Konzerte Saison 1982-1983

  • 11.6.1983
  • 20:15
  • 57.Saison
  • Extrakonzert Haydn-Fest 1983
Stadtcasino, Festsaal

Brandis-Quartett (Berlin)

Über Haydns op. 20 sagte einst Donald Tovey: «Mit Opus 20 erreicht die historische Entwicklung von Haydns Quartetten ihren Endpunkt; und weiterer Fortschritt ist nicht Fortschritt in irgendeiner geschichtlichen Bedeutung, sondern schlicht der Unterschied zwischen einem Meisterwerk und dem nächsten.» Man hat im op. 20 aber auch divergente Tendenzen, ja Uneinheitlichkeit im Satztechnischen und Ausdruck festgestellt. Und doch erkennt man den Willen zu formaler Geschlossenheit und zu aparter Klanglichkeit. Als einzige weist diese Sechserserie zudem zwei Quartette in einer Molltonart auf; dazu kommt im 4. Quartett ein Variationensatz in d-moll. Dieses besonders originelle Quartett beginnt mit einem fünffach nur wenig veränderten sechstaktigen Themengedanken – unverkennbar das Klopfmotiv an dessen Beginn – im Piano. Der Variationensatz, der längste Einzelsatz im Quartett und im Opus, teilt das Variieren des in sanfter Marschbewegung gehaltenen Themas einzelnen Instrumenten zu (2. Violine und Bratsche / Cello / 1. Violine), bevor es zur gleichwertigen Beteiligung in der 4. Variation kommt; diese endet in einer emotionsgeladenen Coda von 34 Takten. Das Menuett «alla zingarese» überrascht mit rhythmischen Verschiebungen durch Sforzati, das Trio durch sein Cellosolo. Haydns Hauptaugenmerk liegt im Opus 20 auf den Finali. Bei dreien hat er sich für eine Fuge entschieden. Die andern sprühen von Originalität, ganz besonders das im D-dur-Quartett. Statt einer gewichtigen intellektuellen Fuge steht hier ein leichtes, aber höchst geistreiches Finale, das im Spiel zwischen Scherz und bedeutend sein wollenden Volksmusikelementen Gegensätzliches verbindet. Ist es Zufall, dass Haydn nach diesem originellen, so viel Widersprüchliches vereinigenden Opus fast zehn Jahre wartete, bis er 1782 eine neue Sechserserie veröffentlichte?
In Haydns D-dur-Quartett bildet das dreiteilige Largo in Fis-Dur, ein echter Mesto-Satz, den Schwerpunkt. Um dieses ernste, in sorgfältiger melodischer und harmonischer Entwicklung bis hin zum Verlöschen der Melodie gearbeitete Stück legt Haydn leichter gewichtete Sätze. So ist der Kopfsatz kein eigentlicher Sonatensatz (obwohl man ihn auch als solchen mit nur einem Thema zu analysieren versucht hat), sondern ein dreiteiliges 6/8-Allegretto mit einem siciliano-artigen Thema. Der Satz schwankt zwischen D-dur und d-moll und schliesst mit einer Allegro-Stretta. Unbeschwert trotz der dem Largo vergleichbaren Dreiklangmotivik kommt das Menuett daher, im d-moll-Trio grundieren Achtelfiguren des Cellos eine Art Perpetuum mobile. Der witzige Schlusssatz ist nun ein Sonatensatz, weist allerdings Besonderheiten auf. Im Charakter greift Haydn auf seinen überraschungsreichen Finale-Typus der 1780er Jahre zurück. Das Opus 76 ist nach den beiden England-Reisen entstanden und wurde dem Grafen Joseph Erdödy gewidmet. Gegenüber den wohl für England geschriebenen op. 71 und 74 treten die orchestralen Züge und die Virtuosität etwas zurück, um vermehrt wieder der Polyphonie Platz zu machen – was gleichsam auf eine Synthese hinausläuft. Man dürfte das Opus 76 als Summe, ja als Krönung des haydnschen Quartettschaffens bezeichnen, wären nicht, zumindest ab op. 33, bereits die früheren Zyklen, jeder in seiner Weise, so vollkommen. Vielleicht ist der Begriff «Ernte», wie ihn der Haydn-Spezialist Reginald Barrett-Ayres, Mitherausgeber der Urtext-Ausgabe der Streichquartette und Verfasser einer umfangreichen (417 Seiten) Monographie über Haydns Streichquartette (Joseph Haydn and the String Quartet, 1974) verwendet hat, richtiger. Auffallend am op. 76 ist die Individualität der sechs Stücke, wie auch die Nummer 5 zeigt.
Das op. 33, mit dem Haydn, der zuvor mit den opp. 9, 17 und 20 das Streichquartett recht eigentlich geschaffen hatte, seinen Durchbruch zum «grossen» Streichquartettkomponisten geschafft und eine neue Epoche eingeleitet hat (allbekannt seine Bemerkung, sie seien «auf eine gantz neue Besondere Art» gemacht), trägt neben vielen anderen Beinamen auch den ebensowenig authentischen «Gli Scherzi». In der Tat wird der Tanzsatz konsequent als Scherzo bezeichnet. Im 4. Quartett klingt dieses Scherzo allerdings mehr wie ein konventionelles, sogar sanftes Menuett. Vielleicht muss man den Begriff Scherzo allgemeiner fassen, finden sich doch im op. 33 zahlreiche scherzhaft-heitere Elemente, auch ganze Sätze. Darin kontrastiert op. 33 zum weitgehend ernsthaften, durch Fugen geprägten op. 20 (das allerdings auch Scherzando-Sätze aufweist). Liegt hier etwa das Neue? In der Verbindung von scherzhafter Heiterkeit, etwa im Schlusssatz des B-dur-Quartetts mit der pointierten Steigerung in der Pizzicato-Coda, und den ernsthaften, aber immer melodiös geprägten langsamen Sätzen wie hier dem Largo? Ist es das in Kammermusik versetzte Dramma giocoso oder eine Art Opera buffa, die ja auch ihre ernsthaft-tiefsinnigen Momente haben kann?
Das Es-dur-Quartett Haydns gehört zur einheitlichen Gruppe der sechs Apponyi-Quartette op. 71 und 74. Graf Apponyi war 1785 Haydns Pate bei der Aufnahme zu den Freimaurern gewesen. Wie bei op. 54 und 55 hat der Verleger die Sechserserie auf zwei Dreiergruppen aufgeteilt, wohl weil er dadurch mehr einzunehmen hoffte. Man hat in diesen zwischen den beiden Englandreisen entstandenen Quartetten einen orchestralen Gestus festgestellt und sie als «einfacher, eindeutiger und grösser, emphatischer gebaut» charakterisiert. Der Kopfsatz des Es-dur-Werks beginnt mit einem Forteakkord aus zwölf Noten, dem eine Viertelpause und eine ganztaktige fermatierte Generalpause folgt. So packt und überrascht Haydn das Publikum. Überraschend ist auch der 2/4-Takt im Kopfsatz. Der Themenbeginn des monothematischen Satzes besteht aus zwei zweitaktigen Teilen. Interessant ist der zweite: Auf zwei Achtel folgen vier Sechzehntel, denen im vierten Takt drei gleiche Staccato-Achtel folgen. Dieses Motiv wird in der Durchführung wichtig. Das B-dur-Andante ist der erste Variationen-Satz in einem Haydn-Quartett. Er folgt allerdings nicht dem üblichen Schema. Das Menuett ist weniger auf das Tänzerische ausgerichtet, im Trio fallen am Ende die in höchste Regionen aufsteigenden Geigenpassagen auf. Im eher kurzen Finale im 6/8-Takt, einem Sonatenrondo, spielt Haydn mit einem walzerartigen raschen Thema.

Joseph Haydn 1732-1809

Streichquartett Nr. 34, D-dur, op. 20, Nr. 4, Hob. III:34 (1772)
Allegro di molto
Un poco Adagio e affettuoso
Menuet alla Zingarese – Trio
Presto e Scherzando
Streichquartett Nr. 79, D-dur, op. 76, Nr. 5, Hob. III:79 (1797)
Allegretto – Allegro
Largo cantabile e mesto
Menuet: (Allegro) – Trio
Finale: Presto
Streichquartett Nr. 40, B-dur, op. 33, Nr. 4, Hob. III:40 (1781)
Allegro moderato
Scherzo: (Allegretto) – Minore
Largo
Presto
Streichquartett Nr. 71, Es-dur, op. 71, Nr. 3, Hob. III:71 (1793)
Vivace
Andante con moto
Menuet – Trio
Finale: Vivace