Veronika Hagen, Viola
Mit dem Hagen Quartett, dessen Gründungsmitglied sie ist, war Veronika Hagen seit 1987 neunmal in unseren Konzerten zu Gast. Sie hat in Salzburg bei Helmut Zehetmair und in Wien und Hannover bei Hatto Beyerle studiert. Schon während ihrer Studienjahre gewann sie zahlreiche Preise. Nachhaltig geprägt wurde sie durch regelmässige Zusammenarbeit mit Gidon Kremer, Ivry Gitlis, Heinrich Schiff, G. Kurtág und N. Harnoncourt. Sie ist auch solistisch tätig und spielt in verschiedenen Kammermusikvereinigungen mit. Seit 1988 hat V. Hagen eine Professur für Viola und Kammermusik an der Universität Mozarteum in Salzburg inne. Sie spielt eine Viola von A. Stradivari von 1731, die sogenannte «Paganini», die ihr seit 2013 von der Nippon Foundation zur Verfügung gestellt wird.
«Haydns opus 33 ist das Epochenwerk, in dem das Streichquartett seine erste klassische Verwirklichung gefunden hat, im vollen Sinne des Begriffs.» So charakterisiert Ludwig Finscher dieses Opus. Sein als «Vogelquartett» bekanntes drittes Quartett enthält im Kopfsatz zahlreiche Melodienoten mit Vorschlägen, die man als Vogelrufe deuten kann. Auch in den anderen Sätzen kann man Vogelrufmotive hören, etwa in den Trillern des Trios oder in den wiederholten Terzen im Finale. Sie verleihen dem Werk eine verspielte Heiterkeit. Im 1. Satz tritt das Hauptthema über einer simplen Grundierung wiederholter Achtel in Violine und Viola auf. Im Scherz(and)o legt Haydn alle Stimmen tief an. Im Trio dagegen liegen sie höher, und Haydn lässt nur die beiden Geigen spielen, während die tiefen Stimmen schweigen. Das Adagio ist «der erste ganz affektstarke, auch schmerzlich bewegte Satz des op. 33» (Finscher). Haydn setzt mit zwei lyrisch-kantablen Themen einen ernsthaften Kontrast zum Scherzando. Beide werden zweimal variiert. Da treten auch idyllische Seiten hervor, vor allem in den Schlusstakten. Im C-dur-Finale, erstmals als Rondo bezeichnet, gibt sich das Thema mit fallenden Terzen und Sechzehntelfolgen im selben Tonumfang spielerisch-populär; der B-Teil klingt leicht «all’ongarese».
Das Opus 33 machte gleich Furore. Laut Hartmut Schick war es «das ‚Mass aller Dinge’ am Beginn der Wiener Klassik». Unter diesem Eindruck wandte sich auch Mozart nach beinahe zehn Jahren wieder der Quartettkomposition zu. Die sechs neuen, bei Artaria als «Opera X» erschienenen Quartette hat er Haydn in Privataufführungen vorgeführt und ihm auch gewidmet. Das «Dissonanzen-Quartett» ist wegen der damals auch formal eher ungewohnten langsamen Einleitung in c-moll berühmt, ja berüchtigt. So habe ein italienischer Käufer dem Verleger die Noten mit der Bemerkung zurückgeschickt, sie seien voller Fehler des Stechers. Und der Komponist Giuseppe Sarti (1729-1802) kritisierte sie, weil Mozart wie ein Klavierspieler schreibe, der zwischen Dis und Es nicht unterscheiden könne. Obwohl es lange vor Mozart kühnere harmonische Reibungen gegeben hatte, erregte ihr Auftauchen in einem Streichquartett und der Umstand, dass die Dissonanzen so gar nicht zur Klarheit der folgenden Sätze zu passen schienen, Unmut. Aber vielleicht wollte Mozart genau das, dass einem das C-dur gleich am Beginn des Allegro, wo es mit Leuchtkraft erscheint, stärker bewusst wird. Mark Evan Bonds hat 1993 festgestellt, wie sich Mozart für die Struktur dieser Einleitung an Haydns C-dur-Quartett orientiert hat. Haydns Quartett hat keine eigentliche langsame Einleitung, doch in den Takten 1 bis 18 eine Art implizit einleitender Form, die Mozart nun explizit zu einer Einleitung macht. Mozart hat dabei einzelne Elemente offensichtlich dem Muster nachgestaltet. Auch in den jeweiligen langsamen Sätzen hat Bonds Übereinstimmungen entdeckt, so die jeweils viertaktigen Phrasen zu Beginn, welche durch eine Dreiachtelfigur verbunden werden. Mozart greift also auf Modelle Haydns zurück, gestaltet sie aber nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen um. Das dürfte Haydn festgestellt und sich darüber gefreut haben, wie seine berühmte Bemerkung zu Leopold Mozart, die dieser im Brief an Nannerl vom 16.2.1785 erwähnt, zeigt: «ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der grösste Componist, den ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die grösste Compositionswissenschaft.»
Auch im C-dur-Quintett ist die Beziehung zu Haydns op. 33/3 spürbar. Auffälliger noch ist, dass Mozart auch sein eigenes KV 465 als Grundlage für die neue Komposition genommen hat, was Schick mit «Mozart im musikalischen Diskurs mit dem einzigen ebenbürtigen Kollegen und schliesslich mit sich selbst» umschrieben hat. Gleich zu Beginn zeigt das Quintett einen unverkennbaren Bezug zu op. 33/3: Beide Male spielt das Cello neben wiederholten Achteln in den Mittelstimmen eine über zwei Oktaven verlaufende aufwärts führende C-dur-Dreiklangreihe. Die 1. Violine vertritt die Melodie und beendet diese Phase in Takt 17 (Haydn) bzw. 18 (Mozart) mit der genau gleichen Kadenz. Im Menuett-Hauptteil führt Mozart wie Haydn im Scherzo die Stimmen tief und lässt – wie jener während des ganzen Trios – den Bass vielfach aus. Bei der Frage, ob Mozarts Menuett an 2. (Erstdruck) oder 3. Stelle (Neue Mozart-Ausgabe) stehen soll, möchte man angesichts der Gemeinsamkeiten für die zweite Stelle plädieren, da es in Haydns op. 33/3 und zudem im Schwesterquintett KV 516 dort steht. In allen drei Werken steht der langsame Satz in F-dur, und auch da lassen sich feine Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede feststellen. Komplexer wäre es, neben den Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, wie Mozart trotz vergleichbarem Material seine Themen und sein ganzes Werk verschieden gestaltet und ausweitet. Trotz dem Rückgriff auf Haydns C-dur-Quartett macht das Quintett deutlich, dass Mozart die Möglichkeiten einer neuen Gattung erprobt. Zusammen mit dem g-moll-Schwesterwerk erreicht er damit ein absolutes Spitzenniveau klassischer Kammermusik.
Es ist spannend zu verfolgen, wie Mozart die Möglichkeiten der fünf Stimmen in allen Sätzen nutzt. Beim Kopfsatzthema führen zuerst das Cello und die 1. Violine einen Dialog, welchen die drei Mittelstimmen mit Achteln untermalen. Danach kehrt sich – nach fünf gemeinsamen Takten aller Instrumente und einer Generalpause – die Reihenfolge der «Aussagen» der beiden Instrumente um. Später lässt Mozart das Anfangsmotiv jeweils um einen Takt verschoben vom Cello ausgehend durch alle Instrumente nach oben wandern. Im Menuett spielen meist zwei Instrumente gemeinsam parallel, während sich das fünfte entweder zwei anderen anschliesst oder ganz eigene Wege geht. Das Andante nennt Schick ein «einziges grosses Duett von erster Violine und erster Bratsche» und vergleicht es mit dem langsamen Satz der Sinfonia concertante KV 364. Das umfangreiche Finale, ein Sonatenrondo, ist ähnlich dicht gearbeitet wie der erste Satz. Schon der Beginn mit der Hauptstimme in der 1. Violine, dem Cellobass und den drei ähnlich geführten Mittelstimmen erinnert an dessen Anfang. Und wieder finden sich die Instrumente in verschiedener Weise zusammen bis hin zu vier- und fünfstimmigen Passagen, die gemeinsam, in ähnlichen oder ganz verschiedenen kontrapunktisch gesetzten Linien gespielt werden wie in den letzten Takten der Coda.