Am 21. November 1945 gedachte England des 250. Todestages Purcells. Dabei wurde das aus diesem Anlass komponierte 2. Streichquartett von Britten uraufgeführt. Der neue «Britische Orpheus» bezeugte so die Verehrung für seinen Vorgänger, durch den er sich zu neuen Werken anregen liess. In jene Schaffensepoche Brittens gehörten nämlich auch die ebenfalls dem Andenken Purcells gewidmeten Donne-Sonette, die Bearbeitung von Dido and Aeneas sowie die Variationen über ein Purcell-Thema in The Young Person’s Guide to the Orchestra op. 34. Dieses Interesse färbte auf Brittens Kompositionsweise ab, denn die Qualitäten, welche er an Purcell rühmte, clarity, brilliance, tenderness und strangeness, erscheinen in seinem 2. Streichquartett wieder. Der erste Satz wird von einem dreiteiligen Thema beherrscht; jeder Teil wird von einer aufsteigenden Dezime eingeleitet. Das eigentliche zweite Thema ist eine Verbindung jener ersten beiden Abschnitte. Die Durchführung wird ebenfalls aufgeteilt und von den genannten Abschnitten bestimmt. Besonders eindrücklich ist der Reprisenbeginn mit der Gleichzeitigkeit der drei Thementeile. Der Schluss in C-dur kehrt zum Anfang zurück. Der knappe Mittelsatz, ganz con sordino zu spielen, ist ein ruhelos-unheimliches Scherzo. Die eigentliche Huldigung an Purcell bildet die abschliessende, mit der alten purcellschen Namensform bezeichnete Chacony, also eine Variationenfolge über einem festen Grundthema. Dieses Grundthema wird in vier Gruppen, die durch Kadenzen der Soloinstrumente (Cello, Bratsche, 1. Geige) getrennt sind, in je sechs Variationen zuerst harmonisch, dann rhythmisch, daraufhin auf der Grundlage einer neuen Kontrapunktmelodie melodisch und zuletzt in drei krönenden Codavariationen abgewandelt. Bereits Purcell hatte in seiner g-moll-Chacony die strenge Form durch leichtes Variieren des Themas und durch freiere Zwischenspiele aufgelockert.
Was Beethoven im Bereich der Sinfonie mit der «Eroica» erreicht hatte, übertrug er in seinem op. 59 auf das Streichquartett. Bereits die Dauer der Werke, zumindest der Nummern 1 und 2, sowie die sinfonischen Züge der drei Quartette überstieg die Gewohnheit und wohl auch das Fassungsvermögen der meisten Zeitgenossen. Auch die neue, mächtige Klanglichkeit mag bei Kammermusik überrascht haben. Ob Graf Andrej Kyrillowitsch Rasumoswki (1752–1836), der russische Gesandte am Wiener Hof und seit 1796 Förderer Beethovens, diese Entwicklung vorausgesehen hat, als er die Quartette in Auftrag gab, ist nicht bekannt. Hinzu treten, wohl angeregt durch die Qualitäten des Schuppanzigh-Quartetts, weitere Elemente wie spieltechnische Ansprüche, die Harmonik und die Rhythmik. Uns Heutige mag erheitern, wie ein Musiker von so gehobenen Fähigkeiten, damals immerhin der wohl bedeutendste Cellist, Bernhard Romberg (1767–1841) 1812 – so berichtet die Anekdote – die Noten des F-dur-Quartetts zu Boden geworfen habe und mit den Füssen darauf herumgetrampelt sei. Die drei Quartette erfüllen, jedes in eigener Weise, sowohl die Gattungsansprüche der Vergangenheit als auch, insbesondere in der Gestaltung von Themen in Form weit gespannter Melodien, neue Anforderungen. Äusserlich bewahren sie die klassische Viersätzigkeit, im Innern der Sätze allerdings brodelt es ganz ungewöhnlich. Formal ist das erste der Rasumowski-Quartette eine Art «Variationenfolge» über die Sonatensatzform. Der erste Satz (ursprünglich war eine Wiederholung von Durchführung und Reprise, nicht aber der Exposition geplant) verzichtet auf Wiederholungen und breitet stattdessen neben vielen thematischen Einfällen grosse, ungewohnte Steigerungen aus. Das fünfteilige scherzohafte Allegretto verbindet das Scherzoschema mit dem Sonatensatz. Als wollte Beethoven die Ungewöhnlichkeit auch dieses Satzes demonstrieren, gab er ihm nicht die Tonart F-dur, sondern B-dur, die eigentlich einem langsamen Satz zukäme. Dieser wiederum steht in f-moll und bildet erneut einen Sonatensatz. Er steht als Adagio molto e mesto in grösstem Gegensatz zum vorangehenden Scherzo und kommt mit geradezu barocken Trauerfloskeln daher. Die Tiefe dieses Satzes kann mit dem Trauermarsch der Eroica verglichen werden. Beethoven hat in die beiden ersten Quartette bekanntlich russische Melodien eingebaut, wohl zu Ehren des Auftraggebers. Was er aber daraus macht, ist erstaunlich. Aus einem volksliedhaften Klagelied der russischen Sammlung von Iwan Pratsch (1790 erstmals in St. Petersburg erschienen – Beethoven besass eine Ausgabe) wird ein Rondothema mit geradezu tänzerischer Energie – doch handelt es sich gar nicht um ein echtes Rondo, sondern wieder um einen Sonatensatz. Beethoven arbeitet mit Überraschungseffekten, indem er mit Konventionen bricht, daraus aber eine vollkommen überzeugende Neugestaltung bildet. Ein Höhepunkt des Quartetts ist sicher der Übergang vom langsamen zum Schluss-Satz: Aus einem beinahe banalen Überleitungstriller der Violinkadenz wächst das Finalthema heraus.