Konzerte Saison 2009-2010

  • 8.12.2009
  • 20.15
  • 84.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Artemis Quartett (Berlin)

Gegründet wurde das Artemis Quartett 1989 an der Lübecker Musikhochschule als studentische Formation. Wichtige Lehrer und Mentoren des Ensembles waren Walter Levin, das Emerson-, das Juilliard- und das Alban Berg Quartett. Seit 1994 spielte es professionell und wurde schnell eines der führenden Ensembles seiner Generation. Mit den ersten Preisen beim ARD Wettbewerb 1996 und einige Monate darauf beim „Premio Borciani“ gelang der internationale Durchbruch. Das Quartett verschob jedoch den sich aufdrängenden Beginn einer schnellen Karriere zugunsten weiterer Studien: 1998 verbrachten sie ein Studienjahr mit dem Alban Berg Quartett in Wien, gefolgt von einer dreimonatigen Residenz am Berliner Wissenschaftskolleg. Das Debüt erfolgte 1999 in der Berliner Philharmonie. 2007 präsentierte sich das Quartett mit Gregor Sigl und Friedemann Weigle in neuer Formation. Seit 2004 gestaltet das Quartett eine eigene, von Publikum wie Kritik begeistert aufgenommene Serie in der Berliner Philharmonie. Das Quartett widmet sich neben einer regen Konzerttätigkeit in allen großen Musikzentren sowie bei internationalen Festivals engagiert dem Unterrichten. So sind die Musiker seit 2005 Professoren für Kammermusik an der Universität der Künste Berlin und unterrichteten alternierend im Rahmen einer Gastprofessur an der „Chapelle Reine Elisabeth“ in Brüssel. 2005 unterschrieb das Artemis Quartett einen Exklusiv-Vertrag mit Virgin Classics/EMI, der mindestens 10 Aufnahmen innerhalb von fünf Jahren vorsieht. Im September 2007 wurden die Klavierquintette von Brahms und Schumann mit Leif Ove Andsnes veröffentlicht. Die erste Aufnahme in der neuen Besetzung war eine Schubert-CD mit dem Schubert Quintett mit Truls Mørk und dem Quartettfragment D 703. Die neuste CD erschien im Mai 2009 und ist Bestandteil von „The Piazzolla Project“. Die Veröffentlichungen des Artemis Quartetts sind vielfach ausgezeichnet worden. Das Artemis Quartett war 2003 und 2005 in unseren Konzerten zu Gast.
Beethovens Finali haben es in sich

Dass es Finali in sich haben, ist bei Beethoven nichts Neues. Jeder kennt „Die Neunte“ und damit Beethovens Versuch, das Finalproblem neu zu lösen. Auch aus Beethovens Kammermusik ist die Sache vertraut: Beethoven hat im op. 130 die ungewöhnliche Grosse Fuge, seine Lösung bei einem grossen Quartett, ersetzen müssen, wohl weil Verleger Artaria um seine Einkünfte bangte. Dabei ist sie rein instrumental angelegt, hat es dafür formal und harmonisch in sich. Aber auch weniger auffällige Quartett-Finali zeigen Beethovens Fähigkeit, solche Sätze einzigartig zu gestalten, und haben es darum auf ihre Weise in sich, so die aller drei heute gespielten Quartette. Eine Fuge spielt dabei ebenfalls eine Rolle, auch wenn sie höchstens eine mittelgrosse ist.

Beethovens Opus 18 steht an der Schwelle zum Streichquartett des 19. Jahrhunderts. Die nachträgliche Revision der ersten drei Stücke im Jahr 1800 zeigt, dass die Quartette Nr. 4 bis 6, unter denen die Nr. 6 das zuletzt komponierte ist, den entscheidenden Schritt vom Quartett des späten 18. zu dem des frühen 19. Jahrhunderts ausmachen. Natürlich stehen auch sie noch in der Tradition; der eigentliche Bruch mit dem 18. Jahrhundert wird sechs Jahre später mit den Rasumowsky-Quartetten op. 59 erfolgen. Aber gerade die Malinconia-Einleitung zum Schlusssatz von Nr. 6 weist voraus. Die langsame Einleitung ist die modernste Passage im Quartett und im gesamten op. 18. Die Schwermut wird in einer Weise gemalt, die „harmonisch alles Vergleichbare jener Zeit weit hinter sich lässt“ (Wulf Konold). Beethoven wählt aber noch andere, ungewohnte Mittel (extreme dynamische Differenzierung, Brechungen des Melodischen). Im Wechsel mit der Heiterkeit der tänzerischen Allegretto-Teile ergibt sich nicht nur ein Kontrast, sondern auch der Versuch, beide Seiten menschlichen Verhaltens als austauschbar nebeneinander zu stellen. Am Schluss setzt sich mit der Prestissimo-Steigerung das Tänzerisch-Lustige durch, wirkt aber, wie oft bei Beethoven, etwas künstlich. Das Werk ist auf diesen Finalsatz hin ausgerichtet: Ein musikantischer, nur im Seitenthema ruhigerer Kopfsatz, das melodisch-subtile Adagio in dreiteiliger Liedform und das synkopierte Scherzo mit eigenwilligen Akzenten bilden den Vorspann zum quasi una fantasia des Finales.

Beethovens letzte vollendete vollständige Komposition war das Quartett op. 135. Es wirkt nach den drei monumentalen Werken der Opera 130, 131 und 132 wie eine Rückkehr zu Tradition und Gewohntem. Man glaubt sich, wie bei der 8. Sinfonie (1809 bis 1812), ebenfalls in F-dur, zeitweise, wenn auch nur scheinbar, in Haydns Welt zurückversetzt. Trotz der grösseren Zugänglichkeit und trotz der Kürze ist das F-dur-Quartett ein echtes spätes Beethoven-Quartett. Schon der Beginn des Sonatensatzes mit dem kurzen Bratschenmotiv, auf welches die anderen Instrumente reagieren, ist raffiniert, wirkt aber natürlich und leicht. Das wieder von fünf auf drei Teile reduzierte Scherzo ist wohl der modernste Satz. Höhepunkt des Werkes ist aber das nur 54 Takte lange Lento assai (Des-dur). Es kam erst im September 1826 zu den übrigen Sätzen hinzu. (Sollte Beethoven tatsächlich das Quartett zunächst dreisätzig geplant haben?) Man wird sich erst mit der Zeit bewusst, dass es sich um einen Variationensatz mit vier bezeichnenderweise nicht speziell gekennzeichneten Variationen handelt. Er zeigt nichts von früheren „naiven“ Variationenfolgen, sondern ist ein wahrer Abgesang, der in der Stimmung, vor allem in der Schlussvariation mit den Geigenmotiven und dem Verklingen im pianissimo, zu langsamen Bruckner-Satzschlüssen etwa der 8. oder 9. Sinfonie hinführt. Aber natürlich warten wir alle auf das „Muss es sein?“ der damals ungewohnten Einleitung zum Finale – und rätseln trotz der Allegro-Antwort „Es muss sein!“ bis heute, was denn da sein müsse. Entlässt uns Beethoven im Schlusssatz seines letzten Werkes tatsächlich mit einem Scherz? War diese Deutung – eine von vielen frühen – vielleicht der Grund, warum das op. 135 im 19. Jahrhundert trotz seiner Fasslichkeit das am wenigsten gespielte der späten Quartette war? Lassen wir das Rätseln! Das „Muss es sein?“-Motiv hat Beethoven wohl bei Bach entlehnt. (Es taucht auch in späterer Musik wieder auf, ähnlich etwa am Beginn der d-moll-Sinfonie von César Franck.) Das Motiv der Frage (Muss es sein?) und die Antwort (Es muss sein!) stehen sich konträr gegenüber: Zuerst folgt auf eine fallende Terz eine aufsteigende Quart, in der Antwort ist es gerade umgekehrt. Auch rhythmisch ist das Motiv, dem Sprachlichen angeglichen, verändert: Frage lang – kurz – lang, Antwort kurz – lang – lang. Aus der Antwortversion des Motivs entwickelt sich der Gang des Allegro; sie wirkt bis zum Schluss bestimmend, auch wenn das Grave mit der Frageversion nochmals auftaucht.

Mit dem Opus 59 beginnt das moderne Streichquartett. Hatten das erste und etwas weniger das zweite Quartett damals schockierend gewirkt, so erscheint das dritte weniger gewagt. Die Allgemeine Musikalische Zeitung von 1806/07 bezeichnete es als „allgemeinfasslich“. Es ist das kürzeste und konzentrierteste der drei Schwesterwerke und bildet gleichsam die Synthese der beiden vorangegangenen Werke. Gleichwohl zeigt es die modernen Errungenschaften der Quartettkomposition. Mag die Wiederaufnahme einer langsamen Einleitung zunächst als Rückgriff auf die Tradition erscheinen, so bildet gemäss A. Werner-Jensen die Art, wie dies hier geschieht, mehr einen Traditionsbruch als eine Fortführung gewohnter Formen. Erstaunlich ist zudem, dass nach dieser Einleitung am Beginn des Allegro noch eine weitere folgt. Das Hauptthema kommt erst später nach einer überleitenden Violinkadenz mit einem C-dur-Akkord zum Zug. Die Durchführung verwendet nicht nur die drei Gedanken der Exposition, sondern auch die Septakkorde der Einleitung und die Violinkadenz. Im Gegensatz zu den beiden ersten Quartetten zitiert Beethoven in diesem Werk kein thème russe, doch klingt das Thema des Andante (a-moll) irgendwie russisch. Das als grazioso bezeichnete Menuett wirkt wie ein Spiel mit vergangenen Formen; dafür fährt das Trio in F-dur energisch dazwischen. Nach diesen zahlreichen Eigenheiten überrascht auch das virtuose, attacca an das Menuett anschliessende Finale, eine Verbindung von Sonatensatz und Fuge. Gerade diese nicht regelkonforme Fuge hat es in sich und hat Beethoven nicht wenig Kritik eingetragen, beweist aber auch die Kühnheit und Modernität dieses heute so klassisch wirkenden Werkes. Mit der „Grossen Fuge“ am Ende von op. 130 wird Beethoven auf viel gewagtere Weise im Spätwerk auf eine solche „unregelmässige“ Fuge (tantôt libre, tantôt recherchée) zurückgreifen. Die drei Werke des Opus 59 sind in der Reihenfolge der Nummerierung entstanden, das C-dur-Quartett ist also tatsächlich das Abschlussstück. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die zyklische Gestaltung der Werkgruppe.

rs

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 6, B-dur, op. 18, Nr. 6 «La Malinconia» (1798/1800)
Allegro con brio
Adagio, ma non troppo
Scherzo: Allegro – Trio
La Malinconia: Adagio – Allegretto quasi Allegro – poco Adagio – Prestissimo
«Grosse Fuge» für Streichquartett, B-dur, op. 133 (1825)
Overtura: Allegro – Meno mosso e moderato –
Fuga: Allegro – Meno mosso e moderato – Allegro molto e con brio
Streichquartett Nr. 9, C-dur, op. 59, Nr. 3 «3. Rasumovsky-Quartett» (1806 ?)
Introduzione: Andante con moto – Allegro vivace
Andante con moto quasi allegretto
Menuetto (grazioso) mit Trio –
Allegro molto