Konzerte Saison 1965-1966

  • 18.1.1966
  • 20:15
  • 40.Saison
Stadtcasino, Festsaal

Strauss-Quartett (Essen) Eduard Brunner, Klarinette

In Haydns D-dur-Quartett bildet das dreiteilige Largo in Fis-Dur, ein echter Mesto-Satz, den Schwerpunkt. Um dieses ernste, in sorgfältiger melodischer und harmonischer Entwicklung bis hin zum Verlöschen der Melodie gearbeitete Stück legt Haydn leichter gewichtete Sätze. So ist der Kopfsatz kein eigentlicher Sonatensatz (obwohl man ihn auch als solchen mit nur einem Thema zu analysieren versucht hat), sondern ein dreiteiliges 6/8-Allegretto mit einem siciliano-artigen Thema. Der Satz schwankt zwischen D-dur und d-moll und schliesst mit einer Allegro-Stretta. Unbeschwert trotz der dem Largo vergleichbaren Dreiklangmotivik kommt das Menuett daher, im d-moll-Trio grundieren Achtelfiguren des Cellos eine Art Perpetuum mobile. Der witzige Schlusssatz ist nun ein Sonatensatz, weist allerdings Besonderheiten auf. Im Charakter greift Haydn auf seinen überraschungsreichen Finale-Typus der 1780er Jahre zurück. Das Opus 76 ist nach den beiden England-Reisen entstanden und wurde dem Grafen Joseph Erdödy gewidmet. Gegenüber den wohl für England geschriebenen op. 71 und 74 treten die orchestralen Züge und die Virtuosität etwas zurück, um vermehrt wieder der Polyphonie Platz zu machen – was gleichsam auf eine Synthese hinausläuft. Man dürfte das Opus 76 als Summe, ja als Krönung des haydnschen Quartettschaffens bezeichnen, wären nicht, zumindest ab op. 33, bereits die früheren Zyklen, jeder in seiner Weise, so vollkommen. Vielleicht ist der Begriff «Ernte», wie ihn der Haydn-Spezialist Reginald Barrett-Ayres, Mitherausgeber der Urtext-Ausgabe der Streichquartette und Verfasser einer umfangreichen (417 Seiten) Monographie über Haydns Streichquartette (Joseph Haydn and the String Quartet, 1974) verwendet hat, richtiger. Auffallend am op. 76 ist die Individualität der sechs Stücke, wie auch die Nummer 5 zeigt.
Berg hat seine Lyrische Suite nach Alexander Zemlinskys Lyrischer Sinfonie benannt, sie dem älteren Freund und Mentor gewidmet und mit einem Zitat im Adagio appassionato die Reverenz bekräftigt. Dass jedoch hinter Widmung und Zitat mehr steckt, erahnt man, seit man weiss, dass Bergs Quartett der Ausdruck einer tiefen, doch unerfüllten Liebe zu Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs-Robettin ist. Ja, man kann sich fragen, ob nicht nachträgliche Tarnung vorliegt. Die Lyrische Sinfonie ist eine Folge von sieben Liebesgesängen. Berg zitiert die schönste Phrase des Baritons, den Refrain «Du bist mein Eigen, mein Eigen» aus dem 3. Satz. Sieht man das Textumfeld näher an, so fällt folgende Passage der 3. Strophe auf: «Ich hab dich gefangen und dich eingesponnen, Geliebte, in das Netz meiner Musik. Du bist mein Eigen, mein Eigen, du, die in meinen unsterblichen Träumen wohnt.» Genau das hat Berg getan, wenn er die Initialen A-B und H-F «immer wieder in die Musik hineingeheimnisst». Die Zahlen 10 und 23, «unsere Zahlen», wie Berg für Hanna schreibt, bestimmen das Kompositionsschema von Sätzen und Satzteilen. «Ich habe dies und vieles andere Beziehungsvolle für Dich in diese Partitur hineingeschrieben», so ein Tristanzitat und in der Melodiestimme des Largo desolato eingewoben ein Zitat aus Baudelaires Gedicht De profundis clamavi: «Zu Dir, Du einzig teure, dringt mein Schrei aus tiefster Schlucht, darin mein Herz gefallen.» All dies geschieht unter dem Deckmantel der Zwölftontechnik und der scheinbar absoluten Musik eines Streichquartetts. In Kenntnis des geheimen Programms - Bergs Gattin Helene hat den Code nie durchschaut - versteht man auch die eigenartigen Satzbezeichnungen vom gioviale (ursprünglich gioioso) über das delirando der Krise des Liebesdramas bis hin zum endgültigen Verzicht im desolato besser. Aber die durchaus als absolute Musik fassbare Suite verliert dadurch ebensowenig an Aussagekraft und Schönheit wie Janáčeks fast gleichzeitiges 2. Streichquartett (Konzert Nr. 8) mit seiner ähnlichen «Thematik».
Bei der Klarinette haben oft hervorragende Spieler bedeutende Werke für dieses Instrument angeregt. War für Weber der Inspirator Heinrich Baermann, für Brahms Richard Mühlfeld, so für Mozart Anton Stadler (1753–1812). Dieser war wohl auch an der Weiterentwicklung des Instruments beteiligt. Ihm und dem Instrumentenbauer Theodor Lotz ist die Bassettklarinette zuzuschreiben, für welche Mozart das Quintett und das Konzert, beide in A-dur, geschrieben hat. Es handelt sich um ein Instrument, das unterhalb des A-Klarinettenumfangs weitere Töne (bis zum geschriebenen C bzw. klingenden A) produzieren kann. Es gibt im Quintett Stellen, bei denen der für A-Klarinette überlieferte Stimmenverlauf auf der Bassettklarinette besser zur Geltung kommt (z.B. in Takt 40f. des Allegro). Stadler hat weitere Werke Mozarts zur Aufführung gebracht, so Teile der Gran Partita, im Rahmen der Freimaurer-Loge Trios für Klarinetten bzw. Bassetthörner, welche als die Logeninstrumente galten (5 Divertimenti KV 439b / Adagio KV 411) und die beiden solistisch begleiteten Arien aus La clemenza di Tito. Mozart war mit Stadler eng befreundet. Auf ihrer gemeinsamen Reise nach Prag – nicht der berühmten, die fand im September darauf statt – im Januar 1787 erhielt Stadler von Mozart, der wieder einmal seiner sprachlichen Phantasie keine Grenzen setzte, den gewiss ehrenden Beinamen Nàtschibinìtschibi. Wer will es Stadler angesichts der Meisterwerke, die er angeregt hat, heute verübeln, dass er wie bei Lotz auch bei Mozart nach dessen Tod Schulden von 500 Gulden hatte und zudem – eine ominöse Geschichte – offenbar einen Koffer unter anderem mit Noten von Mozart-Werken, darunter vielleicht die Bassettklarinettenstimme des Quintetts, versetzt hat. Mozart vollendete das Werk, das er öfters als «des Stadler’s Quintett» bezeichnete, während der Arbeit an Così fan tutte am 29. September 1789. Die erste Aufführung fand drei Monate später in Wien statt. Der auf drei Themen aufgebaute Kopfsatz verbindet, wie das ganze Werk, die fünf Instrumente in bewundernswerter Weise so, dass keines hervorsticht. Wenn eines die Führung übernimmt, folgt alsobald die Ablösung. Im Larghetto (D-dur, in dreiteiliger Liedform) übernimmt die Klarinette mit dem Gesangsthema unüberhörbar die Führung; sie wird später von der 1. Violine in dessen Entfaltung unterstützt. Das Menuett weist zwei Trios auf. Im ersten (a-moll) schweigt die Klarinette wie schon während einiger Takte im Menuett, als habe Mozart dem Spieler Zeit zum Verschnaufen geben wollen. Umso deutlicher darf sie im zweiten Trio in A-dur die Hauptrolle übernehmen, als ob sie zum Walzer aufspielen möchte. Im Schlusssatz wird ein sechzehntaktiges heiter-beschwingtes Thema sechsmal variiert. Während zuvor die Aufgaben der Stimmen ausgeglichen waren, darf sich in der 3., der Moll-Variation (a-moll) die Bratsche gesanglich entfalten. Die 4. Variation lässt der Virtuosität von Klarinette und 1. Violine freien Lauf, bevor in der folgenden das Tempo zurückgenommen wird (Adagio), gleichsam als Ruhepol vor dem Schluss-Allegro. Angesichts der Bläserbeteiligung, der zwei Trios im Menuett und des Variationssatzes könnte man versucht sein, das Werk als Serenade oder Divertimento einzustufen. Aber Mozart gelingt auch mit diesen Elementen ein vollendetes Kammermusikwerk höchsten Ranges.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 79, D-dur, op. 76, Nr. 5, Hob. III:79 (1797)
Allegretto – Allegro
Largo cantabile e mesto
Menuet: (Allegro) – Trio
Finale: Presto

Alban Berg 1885-1935

Lyrische Suite für Streichquartett (1926)
Allegretto gioviale
Andante amoroso
Allegro misterioso – Trio estatico
Adagio appassionato
Presto delirando – Tenebroso
Largo desolato

Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791

Quintett für Klarinette und Streicher, A-dur, KV 581 (1789)
Allegro
Larghetto
Menuetto – Trio I – Trio II
Allegretto con Variazioni – Adagio – Allegro