Konzerte Saison 2017-2018

  • 9.1.2018
  • 19:30
  • 92.Saison
  • Zyklus B
Oekolampad Basel

Quatuor Modigliani (Paris)

Das Quatuor Modigliani wurde 2003 von vier jungen Musikern des Pariser Konservatoriums gegründet und hat sich rasch zu einem der gefragtesten jungen Ensembles in Frankreich entwickelt. Die Namensgebung des Ensembles geht auf einen Ausspruch des Malers Amedeo Modigliani zurück: «Deine richtige Aufgabe ist, deinen Traum zu retten.» Es studierte später beim Quatuor Ysaÿe und hat sich bei Walter Levin und György Kurtág sowie beim Artemis Quartett in Berlin weitergebildet. 2004 bis 2006 gewann es drei erste Preise in Holland, Italien und in den USA. Das Quatuor Modigliani spielt mit namhaften Kammermusikpartnern zusammen; genannt seien Sabine Meyer, Renaud Capuçon, Michel Dalberto, Augustin Dumay, Gary Hoffman, Boris Berezovsky, Paul Meyer, Michel Portal, Gérard Caussé und Daniel Müller-Schott. 2014 übernahm es die künstlerische Leitung der Rencontres Musicales d’Evian. Es ist am Lucerne Festival (2010), bei der Schubertiade Hohenems, in Gstaad, London, Paris, Amsterdam, Wien und in aller Welt aufgetreten, seit 2010 auch dreimal in unseren Konzerten. Die Kritik sprach von einem «vorzüglichen Konzert», «brillantem Klang» und «detaillierter Feingestaltung» des Ensembles. Platteneinspielungen waren bisher u. a. Haydn, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms, französischen Quartetten (Debussy, Saint-Saëns, Ravel) und zuletzt 2017 Schumann gewidmet. Die Musiker spielen italienische Instrumente des 17. und 18. Jahrhunderts. Nach 13 Jahren der ursprünglichen Quartettbesetzung hat das Quatuor Modigliani seit dem 1. Dezember 2016 mit Amaury Coeytaux einen neuen Primgeiger. Zuvor ist es bereits 2010, 2013 und 2015 in unseren Konzerten aufgetreten.

Das Quatuor Modigliani spielt heute in verdankenswerter Weise anstelle des verhinderten Ariel Quartet.

Frühe Quartettversuche und reife Quartette

Haydns um 1760 entstandene fünfsätzige Divertimenti in Quartettbesetzung wurden als op. 1 und 2 veröffentlicht. Sie bilden den Ausgangspunkt für folgende Quartettkompositionen, können aber noch nicht als echte Streichquartette gelten, wie Haydn sie später entwickeln und zur Vollendung bringen wird. Man kann sie als eine Art Vorstudien zu einer noch nicht existierenden Gattung ansehen. Ab den noch so bezeichneten Divertimenti des op. 9 (um 1770), die Haydn seine ersten Streichquartette genannt haben soll, kommt er der neuen Gattung immer näher; mit op. 20, 33 und 50 (1781, 1785 und 1787) findet er zur vollen Reife als Quartettkomponist. 31 echte Quartette (von insgesamt 58) sind bis zum op. 54 entstanden. Dieses Opus hat der Verleger auf zwei Hefte (op. 54 und 55) aufgeteilt, da er sich so eine grössere Verbreitung und mehr Einnahmen erhoffte. Das G-dur-Quartett wird in der Literatur als «besonders beliebt» bezeichnet. Darum überrascht, dass es in unseren Konzerten bisher erst zweimal aufgeführt worden ist, zuletzt 1981. Der Kopfsatz wird vom elegant-schwungvollen Hauptthema bestimmt, mit dem die 1. Geige brilliert. Die andern Stimmen fügen neben Harmonien über viele Takte durchgehende «trommelnde» Staccato-Achtel bei. Mit solchen bestreitet auch die Primgeige den zweiten Takt des Themas. Das Motiv wird, oft nur in Teilen, geradezu satzbestimmend; es leitet auch die Schlussfloskel (Takt 12 und am Satzende) ein. Ausser im Cello fehlt es in der ruhigeren Phase nach der Schlussfloskel und gegen Ende der Exposition, wo Haydn ein hübsches Seitenthema in Achtelfiguren einfügt. Die von thematischer Arbeit geprägte Durchführung nimmt das ruhige Motiv mehrfach auf. Auch das C-dur-Allegretto im 6/8-Takt ist von staccato-Achteln geprägt. Die Primgeige spielt dazu das lyrisch-pastorale Thema und schwingt sich dabei in höchste Lagen auf. Im Menuett erklingen Staccato-Klänge im Cello, nun in Vierteln zum Thema der 1. Violine. Im Trio, in dessen erstem Teil die 1. Violine schweigt, spielt das Cello staccato-Achtel in leisen Auf- und Abbewegungen; darüber stimmen zunächst 2. Geige und Bratsche, danach die beiden Geigen eine rhythmisch reizvolle, volkstümliche Melodie an. Das Finale ist ein heiteres, einem Sonatenrondo angenähertes Presto. Sein Thema wird von drei Anfangstönen auf jeweils gleicher Höhe geprägt. Mit ihnen spielt Haydn witzig, etwa wenn er darauf Generalpausen folgen lässt, so dass man nie weiss, ob nicht doch noch das ganze Thema folgt. Mit dem Dreitonmotiv endet denn auch der Satz im Pianissimo.

Aus den frühen Jahren Weberns bis zum ersten gültigen Quartettwerk, den Fünf Stücken op. 5 (1909), gibt es zahlreiche Skizzen, Entwürfe und auch vollendete Quartettkompositionen. Zwei entstanden im Sommer 1905: Wohl aufgrund einer Aufgabenstellung Schönbergs, bei dem er 1904 sein Kompositionsstudium begonnen hatte, schrieb er im Juni einen langsamen Satz. Danach komponierte er vermutlich aus eigener Motivation während der Ferien ein einsätziges, dreiteiliges Streichquartett, zu dem ihn Segantinis «Alpen-Triptychon» (1899) anregte. Der «langsame Satz» steht in spätromantischer Tradition, wie man sie von Schönbergs «Verklärter Nacht» (1899) her kennt. Webern selbst hatte 1904 in der Idylle «Im Sommerwind» für grosses Orchester in spätromantischem Klang geschwelgt. Noch hat er nicht zu äusserst kurzen Formen und zur Atonalität gefunden. Der «langsame Satz» strahlt – biographisch bedingt – das Hochgefühl eines frisch verliebten jungen Mannes aus: Webern hatte Pfingsten mit seiner Cousine Wilhemine Mörtl mit Wanderungen verbracht und dazu in seinem Tagebuch vermerkt: «Zwei Seelen hatten sich vermählt!» 1912 sollte sie seine Frau werden. Hans Moldenhauer (Pianist und Musikwissenschaftler, mit seiner Frau Rosaleen Verfasser des Webern-Werkverzeichnisses) beschrieb den Satz so: «Die Musik verströmt rührende Lieblichkeit, von Glück erfüllte Heiterkeit schwillt in der Koda zu triumphierender Ekstase an. Das Quartett ist im Aufbau traditionell. Die motivische Arbeit zeigt Brahms’sche Enflüsse.» Die Bezüge auf Brahms mögen überraschen, wenn man Weberns Bemerkungen im Tagebuch von 1903 über eine Konzertaufführung von Wagners «Faust-Ouvertüre» und der 3. Sinfonie von Brahms vergleicht: «Br. und Wagner sind wol zwei Männ(er), die nicht auf ein Programm gehören. B. Symphonie so zurückhaltend, kalt ohne besondere Eingebung, allzu vornehm vergrübelt, wie ein frostiger Novembertag, schlecht instrumentirt, – grau in grau. – Wagner(s) Ouvertüre voll tief(s)ter Leidenschaft voll versengender Glut, voll aufwühlender Macht.» Vielleicht war es Schönbergs Einfluss, der ihn von seiner früheren Einschätzung abgebracht hat. Jener legte auch Wert auf sorgfältige Beschäftigung mit klassischer Form, wie sie im langsamen Satz vorliegt.

Liegen bei Webern frühe Entwürfe und Quartettkompositionen vor, so sind solche bei Brahms nicht vorhanden. Er hat sie vernichtet oder stark umgearbeitet. Vor den drei offiziellen Quartetten habe er, wie er dem Jugendfreund und Mitschüler August Alwin Cranz (1834-1923) schrieb, «bereits über 20 Quartette komponiert». Und Schumann berichtet, der junge Brahms habe ihm auf dem Klavier «Quartette für Saiteninstrumente – und jedes so abweichend vom andern, dass sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen» vorgespielt. Brahms sah sogar ein Quartett in h-moll als sein Opus 1 vor, ersetzte es aber durch eine Klaviersonate. Der Weg zum ersten gültigen Streichquartett war bei ihm lang und führte über Vor- und Zwischenstufen wie Klavierquartette, Streichsextette und ein Streichquintett mit zwei Celli von 1862, das später zur Sonate für 2 Klaviere und zuletzt zum Klavierquintett wurde. Erst 1873 vollendete und veröffentlichte er sein op. 51. Und da bedurfte es, wie er scherzhaft anmerkte, für die «Zangengeburt» des Chirurgen. Diesem, dem Freund Theodor Billroth, hat er sie auch gewidmet. Skizzen zum op. 51 gehen bis in die Zeit um 1865 zurück; und so wird sein Scherz verständlich. Im c-moll-Quartett überraschen ein neuer Klang und Verdichtung, stellenweise geradezu spröde Verschlossenheit, strenger Ernst und eine fast monothematische Substanz. Ludwig Finscher charakterisiert die Sätze mit «dramatisch zerklüftet» (Kopfsatz), «melancholisch» (Romanze in As-dur), «nachdenklich-versponnen» (Allegretto-Intermezzo in f-moll anstelle eines Scherzos) und «emotionale Hochspannung» (Finale). Trotz letztlich traditionsbewusster Bezugnahme – nicht nur in der Tonart – auf das Vorbild Beethoven brachte die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien durch das Hellmesberger Quartett nur einen Achtungserfolg ein. Die konsequente und komplexe Kompositionsmethode zeigt sich im Entwickeln des Materials aus wenigen Kernmotiven – was Schönberg, der Brahms als «fortschrittlich» bezeichnete, «entwickelnde Variation» nannte und dies hauptsächlich an den Quartetten op. 51 darlegte.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 57, G-dur, op. 54, Nr. 1, Hob. III:58 (1788?)
Allegro con brio
Allegretto
Menuetto: (Allegretto) – Trio
Finale: Presto

Anton Webern 1883-1945

Langsamer Satz für Streichquartett, M. 78 (1905)
Langsam, mit bewegtem Ausdruck

Johannes Brahms 1833-1897

Streichquartett Nr. 1, c-moll, op. 51, Nr. 1 (1873)
Allegro
Romanze: Poco adagio
Allegretto molto moderato e comodo – Un poco più animato
Finale: Allegro