82, das ein Requiem für Nikolaj Rubinstein werden sollte, ist es ein Werk «in memoriam». In typisch slawischem (auto-)biographischem Bezug gedenkt Tschaikowsky hier eines Freundes, des 1875 verstorbenen Geigers Ferdinand Laub. Dieser war der Primgeiger bei der Uraufführung der beiden ersten Quartette gewesen. Jetzt soll die Vorherrschaft der ersten Geige das ausdrucksvolle Spiel des Freundes heraufbeschwören und gleichzeitig der eigenen Trauer über den Verlust Ausdruck geben. Die seltene Tonart es-moll mit sechs ♭ trägt das Ihre dazu bei. Die Klagen der Andante-Einleitung mit ihrem chromatischen Beginn (B – Ces – C – Es – D) werden nach dem ebenfalls emotional geprägten Allegro bedeutungsvoll wiederholt. Dieses Allegro nimmt die Chromatik auch gleich selber auf. Einzig das Seitenthema in B-dur wirkt lichter. Die Episode des kurzen Scherzos, ebenfalls in B-dur und im ungewohnten 2/4-Takt, wirkt wie ein Spuk oder, wie man auch gesagt hat, wie eine «dämonische Vision». Sie wird im Trio leicht aufgehellt, was aber die gedrückte Stimmung kaum unterbricht. Diese wird im trauermarschähnlichen, in der Grundtonart es-moll stehenden langsamen Satz wieder aufgenommen. Neben verbalen Bezeichnungen wie funebre, doloroso, piangendo oder con dolore weisen die Anklänge an die Totenmesse der russisch-orthodoxen Kirche in den Tonwiederholungen der zweiten Geige auf den Charakter eines Trauergesanges hin. Erst das musikantische, wenn auch konventionelle und eher kurze Rondo bricht mit dieser Stimmung und lässt das Werk im dreifachen Forte in Es-dur ausklingen. Das Quartett wurde am 18. März 1876 im Haus von Nikolaj Rubinstein erstmals aufgeführt.