Konzerte Saison 2020-2021

  • 27.10.2020
  • 19.30
  • 95.Saison
  • Abo 8
Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

Gringolts Quartett (Zürich)

Im in Zürich beheimateten Gringolts Quartett finden sich vier Musiker aus vier Ländern zusammen, die einander schon durch viele kammermusikalische Begegnungen freundschaftlich verbunden waren: Über Jahre haben der russische Geiger Ilya Gringolts, die rumänische Bratschistin Silvia Simionescu und die armenische Geigerin Anahit Kurtikyan immer wieder auf internationalen Festivals in verschiedenen Formationen gemeinsam musiziert; der deutsche Cellist Claudius Herrmann spielte mit Anahit Kurtikyan im renommierten Amati Quartett Zürich. Was sie miteinander verbindet, ist die große Leidenschaft für das Streichquartettspiel.

Zu den musikalischen Partnern des Quartetts zählen Künstler wie Leon Fleischer, Jörg Widmann, David Geringas, Malin Hartelius, Christian Poltéra und Eduard Brunner. Abgesehen vom klassischen Repertoire widmen sich die Musiker auch regelmäßig zeitgenössischer Musik, darunter Quartette von Marc-André Dalbavie, Jörg Widmann, Jens Joneleit und Lotta Wennäkoski.

In den vergangenen Spielzeiten war das Gringolts Quartett unter anderem bei den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival, dem Edinburgh Festival, dem Verbier Festival, oder dem Gstaad Menuhin Festival zu Gast, außerdem tritt es regelmäßig in den international bedeutenden Konzertsälen auf, unter anderem im Concertgebouw Amsterdam, in der Elbphilharmonie Hamburg, der Philharmonie Luxembourg, dem Stockholm Konserthuset, dem Festspielhaus Baden-Baden, der Sankt Petersburger Philharmonie, am L’Auditori Barcelona, bei der Sociedad Filarmónica de Bilbao, bei Lugano Musica und bei der Società di Concerti in Mailand.

Mit seinen exquisiten CD-Aufnahmen machte das Gringolts Quartett bereits mit Werken von Robert Schumann und Johannes Brahms auf sich aufmerksam. Für die Ende 2012 erschienene Ersteinspielung des Quintettes von Walter Braunfels gemeinsam mit David Geringas wurde es mit einem Supersonic Award sowie mit einem ECHO Klassik ausgezeichnet. Die Einspielung der Quintette von Glasunow und Tanejew gemeinsam mit Christian Poltéra wurde 2016 mit dem begehrten Diapason d’Or prämiert. Zuletzt präsentierte das Quartett 2017 bei BIS records Schönbergs Streichquartette Nr. 2 und 4, die CD wurde von der Presse zur Referenzaufnahme erkoren: Ein derart hörenswertes Plädoyer für die Musik Schönbergs gab es seit vielen Jahren nicht mehr und macht für mich diese CD zur neuen Referenzaufnahme. (Klassik-heute.com, Martin Blaumeiser).

Alle Mitglieder des Gringolts Quartettes spielen auf seltenen italienischen Instrumenten: Ilya Gringolts spielt eine Giuseppe Guarneri "del Gesù" Violine, Cremona 1742-43 aus privatem Besitz, Anahit Kurtikyan eine Camillo Camilli Violine, Mantua 1733, Silvia Simionescu eine Jacobus Januarius Bratsche, Cremona 1660 und Claudius Herrmann ein Maggini Cello, Brescia 1600. Auf diesem Instrument spielte einst Prinz Golizyn, ein großer Bewunderer Beethovens, als erster die von ihm in Auftrag gegebenen letzten Streichquartette des Komponisten.

Beethovens Harfenquartett und dem op. 67 von Brahms gemeinsam ist - bei beiden Komponisten nicht häufig anzutreffen - ein Finale, das als Allegretto mit sechs bzw. acht Variationen gestaltet ist. Während Beethoven die Variationenfolge «quasi experimentierend zur weiteren Erprobung klangfarblicher, instrumentatorischer Reize nutzt» (A. Werner-Jensen), lässt Brahms sein Finale durch den Einbezug von Themen des Kopfsatzes zu einem bewusst gestalteten und komplexen Ganzen, das die Gesamtform des Werkes betont, erwachsen. Damit verweist es eher auf den späten als auf den mittleren Beethoven. Beiden Werken ist auch ein - als Reaktion auf das vorangehende Quartettschaffen - versöhnlich-leichterer, freundlicher Charakter eigen. Beethoven wollte oder musste auf den für die damalige Zeit ungewohnt komplexen Zyklus der Rasumowsky-Quartette, Brahms auf sein lange erdauertes op. 51 mit dem pathetisch-bekenntnishaften c-moll- bzw. dem elegisch-poetischen a-moll-Quartett «reagieren». Beide Male ist ein freundlich-heiteres Werk herausgekommen; deren Heiterkeit ist nicht blosse Fassade, sondern verbirgt hinter leichten Harfenklängen bzw. bukolischem Frieden einen tiefen Kunstwillen. Bei beiden Werken sind «keine anpasserischen künstlerische Kompromisse geschlossen worden, sondern es wird nur ein anderer Weg beschritten». Dadurch dass Brahms die im op. 51 vorgeformte Technik der entwickelnden Variation weiterführt und auf das Finale hin ausrichtet, zeigt auch er den bewussten Willen zur neuen Formgestaltung. Die Gelöstheit ist innerlich begründet. Ist es nicht eine besondere Leistung eines Künstlers, Schwieriges leicht, Ernsthaftes heiter erscheinen zu lassen? Beethoven und Brahms, die zeitweise ihre liebe Mühe mit Heiterkeit und Leichtigkeit hatten, fanden in beiden Werken auf höchstem Niveau dazu. Nichts kann die neue Gelöstheit hübscher zeigen, als was Brahms zur Widmung des op. 67 zu sagen hatte. Wie er für die «Zangengeburt» des op. 51 des Chirurgen Theodor Billroth bedurfte, so widmete er das op. 67 erneut einem Medizinerfreund, fügte aber hinzu: «Es handelt sich um keine Zangengeburt mehr; sondern nur um das Dabeistehen.»

----------------

Nun also Beethovens op. 74 selbst! Unter den mittleren und späten Quartetten ist es sicher das einfachste und am leichtesten zugängliche, wirkt es doch vornehmlich heiter und freundlich. Schon die Äusserlichkeit der harfenartigen Pizzicati, die dem Werk den nicht gerade aussagekräftigen Beinamen beschert haben, lässt heitere Stimmung aufkommen. Die langsame Einleitung (die Mendelssohn in op. 12 aufgegriffen hat) leitet auf das Hauptthema des Allegro hin, indem es dessen Hauptmotiv umgekehrt vorwegnimmt. Bereits die Durchführung mit ihren Steigerungen lässt erleben, dass freundliche Heiterkeit allein nicht der einzige Charakterzug dieses Werks ist. Im Adagio, beherrscht von weitgespannten Kantilenen, kommt Expressivität hinzu. Auch hier tauchen die Harfenpizzicati wieder auf. Das Presto, nicht ausdrücklich als Scherzo bezeichnet, wird von einem ständig wiederholten Motiv (man fühlt sich an die Fünfte erinnert) beherrscht und der zweimal auftauchende Trioteil, zum Prestissimo gesteigert, macht durch sein Dauerfortissimo Heiterkeit rasch vergessen. Erst das Variationenfinale mit seinem liebenswürdigen Thema führt wieder zu Beruhigung und bekräftigt den Hauptcharakter des Werks.

Schönbergs 3. Quartett fand widersprüchliche Beurteilungen: Ein Wiener Kritiker beanstandete nach der Uraufführung durch das Kolisch Quartett "dieses nun schon seit Jahren zur Genüge bekannte ständige Gepiepse in den Geigen und Geraunze im Cello, diese belanglose Thematik und ihre gehörmässig ununterscheidbaren organischen Zusammenhänge". Theodor W. Adorno hingegen schrieb nach der Frankfurter Erstaufführung: "Ein mächtiges Werk, unerbittlich und unangreifbar wie keine Kammermusik seit 1827, von niederzwingender Gewalt!". Seit den beiden ersten, noch weitgehend tonal gebundenen Quartetten hatte Schönberg in den frühen zwanziger Jahren seine Theorie von der "Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen" entwickelt. Er behandelt die Zwölftontechnik allerdings öfters frei und hält sich nicht strikt an das Verbot der Tonwiederholung. So umfassen die beiden Themen, welche im ersten Satz des 3. Quartetts die Zwölftonreihe ergeben, auf der das ganze Werk aufgebaut ist, jeweils zehn Töne; es kommen drei Tonwiederholungen vor. Vielfache Variationen (Umkehrung, Krebs etc.) dieses Reihenmaterials erleichtern das Erkennen der musikalischen Vorgänge nicht - was durchaus Schönbergs Vorstellungen entsprach, denn er glaubte, dass das moderne Ohr die unveränderte Wiederholung von Themen nicht mehr wünsche. Die amerikanische Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge hatte Schönberg um eine Komposition für Kammerorchester gebeten. Schönberg ersetzte sie durch sein beinahe beendetes 3. Quartett. Dass Miss Sprague, extra aus Amerika angereist, bei der Uraufführung mit ihrem Hörrohr in der ersten Reihe sass, veranlasste den bereits erwähnten Kritiker zur Bemerkung, sie möge "für das schöne Geld infolge ihrer Schwerhörigkeit hoffentlich einen wenigstens erträglichen Eindruck davon gewonnen haben". Heutige Ohren schaffen dies leicht.
Die Wege zur ersten Sinfonie und zum ersten gültigen Streichquartett waren bei Brahms lang und führten über mehrere Vor- und Zwischenstufen. Der Weg zum Streichquartett war wohl verschlungener – doch endeten beide schliesslich erfolgreich in einem c-moll-Werk. Wie viele Streichquartette Brahms komponiert hat, weiss man nicht. Drei sind bekannt und Kammermusikfreunden wohlvertraut. Vor diesen hat es eine grössere Anzahl weiterer Quartette gegeben. Schumann berichtet in seinem begeisterten Artikel über den jungen Brahms nach dessen Besuch in Düsseldorf 1853, jener habe ihm in «ganz geniale(m) Spiel, das aus dem Klavier ein Orchester ... machte» neben anderem auch «Quartette für Saiteninstrumente – und jedes so abweichend vom andern, dass sie jedes verschiedenen Quellen zu entströmen schienen» vorgespielt. Im selben Jahr wollte Brahms ein Quartett in h-moll als erstes Werk veröffentlichen – schliesslich wurde eine Sonate für sein eigenes Instrument das Opus 1. Und an seinen Jugendfreund und Mitschüler August Alwin Cranz (1834-1923), den Sohn eines Hamburger Musikverlegers, schrieb er, er habe «bereits über 20 Quartette komponiert». Bis zur Fertigstellung und Veröffentlichung der ersten gültigen Quartette sollten aber zwanzig Jahre vergehen. Was vorangegangen war, wurde vernichtet. Zwischenstufen bildeten Klavierquartette, Streichsextette und das Streichquintett mit zwei Celli von 1862, das später zur Sonate für 2 Klaviere und zuletzt zum Klavierquintett wurde. Und als die beiden Quartette des op. 51 1873 endlich zur Geburt reif waren, bedurfte es, wie Brahms scherzhaft anmerkte, für die «Zangengeburt» des Chirurgen. Ihm, dem Freund Theodor Billroth (1829-1894; 1860-67 Professor in Zürich, dann in Wien), sind sie denn auch gewidmet, obwohl für das zweite ursprünglich Joseph Joachim vorgesehen war. Da Skizzen zum op. 51 bis in die Zeit um 1865 zurückgehen, verstehen wir den Scherz von Brahms. Im c-moll-Quartett überraschen ein neuer Klang und Verdichtung, stellenweise geradezu spröde Verschlossenheit, strenger Ernst und eine fast monothematische Substanz. Ludwig Finscher charakterisiert die Sätze mit «dra­matisch zerklüftet» (Kopf­satz), «melancholisch» (Romanze in As-dur), «nachdenklich-ver­sponnen» (Allegretto-Intermezzo in f-moll anstelle eines Scherzos) und «emotionale Hochspannung» (Fi­nale). Trotz letztlich traditionsbewusster Bezugnahme – nicht nur in der Erwartungen weckenden Tonart – auf das Vorbild Beethoven brachte die Uraufführung am 11. Dezember 1873 in Wien durch das Hellmesberger Quartett vorerst nur einen Achtungserfolg ein. Die konsequente und komplexe Kompositionsmethode zeigt sich im Entwickeln des Materials aus wenigen Kernmotiven – was Schönberg später «entwickelnde Variation» nannte, hauptsächlich an den Quartetten op. 51 darlegte und als fortschrittlich bewunderte. So war Brahms sehr wohl ein moderner Komponist und nicht, was das Publikum damals vielleicht lieber gehört hätte, ausschliesslich ein Bewahrer klassischer Vorgaben.

Ludwig van Beethoven 1770-1827

Streichquartett Nr. 10, Es-dur, op. 74 «Harfenquartett» (1809)
Poco Adagio – Allegro
Adagio ma non troppo
Presto – Più presto quasi prestissimo –
Allegretto con Variazioni – Un poco più vivace – Allegro

Arnold Schönberg 1874-1951

Streichquartett Nr. 3, op. 30 (1927)
Moderato
Adagio
Intermezzo: Allegro moderato
Rondo: Molto moderato

Johannes Brahms 1833-1897

Streichquartett Nr. 1, c-moll, op. 51, Nr. 1 (1873)
Allegro
Romanze: Poco adagio
Allegretto molto moderato e comodo – Un poco più animato
Finale: Allegro