Konzerte Saison 1953-1954

  • 6.4.1954
  • 20:15
  • 28.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Manoliu-Quartett (Basel)

Die Wege zur ersten Sinfonie und zum ersten gültigen Streichquartett waren bei Brahms lang und führten über mehrere Vor- und Zwischenstufen. Der Weg zum Streichquartett war wohl verschlungener – doch endeten beide schliesslich erfolgreich in einem c-moll-Werk. Wie viele Streichquartette Brahms komponiert hat, weiss man nicht. Drei sind bekannt und Kammermusikfreunden wohlvertraut. Vor diesen hat es eine grössere Anzahl weiterer Quartette gegeben. Schumann berichtet in seinem begeisterten Artikel über den jungen Brahms nach dessen Besuch in Düsseldorf 1853, jener habe ihm in «ganz geniale(m) Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester ... machte» neben anderem auch «Quartette für Saiteninstrumente – und jedes so abweichend vom andern, dass sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen» vorgespielt. Im selben Jahr wollte Brahms ein Quartett in h-moll als erstes Werk veröffentlichen – schliesslich wurde eine Sonate für sein eigenes Instrument das Opus 1. Und an seinen Jugendfreund und Mitschüler August Alwin Cranz (1834-1923), den Sohn eines Hamburger Musikverlegers, schrieb er, er habe «bereits über 20 Quartette komponiert». Bis zur Fertigstellung und Veröffentlichung der ersten gültigen Quartette sollten aber zwanzig Jahre vergehen. Was vorangegangen war, wurde vernichtet. Zwischenstufen bildeten Klavierquartette, Streichsextette und das Streichquintett mit zwei Celli von 1862, das später zur Sonate für 2 Klaviere und zuletzt zum Klavierquintett wurde. Und als die beiden Quartette des op. 51 1873 endlich zur Geburt reif waren, bedurfte es, wie Brahms scherzhaft anmerkte, für die «Zangengeburt» des Chirurgen. Ihm, dem Freund Theodor Billroth (1829-1894; 1860-67 Professor in Zürich, dann in Wien), sind sie denn auch gewidmet, obwohl für das zweite ursprünglich Joseph Joachim vorgesehen war. Da Skizzen zum op. 51 bis in die Zeit um 1865 zurückgehen, verstehen wir den Scherz von Brahms. Im c-moll-Quartett überraschen ein neuer Klang und Verdichtung, stellenweise geradezu spröde Verschlossenheit, strenger Ernst und eine fast monothematische Substanz. Ludwig Finscher charakterisiert die Sätze mit «dra­matisch zerklüftet» (Kopf­satz), «melancholisch» (Romanze in As-dur), «nachdenklich-ver­sponnen» (Allegretto-Intermezzo in f-moll anstelle eines Scherzos) und «emotionale Hochspannung» (Fi­nale). Trotz letztlich traditionsbewusster Bezugnahme – nicht nur in der Erwartungen weckenden Tonart – auf das Vorbild Beethoven brachte die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien durch das Hellmesberger Quartett vorerst nur einen Achtungserfolg ein. Die konsequente und komplexe Kompositionsmethode zeigt sich im Entwickeln des Materials aus wenigen Kernmotiven – was Schönberg später «entwickelnde Variation» nannte, hauptsächlich an den Quartetten op. 51 darlegte und als fortschrittlich bewunderte. So war Brahms sehr wohl ein moderner Komponist und nicht, was das Publikum damals vielleicht lieber gehört hätte, ausschliesslich ein Bewahrer klassischer Vorgaben.
Mit Beethovens Opus 18 steht die Komposition von Streichquartetten im Moment eines entscheidenden Wandels. Es ist kein Zufall, dass dies genau im Zeitpunkt der Jahrhundertwende geschah: Die Klassik eines Haydn und Mozart, die noch vor nicht allzu langer Zeit im Gewande des Rokoko daher gekommen war, neigte sich ihrem Ende zu, eine neue Klassik, die sich mit romantischen Elementen verbinden sollte, stand am Horizont. 1797 hatte Haydn die Quartette op. 76 komponiert und sie 1799 veröffentlicht; in diesem Jahr entstand auch die unvollständige Serie des op. 77. Nach einer Vermutung von H. C. Robbins Landon hat Haydn sogar aufgrund des Erscheinens der Beethoven-Quartette op. 18 1801 seine letzte Sechserserie nicht zu Ende geführt – das bleibt allerdings unsicher. Natürlich wurzeln die sechs Quartette des op. 18 noch im 18. Jahrhundert und berufen sich auf Haydn und Mozart. Noch einmal taucht auch jene Sechserzahl für ein Opus auf, die für Haydn die Regel gewesen war. Sie zeigen aber auch die Suche nach dem eigenen Stil. Äusserlich wird dies sichtbar an der Bezeichnung des Tanzsatzes, dem Beethoven in der Form des Scherzos eine neue Dimension gibt. Im Jahre 1800, nach Abschluss aller sechs Quartette, überarbeitete Beethoven die Nummern 1 bis 3. Gerade Nr. 1, eigentlich als zweites entstanden, wurde in den beiden ersten Sätzen besonders stark überarbeitet und geht nun den entscheidenden Schritt über Haydn hinaus. Kein Wunder, dass es Beethoven darum an den Anfang der Serie gestellt hat. Darum schrieb er 1801, im Jahr des Erscheinens der dem Fürsten Lobkowitz (dem Auftraggeber?) gewidmeten Quartette, auch an seinen Freund Karl Amenda, dem er das F-dur-Quartett zunächst zugeeignet hatte: Dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jetzt recht Quartetten zu schreiben weiss. Der erste Satz treibt jetzt die motivische Arbeit auf die Spitze, beruht er doch beinahe ganz auf einem Zweitaktmotiv – Reduktion einer langen Auseinandersetzung mit dem Material auf elf Seiten Skizzen. Das unisono auftretende Hauptmotiv wird in einer Weise verarbeitet, die selbst Haydns Monothematismus in den Schatten stellt. Im d-moll-Adagio, einer ganz neuartig dramatisch-expressiven Szene, sei, wie Amenda weiss, die Grabszene aus "Romeo und Julia" gemeint. Während das synkopierte Scherzo geradezu Verwirrung stiftet, lebt das Finale, mit seinen Sechzehnteltriolen noch in der Tradition Haydns stehend, von Bewegung und Spielfreude.
Der Höhepunkt in Mendelssohns Quartettschaffen mit insgesamt acht Werken ist, trotz den bewundernswerten Frühwerken op. 13 und 12 sowie dem aufwühlenden Requiem für seine Schwester Fanny, dem f-moll-Quartett op. 80, die Trias der Quartette op. 44. Das e-moll-Werk bildet, zehn Jahre nach dem offiziell ersten (op. 13) und acht nach op. 12 entstanden, den Auftakt. Mendelssohn hat es während seiner Hochzeitsreise skizziert und am 18. Juni 1837 zwar abgeschlossen, für die Herausgabe der drei Quartette aber nochmals gründlich überarbeitet, vor allem im Schlusssatz. Immer aufgefallen ist der Beginn, der im 1. Thema wörtlich das Finale von Mozarts g-moll-Sinfonie KV 550 zitiert. Das 2. Thema ist davon kaum abgesetzt, was den ganzen Satz als einen einheitlichen, formal nicht leicht zu durchschauenden Komplex erscheinen lässt. Leicht qualifizierbar ist das Scherzo: Elfenmusik à la Mendelssohn eben! Und doch klingen – neben einer komplizierten Formstruktur (einer Mischung zwischen Sonatenrondo und Scherzo-Trio-Typ) – nachdenkliche, besonders von der Bratsche vorgetragene Töne hinein. Der 3. Satz soll „durchaus nicht schleppend“ gespielt werden. Auch hier ist der Satzcharakter mit „Lied ohne Worte“ rasch umschrieben. Das attacca anschliessende Finale folgt ebenfalls einem Lied ohne Worte-Typ: dem schwungvoll dahinschiessenden, von wichtigen melodiösen Phrasen des Seitenthemas durchbrochenen impulsiven Sonatenrondos, wie es Mendelssohn mit grossem Erfolg auch in den beiden Klaviertrios angewendet hat.

Johannes Brahms 1833-1897

Streichquartett Nr. 1, c-moll, op. 51, Nr. 1 (1873)
Allegro
Romanze: Poco adagio
Allegretto molto moderato e comodo – Un poco più animato
Finale: Allegro

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 1, F-dur, op. 18, Nr. 1 (1798/1800)
Allegro con brio
Adagio affetuoso ed appassionato
Scherzo: Allegro molto – Trio
Allegro

Felix Mendelssohn Bartholdy 1809-1847

Streichquartett Nr. 4, e-moll, op. 44, Nr. 2 (1837)
Allegro assai appassionato
Scherzo: Allegro di molto
Andante –
Presto agitato