Konzerte Saison 2021-2022

  • 15.3.2022
  • 19.30
  • 96.Saison
  • Abo 8
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Quatuor Diotima (Paris)

Im Jahr 1996 von Absolventen des Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris gegründet, hat sich das Quatuor Diotima zu einem der weltweit gefragtesten Ensembles entwickelt. Der Name spiegelt die musikalische Doppelidentität des Quartetts wider: Das Wort Diotima ist aus der deutschen Romantik entliehen – Friedrich Hölderlin gab in seinem Roman Hyperion diesen Namen der Liebe seines Lebens – und ist zugleich ein Bezug zur Musik aus unserer Zeit, man denke nur an Luigi Nonos Werk Fragment-Stille, an Diotima. Als geschätzter Partner vieler grossartiger Komponisten des späten 20. Jahrhunderts vergibt das Quatuor Diotima regelmässig Kompositionsaufträge an bedeutende Komponisten unserer Zeit. In seinen Programmen ermöglicht es durch die Verschmelzung von klassischen mit zeitgenössischen Stücken einen neuen Blickwinkel auf Werke der grossen Klassiker. Seit 2008 unterhält das Quatuor Diotima eine Zusammenarbeit mit der französischen Region Centre-Val de Loire, die mit ihm mehrere Konzerte pro Jahr veranstaltet. In Orléans stellt das Quatuor jede Saison eine eigene Konzertreihe zusammen und lädt neben arrivierten Ensembles auch junge Streichquartette ein. In der Abbaye de Noirlac findet jährlich im Frühling eine einwöchige Masterclass statt, die sich an junge Komponisten und Streichquartette richtet.

Das Quatuor Diotima gastierte am 17.10.2017 erstmals in unseren Konzerten.

Josef Suk, der 1924 mit seinem Quartett Janáceks 1. Streichquartett uraufführte, überliefert, dass dieser das Quartett «als einen sittlichen Protest gegen den Despotismus des Mannes im Verhältnis zur Frau verstanden wissen wollte. Und so interpretiert und widerlegt Janáček Tolstoi in einem Atemzug. Während der russische Dichter in seiner Kreutzersonate der Musik unsittliche Wirkung zuschreibt, erscheint hier mit erschütternder Wirkung Musik als das Gewissen der Menschheit.» Tolstois Schilderung hatte Janáček bereits 1908 zu einem Klaviertrio mit diesem Thema angeregt. Er vernichtete es zwar, doch blieb es teilweise erhalten. «Aus einigen Gedanken daraus entstand das Quartett», schrieb er 1923 an die Geliebte und ungenannte Adressatin Kamila Stösslová, die fünf Jahre später Anlass zum 2. Quartett «Intime Briefe» des Vierundsiebzigjährigen werden sollte. Das 1. Quartett ist viersätzig, entspricht aber nicht dem klassischen Schema: Sonatenform und gängige thematische Verarbeitungen fehlen. Gemäss Dietmar Holland ist der 1. Satz das Porträt der tolstoischen Frauenfigur, der 2. schildert ihr verhängnisvolles Zusammentreffen mit dem Geiger, der 3. enthüllt mit drastischer Deutlichkeit den Widerspruch zwischen der echten Liebe der Frau und der Eifersucht des Mannes, der 4. Satz vereinigt die Katastrophe mit der Katharsis. Man kann die vier Sätze als die vier Akte eines Dramas deuten.

Dieter Ammann, in Aarau geboren, in Zofingen wohnhaft, stammt aus einem musikalischen Elternhaus und musizierte in jungen Jahren mit seinem Vater und Bruder. Er studierte Schulmusik (Luzern) und Theorie/Komposition (Basel). Daneben absolvierte er eine Ausbildung an der Swiss Jazz School Bern. In den 80er-Jahren trat er mit Jazz und improvisierter Musik an internationalen Festivals auf. Später folgte die Hinwendung zur Komposition. Ammann, so sagt er, «schreibt wenig, weil langsam». Seine minutiös ausnotierte Musik steht im Spannungsfeld zwischen höchster Differenziertheit und roher Vitalität. Er erhielt zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen. 2003 war er composer-in-residence am Davos Festival und 2009 am Festival «les muséiques» Basel, in dessen Rahmen das 2. Streichquartett vom Auftraggeber, dem Amar Quartett, uraufgeführt wurde. 2010 war er composer-in-residence beim Lucerne Festival. Weitere Einladungen erhielt er von der NY University, der IGNM Wien, der Hochschule für Musik Weimar. Ammann ist Professor für Komposition an der Musikhochschule Luzern und doziert an der Hochschule der Künste Bern.

Im zweiten Streichquartett befasst sich der Komponist, wie der Titel andeutet, mit dem Überbrücken von Distanzen, die im Aufeinanderprallen unterschiedlicher Registerlagen und Lautstärkebereiche entstehen. Diese «werden durch die Gegenpole von harmonisch organisiertem Klang und komplexen Geräuschtexturen vermittelt oder spielen sich im klanglich genau ausgearbeiteten Gegeneinander von energetisch-bewegten Passagen und ruhigen Zonen ab. Zu den spannendsten Momenten findet das Werk jedoch dort, wo Ammann das Quartett-Ensemble einerseits wie ein einziges grosses Instrument mit 16 Saiten handhabt und diesem Kollektivklang andererseits Momente von Vereinzelung entgegenstellt» (Stefan Drees).

Zemlinskys katholischer Grossvater war von Ungarn nach Wien gezogen. Sein Vater fügte dem Namen ein kaum berechtigtes «von» hinzu (das der Sohn ab 1906 nur als Dirigent benutzte), trat aus der katholischen Kirche aus, heiratete eine jüdische Frau und wurde Mitglied der Sephardischen Gemeinde Wiens. Mit vier Jahren erhielt Alexander Klavierunterricht; in der Synagoge sang er im Chor, spielte später die Orgel und assistierte bei Proben. Dreizehnjährig trat er 1884 ins Konservatorium Wien ein; 1891 brachten Kompositionen erste Erfolge. Er unterrichtete Arnold Schönberg, der seine jüngere Schwester Mathilde heiratete. Zemlinsky blieb vorerst der Durchbruch als Komponist versagt, er war aber als Dirigent angesehen. Nach 1933 wurden die Probleme grösser; 1938 floh er in die USA, wo er 1942 starb. In Europa war er bis in die 1970er Jahren vergessen. Von fünf Streichquartetten wurden drei veröffentlicht. Das letzte, ein Nachruf auf Alban Berg in Anlehnung an dessen Lyrische Suite, kam postum heraus. Das 1. Streichquartett entstand nach einem an Brahms erinnernden Klarinettentrio 1896 im selben Jahr. Auch hier ist Brahms trotz Rissen, ja Verweigerungen gegenüber dem Vorbild spürbar. Dies ist im Kopfsatz hörbar, der im Umgang mit Material und Form an Schuberts Auseinandersetzung mit klassischen Prinzipien erinnert. Der 2. Satz ersetzt das Scherzo durch eine Art Intermezzo in sehr persönlicher Weise. Dem festlichen langsamen Satz mit beethovenscher Expressivität schliesst sich ein schwungvolles Finale in Brahmsmanier an. Auch hier ist mehr Innovation zu entdecken als die Klassizität der Oberfläche zunächst zuzulassen scheint.