Konzerte Saison 2022-2023

  • 1.11.2022
  • 19:30
  • 97.Saison
  • Abo 8
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Quatuor Ébène (Paris)

Kaum fünf Jahre nach seiner Gründung gewann das Quatuor Ébène als erstes französisches Streichquartett 2004 den 1. Preis im Internationalen ARD Wettbewerb München, dazu den Publikumspreis, den Preis der Karl-Klinger-Stiftung und zweimal den Preis für die beste Interpretation. 1999 war es von vier Schülern des Conservatoire National de Région de Boulogne-Billancourt gegründet worden, die sich zum Improvisieren über Jazz-Standards & Pop-Songs trafen. Bis heute hat das Quartett 3 Alben in diesen Genres veröffentlicht, Fiction (2010), Brazil (2014) und Eternal Stories (2017). Der freie Umgang mit diversen Stilen ist inzwischen zu einem Markenzeichen des Quartetts geworden, dessen Alben mit Aufnahmen von Bartók, Beethoven, Debussy, Haydn, Fauré und der Geschwister Mendelssohn mehrfach ausgezeichnet wurden, u. a. mit dem Gramophone, BBC Music Magazine und dem Midem Classic Award. Mit ihrem charismatischen Spiel, ihrem frischen Zugang zur Tradition und dem offenen Umgang mit neuen Formen gelingt es dem Ensemble, einen weiten und jüngeren Zuhörerkreis zu begeistern. Ihre Erfahrung vermitteln sie in regelmässigen Meisterkursen im Conservatoire Paris und im Rahmen der neugegründeten «Quatuor Ébène Academy» an der Hochschule für Musik und Theater München, wo Raphaël Merlin als Professor für Kammermusik wirkt. Zusammen mit Antoine Tamestit hat das Quatuor Ébène eine Aufnahme der Mozart-Streichquintette KV 515 & KV 516 eingespielt, die diesen Herbst erscheint.
1677 wurde Purcell mit nur 18 Jahren als Nachfolger von Matthew Locke (1621-1677) zum composer for the violins am königlichen Hof berufen. Aus dieser Phase stammen die neun – eine zehnte ist nur teilweise überliefert – vierstimmigen, im Sommer 1680 entstandenen Fantazias. Weitgehend im Dunkeln bleiben der Anlass der Komposition und die Frage, ob die Fantasien zu Purcells Lebzeiten je gespielt wurden, war doch die vorgesehene Besetzung für vierstimmiges viol consort damals schon nicht mehr gebräuchlich. Lange Zeit ging man deshalb davon aus, dass Purcell die Sätze als Kompositionsstudien dienten; dafür schien auch die überaus intensive kontrapunktische Arbeit mit einer Vorliebe für Imitation, Umkehrung und Augmentation zu sprechen, wie auch eine erstaunlich avancierte Harmonik, die den oft hochexpressiven Charakter der Sätze wesentlich trägt. Gegen die These der reinen Studienwerke sprechen indessen unter anderem im Manuskript enthaltene Vortragsbezeichnungen wie moderate, quick, drag , brisk usw. So oder so gerieten die Fantasien, wie das Gros von Purcells Werken seiner ersten Schaffensphase, nach seinem Tod weithin in Vergessenheit. Umso grösser war die Bewunderung, die den Fantasien anlässlich der Erstveröffentlichung 1927 (in einer Einrichtung für moderne Instrumente des Komponisten Peter Warlock (1894-1930)) zuteilwurde. Eine Vorstellung der Sensation mag die folgende Reaktion eines zeitgenössischen Kritikers vermitteln: «In time, Purcell will be recognised not as the greatest musical genius that England ever possessed, but as the greatest musically-gifted genius of all ages and all nations». Die Faszination für Purcells Fantasien hält bis heute an, wovon in jüngerer Zeit etliche bedeutende Aufführungen und Einspielungen auf historischen Instrumenten zeugen. Die Praxis, die Fantasien auf modernen Instrumenten zu spielen, geht wohl vor allem auf die erwähnte Erstedition von 1927 zurück, aus heutiger Sicht zweifellos eine Bereicherung im Sinne der Pluralität der interpretatorischen Zugänge.

Ligeti hat sein erstes Streichquartett lange Jahre zurückgezogen und erst 1970, nach der Entstehung des 2. Quartetts von 1968, wieder akzeptiert. Dabei hatte es sich um das wichtigste Werk seiner ungarischen Schaffensphase gehandelt. Mit dem Bezug auf Bartók (vor allem auf dessen 4. Quartett) und auf Alban Berg (Lyrische Suite) war an eine Aufführung im damaligen Ungarn nicht zu denken gewesen. Erst nachdem Ligeti 1956 Ungarn verlassen hatte, kam es 1958 in Wien zur Uraufführung. Das einsätzige, in zwölf kurze Unterabschnitte gegliederte Werk (manchmal wirken die Wechsel wie Filmschnitte) erwächst aus einer Keimzelle von vier Tönen, zwei aufsteigenden Sekundschritten (c - d / cis - dis), die ihrerseits durch eine kleine Sekunde getrennt werden. So begegnen sich in dieser typischen Formel Bartóks diatonische und chromatische Tonschritte. Das Motiv taucht mehrfach auf und wird für das gesamte Stück durch dauernde Veränderung und Umformung (métamorphoses!) zur Grundlage von «Variationen», die jedoch nichts mit der gängigen Variationenform zu tun haben. Verschiedene Charaktere, sogar ein Tempo di Valse, folgen ohne Unterbruch. Rasche Bewegung bis hin zu Motorik wird viermal von langsamen Teilen aufgehalten. Die Klangsprache wirkt oft orchestral: Cluster und Glissandi und andere Mittel à la Bartók oder Berg prägen das Klangbild. Ligeti äusserte sich in einem Programmtext zum 1. Quartetts, man solle «nicht den Ligeti-Stil erwarten; mein eigentlicher Stil begann ... um 1958, und das Quartett aus den Jahren 1953-54 ist im Stil noch Vor-Ligeti. Bestimmt erscheinen schon einige Merkmale meiner späteren Musik, doch die ganze Faktur ist anders, ‚altmodisch’, es gibt noch deutliche melodische, rhythmische und harmonische Gebilde und Taktmetrik. Es handelt sich nicht um tonale Musik, doch eine radikale Atonalität ist auch nicht vorhanden. Das Stück gehört noch stark zur Bartók-Tradition.»

Schumanns Quartette stammen (frühere Pläne 1838 und 1839) aus dem Kammermusikjahr 1842. Im März hatte Schumann der auf Konzertreise befindlichen Clara geklagt, dass er fast nur Kontrapunkt und Fugen studiere. Nach ihrer Rückkehr änderte sich dies rasch: Innerhalb von knapp zwei Monaten entstehen die drei Quartette op. 41, das erste vom 2. bis 8. Juni (kurz danach überarbeitet). Schumann setzt sich kaum mit dem Vorbild Beethoven, sondern mit den Quartetten des Widmungsträgers Mendelssohn auseinander. Im Kopfsatz steht nur die Einleitung in a-moll, das Allegro dagegen in F-dur. Das Scherzo, dessen nicht speziell bezeichnetes, dem Scherzo ähnliches Trio die Paralleltonart C-dur aufweist, und das Finale nehmen a-moll wieder auf, für das Adagio wurde F-dur gewählt. In ihm mag man im kantablen Thema Anklänge an den langsamen Satz der 9. Sinfonie Beethovens heraushören. Das heitere Finale lässt an Haydn denken, doch tragen hier die erwähnten Kontrapunktstudien Früchte. Wer will, kann am Ende der Durchführung eine Anspielung auf das Motto von Beethovens op. 130 bis 132 erkennen. Der Widmungsträger kommt zum Zuge, wenn vor Beginn der Coda Schottisches anklingt, war doch dessen «Schottische Sinfonie» kurz zuvor in Leipzig uraufgeführt worden.

Konzertkritik von Peter Hagmann

Henry Purcell 1658-1695

Fantazia for Strings Nr. 4, g-moll, Z 735 (10.6.1680)
Fantazia for Strings Nr. 5, B-dur, Z 736 (11.6.1680)
Fantazia for Strings Nr. 6, F-dur, Z 737 (14.6.1680)
Fantazia for Strings Nr. 8, d-moll, Z 739 (22.6.1680)
Fantazia for Strings Nr. 9, A-dur, Z 740 (23.6.1980)
Fantazia for Strings Nr. 11, G-dur, Z 742 (18.8.1680)

György Ligeti 1923-2006

Streichquartett Nr. 1 «Métamorphoses Nocturnes» (1953/54)
1. Allegro grazioso
2. Vivace, capriccioso
3. Adagio, mesto
4. Presto
5. Prestissimo
6. Andante tranquillo
7. Tempo di Valse, moderato, con eleganza, un poco capriccioso
8. Subito prestissimo
9. Allegretto, un poco gioviale
10. Prestissimo
11. Ad libitum, senza misura
12. Lento

Robert Schumann 1810-1856

Streichquartett Nr. 1, a-moll, op. 41, Nr. 1 (1842)
Introduzione: Andante espressivo – Allegro
Scherzo: Presto – Intermezzo
Adagio
Presto