Konzerte Saison 2013-2014

  • 25.2.2014
  • 19.30
  • 88.Saison
  • Zyklus A
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Artemis Quartett (Berlin)

Das Artemis Quartett wurde 1989 an der Musikhochschule Lübeck gegründet. Es zählt heute zu den weltweit führenden Quartettformationen. Wichtige Mentoren waren Walter Levin, Alfred Brendel, das Alban Berg Quartett, das Juilliard und das Emerson Quartet. Erste Preise beim ARD Wettbewerb 1996 und wenig später beim ‚Premio Borciani’ bedeuteten für das Quartett den internationalen Durchbruch. Dennoch folgten die vier Musiker zunächst einer Einladung des «Wissenschaftskollegs zu Berlin», um ihre Studien als Ensemble zu vertiefen. Seit seinem Debüt in der Berliner Philharmonie 1999 gastiert das Quartett in allen großen Musikzentren und internationalen Festivals in Europa, den USA, Japan, Südamerika und Australien. Im Juli 2007 formierte sich das Ensemble nach einem Doppelwechsel mit Gregor Sigl und Friedemann Weigle neu. Seit August 2012 ist die lettische Geigerin Vineta Sareika neue Primaria. 2009 unterstrich das Artemis Quartett zum zwanzigjährigen Bestehen seine besondere Affinität zur Musik von Beethoven in einem Gesamtzyklus, der über zwei Spielzeiten u. a. in Berlin, Brüssel, Florenz, Köln, London, Paris und Rom zur Aufführung kam; zum Abschluss erschien 2011 die Gesamtaufnahme bei Virgin Classics/EMI. Seit 2004 gestaltet das Artemis Quartett eine eigene Konzertreihe in der Berliner Philharmonie; zudem wurde es 2011 zum Quartett in Residenz am Wiener Konzerthaus ernannt. In Folge seiner Einspielung der drei großen Schubert Quartette (2012) ist das Artemis Quartett eingeladen, in der Saison 2013/14 mit diesen Werken und zahlreichen Gästen eine Konzertserie in Paris zu gestalten. Seit 2005 nimmt das Artemis Quartett exklusiv für Virgin Classics / EMI auf und blickt inzwischen auf eine umfassende Diskographie zurück. Seine Einspielungen wurden mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik, dem ‚Gramophone Award’, mit dem ‚Diapason d’Or’ und mit dem ECHO-Klassik-Preis ausgezeichnet.
Die Wege zur ersten Sinfonie und zum ersten gültigen Streichquartett waren bei Brahms lang und führten über mehrere Vor- und Zwischenstufen. Der Weg zum Streichquartett war wohl verschlungener – doch endeten beide schliesslich erfolgreich in einem c-moll-Werk. Wie viele Streichquartette Brahms komponiert hat, weiss man nicht. Drei sind bekannt und Kammermusikfreunden wohlvertraut. Vor diesen hat es eine grössere Anzahl weiterer Quartette gegeben. Schumann berichtet in seinem begeisterten Artikel über den jungen Brahms nach dessen Besuch in Düsseldorf 1853, jener habe ihm in «ganz geniale(m) Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester ... machte» neben anderem auch «Quartette für Saiteninstrumente – und jedes so abweichend vom andern, dass sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen» vorgespielt. Im selben Jahr wollte Brahms ein Quartett in h-moll als erstes Werk veröffentlichen – schliesslich wurde eine Sonate für sein eigenes Instrument das Opus 1. Und an seinen Jugendfreund und Mitschüler August Alwin Cranz (1834-1923), den Sohn eines Hamburger Musikverlegers, schrieb er, er habe «bereits über 20 Quartette komponiert». Bis zur Fertigstellung und Veröffentlichung der ersten gültigen Quartette sollten aber zwanzig Jahre vergehen. Was vorangegangen war, wurde vernichtet. Zwischenstufen bildeten Klavierquartette, Streichsextette und das Streichquintett mit zwei Celli von 1862, das später zur Sonate für 2 Klaviere und zuletzt zum Klavierquintett wurde. Und als die beiden Quartette des op. 51 1873 endlich zur Geburt reif waren, bedurfte es, wie Brahms scherzhaft anmerkte, für die «Zangengeburt» des Chirurgen. Ihm, dem Freund Theodor Billroth (1829-1894; 1860-67 Professor in Zürich, dann in Wien), sind sie denn auch gewidmet, obwohl für das zweite ursprünglich Joseph Joachim vorgesehen war. Da Skizzen zum op. 51 bis in die Zeit um 1865 zurückgehen, verstehen wir den Scherz von Brahms. Im c-moll-Quartett überraschen ein neuer Klang und Verdichtung, stellenweise geradezu spröde Verschlossenheit, strenger Ernst und eine fast monothematische Substanz. Ludwig Finscher charakterisiert die Sätze mit «dra­matisch zerklüftet» (Kopf­satz), «melancholisch» (Romanze in As-dur), «nachdenklich-ver­sponnen» (Allegretto-Intermezzo in f-moll anstelle eines Scherzos) und «emotionale Hochspannung» (Fi­nale). Trotz letztlich traditionsbewusster Bezugnahme – nicht nur in der Erwartungen weckenden Tonart – auf das Vorbild Beethoven brachte die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien durch das Hellmesberger Quartett vorerst nur einen Achtungserfolg ein. Die konsequente und komplexe Kompositionsmethode zeigt sich im Entwickeln des Materials aus wenigen Kernmotiven – was Schönberg später «entwickelnde Variation» nannte, hauptsächlich an den Quartetten op. 51 darlegte und als fortschrittlich bewunderte. So war Brahms sehr wohl ein moderner Komponist und nicht, was das Publikum damals vielleicht lieber gehört hätte, ausschliesslich ein Bewahrer klassischer Vorgaben.

Eine andere (Klang-)Welt zeigt das zwei Jahre später entstandene B-dur-Quartett – als Parallele könnte man den Unterschied zwischen der 1. und 2. Sinfonie heranziehen. Es darf geradezu als klassisch, ja klassizistisch gelten, ist schlichter und weniger von motivischer Arbeit geprägt als die beiden Vorgänger, wirkt heiter und freier. Brahms dürfte aufgrund der erfolgreichen Ausarbeitung der 1. Sinfonie richtig entspannt gewesen sein. Neben der Umarbeitung der 1. Sinfonie arbeitete er am Quartett im Frühlings- und Sommerurlaub 1875 im hübsch gelegenen Ziegelhausen am Neckar östlich von Heidelberg; er vollendete es im folgenden Winter in Wien. Im Mai 1876 spielte das Joachim-Quartett das Werk im privaten Rahmen bei Clara Schumann in Berlin, im Herbst öffentlich ebendort; kurz danach folgte das Hellmesberger-Quartett in Wien. Schon der Beginn mit einer (bewussten?) Anspielung auf die Hornrufe in Mozarts Jagdquartett KV 458 oder vielleicht auch als Selbstzitat aus dem Scherzo des Streichsextetts op. 18, beides Werke in B-dur, gibt den Grundton an. Rhythmisch wird das Spielerische durch die Gegenüberstellung und zeitweise Überlagerung von 6/8- und 2/4-Takt geleistet. Das romanzenhafte Andante in F-dur zeigt dreiteilige Liedform, wobei der Mittelteil, meist in d-moll, freier und dramatischer ist. Besonders angetan war Brahms vom dritten Satz, den er als zärtlich und leidenschaftlich zugleich auffasste. Es handelt sich erneut mehr um ein Intermezzo als um ein echtes Scherzo, das aber Elemente aus dem scherzohaften Hauptthema des Kopfsatzes übernimmt. Auffällig ist die führende Rolle der Bratsche, während Geigen und Cello mit Dämpfer zu spielen haben. Dafür hat sie am Beginn des a-moll-Trios zu schweigen, als ob Brahms auf die Bezeichnung dieses Teils anspielen wollte, doch bald darf sie auch hier ihre Führungsrolle übernehmen. Die Klanglichkeit der Instrumentation gibt dem Satz etwas Notturnohaftes. Das Finale mit Thema und acht Variationen, in denen Brahms seine Meisterschaft in dieser Form beweist, erhält auch umfangmässig das grösste Gewicht im Quartett. Anspielungen fehlen auch hier nicht: Taucht da nicht in der 7. Variation das Jagdthema aus dem Kopfsatz wieder auf? Dass es Brahms’ Lieblingsquartett war, überrascht nicht.

Der Komponist und Kompositionsprofessor Endre Szervánszky (1911-1977) hatte sich als einer der ersten in Ungarn in den fünfziger Jahren mit Webern auseinandergesetzt. 1959 schrieb er mit den «Sechs Orchesterstücken» das erste ungarische Werk in Zwölftontechnik nach dem 2. Weltkrieg. Seine Vorbilder waren früher natürlich auch Bartók und Kodály gewesen. Elf Jahre nach seinem Tod hat György Kurtág mit dem «Officium breve» seiner gedacht. Schon der Titel deutet auf eines der Hauptstilmittel Kurtágs hin, die Kürze – und die hat Kurtág natürlich von Webern, der auch sein Vorbild war, übernommen. Die fünfzehn Sätze dauern knapp 12 Minuten. Der Bezug zu Webern ist im op. 28 (was auch die Opuszahl von Weberns Streichquartett ist) noch viel konkreter als in der Kürze gegeben. Kurtág bezieht sich auf den Doppelkanon aus dem Schlusssatz der 2. Kantate op. 31, Weberns letztem Werk von 1941-1943, der seinerseits ohne die intensive Beschäftigung mit der Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre. Er verwendet ihn in mehreren Sätzen bzw. spielt mit seinen Elementen, so im 5. Satz als Fantasie über dessen Harmonien; im siebten nutzt er die Aussenstimmen, im zehnten transkribiert er ihn direkt einen Ton höher auf die Streicher. Der ganze fünf Takte lange 6. Satz ist seinerseits eine Hommage à Webern in Kanonform. Ein weiteres Zitat gilt dem Komponistenfreund Szervánsky: Nach Anspielungen in den Sätzen 3 und 12 eröffnen die zwölf Anfangstakte in C-dur des Larghetto seiner Streicherserenade von 1947/48 den Schlusssatz dieses – wie Kurtág es nannte – «Mini-Requiem».

Johannes Brahms 1833-1897

Streichquartett Nr. 3, B-dur, op. 67 (1875)
Vivace
Andante
Agitato (Allegretto non troppo) – Trio
Poco Allegretto con Variazioni – Doppio Movimento

György Kurtág 1926-

Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky, op. 28, für Streichquartett (1988/89)
Largo (Violoncello)
Più andante
Sostenuto, quasi giusto (Viola und Violoncello)
Grave, molto sostenuto
Fantasie über die Harmonien des Webern-Kanons: Presto
Canon a 4: Molto agitato
Canon à 2, frei nach op. 31/6 von Webern: Sehr fliessend
Lento
Largo
Webern, Konon op. 31/6: Sehr fliessend
Sostenuto
Sostenuto, quasi giusto
Sostenuto, con slancio
Disperato, vivo
Arioso interrotto, di Endre Szervánsky: Larghetto

Johannes Brahms 1833-1897

Streichquartett Nr. 1, c-moll, op. 51, Nr. 1 (1873)
Allegro
Romanze: Poco adagio
Allegretto molto moderato e comodo – Un poco più animato
Finale: Allegro