Wer war sie, Beethovens «unsterbliche Geliebte» des nie abgeschickten Briefs von Anfang Juli 1812, die später zur «entfernten» und zuletzt – das im April 1816 komponierte op. 98 zielt gewiss auch auf sie – zur «fernen Geliebten» wurde? Forschungen haben es – wenn auch nur mit Indizien – wahrscheinlich gemacht, dass es sich um Josephine Brunsvik (1779-1821, verheiratete Deym bzw. später Stackelberg) handelt. Beethoven kannte sie seit 1799 und hatte mit ihr 1804-07 eine intensive Liebesbeziehung. Vermutlich ist er ihr, wie der Brief nahelegt, Anfang Juli 1812 in Prag wieder begegnet. Vielleicht war Josephines am 8. April 1813 geborene Tochter Minona (gest. 1897) ein Kind Beethovens, was aber nicht bewiesen ist. Am 10. Februar 1816 trafen sie sich in Wien in Josephines Haus bei Schuppanzighs Abschiedskonzert wieder und darauf vermutlich noch mehrmals. Irgendwann im ersten Halbjahr 1816 hat sich Beethoven zum Verzicht durchgerungen – aus welchen Gründen auch immer. So ist es denkbar, dass das op. 98 ein ernst zu nehmendes Zeugnis dafür ist. Die Gedichte dieses ersten inhaltlich fest verbundenen Liederkreises der Musikgeschichte hat der auch sonst literarisch tätige Alois Isidor Jeitteles (1794-1858), der bis 1819 in Wien studierte und später in Brünn als Arzt tätig war, 1816 vielleicht in Beethovens Auftrag verfasst. Dass die Gedichte nie separat veröffentlicht wurden, spricht dafür. Im ersten Gedicht hat Beethoven sogar eine eigene Strophe eingefügt. Es geht um die Liebe zu einer jetzt unerreichbaren Frau – «Ich fand nur eine, die ich wohl nie besitzen werde», schrieb Beethoven im Mai 1816 an Ferdinand Ries. Die Natur soll die Verbindung zwischen den Liebenden herstellen, doch das ist Illusion. So bleibt die Musik, die Lieder Beethovens (wohl konkret der Zyklus), um diese Beziehung aufrecht zu erhalten («und du singst, was ich gesungen»). Kurz vor der Schlussstretta nimmt Beethoven die Anfangsmelodie des ersten Liedes wieder auf: «Dann vor diesen Liedern weichet, was geschieden uns so weit.» Mit «ein liebend Herz erreichet, was ein liebend Herz geweiht» setzt das rasche Tempo ein und führt den Zyklus schwungvoll (und zuversichtlich?) zum Ende. Ist es Zufall, dass dazu ein mehrfach wiederholtes Motiv erklingt, das im Andante favori (WoO 57, 1803/04), dem ursprünglichen Mittelsatz der «Waldstein-Sonate», vorgebildet ist und das auch als Josephine-Thema bezeichnet wird? Beethoven hatte das Stück Josephine mit den Worten «Hier – ihr – ihr – Andante» zukommen lassen. Der ganze Zyklus ist komplex strukturiert und die Lieder sind durch Klavier-Überleitungen in eine ganzheitliche Folge, vergleichbar einer Instrumentalfantasie, gebracht. Die präzis angegebenen Tempi – sie sind darum im Programm angegeben – und ihre Relationen verstärken diese Struktur. Im Gegensatz zur einmalig durchkomponierten Grossform sind die einzelnen Lieder selbst einfach gehalten. Die Verbindung dieser Eigenheiten macht die Ausdrucksstärke des Werks aus. Vor allem das letzte Lied des Zyklus («Nimm sie hin denn, diese Lieder...») war bei verliebten Komponisten der Romantik, insbesondere im Umfeld Clara Schumanns, eine beliebte Zitatenquelle und gibt dem Original einen weiteren Reiz. Robert Schumann zitiert die Passage mehrfach, am schönsten in der C-dur-Fantasie op. 17, und Brahms bringt sie im Klaviertrio op. 8, das er 1854, in Clara verliebt, komponiert hatte; in der 2. Fassung von 1891 strich er sie – längst waren diese Gefühle vorbei.
Auf dem Hügel sitz ich (Ziemlich langsam und mit Ausdruck) –
Wo die Berge so blau (Ein wenig geschwinder. Poco allegretto)
Leichte Segler in den Höhen (Allegro assai) –
Diese Wolken in den Höhen (Nicht zu geschwinde, angenehm
und mit viel Empfindung) –
Es kehret der Maien, es blühet die Au (Vivace) –
Nimm sie hin denn, diese Lieder (Andante con moto, cantabile –
Allegro molto e con brio)