• Werk-Details
  • Streichquartett Nr. 2 (1961/62)

Roberto Gerhard 1896-1970

Roberto Gerhards 1868 geborener Vater Robert Gerhard stammte aus dem aargauischen Brittnau südlich von Zofingen, wo noch heute eine ganze Reihe von Gerhards ansässig ist. Um in einer Weinhandelsfirma zu lernen, zog es ihn jung nach Katalonien, das damals vorerst von der Reblaus verschont war. Dabei lernte er Marie Louise Ottenwälder, eine Elsässerin aus Schlettstadt, kennen; sie heirateten 1895 und gründeten in Valls, 20 km nördlich von Tarragona, eine eigene Weinhandelsfirma. Hier kam Robert junior 1896 als erster von drei Söhnen (nach ihm Carles, Jurist, und Ferrán, der später die Firma weiterführte) zur Welt. Der nach dem Vater benannte Sohn fühlte sich als Katalane und behielt auch die Namensform Robert bei. Später, insbesondere im Exil und im internationalen Umgang nannte er sich Roberto, weil das mediterraner klang als das deutsch-katalanisch-englische Robert. Der Vater hatte ihn zum Kaufmann machen wollen und ihn dazu in die Schweiz (Zofingen, Neuchâtel, Lausanne) geschickt. Doch der Sohn, von der Mutter unterstützt, fühlte sich zur Musik hingezogen und ging 1913 nach München, um beim Basler Walter Courvoisier zu studieren. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs trieb ihn nach Katalonien zurück. Bis zu dessen Ertrinkungstod 1916 studierte er Klavier bei Enric Granados, dann Komposition bei Felip Pedrell. Spanisch-katalanische Musik beeinflusste sein Komponieren lange, doch war er an neuen Entwicklungen der Musik interessiert. Darum studierte er ab 1923, dem Jahr der Entwicklung der Zwölftonmethode, bei Arnold Schönberg in Wien und ab 1925 bis 1929 in Berlin und wurde dessen Meisterschüler und Assistent. Als überzeugter Republikaner verliess er unter Francos Diktatur Spanien und ging über Paris nach Cambridge, wo er bis zu seinem Tod lebte und wo er auch begraben ist. Wie sein Vater und seine Brüder behielt er die Schweizerische Staatsbürgerschaft bei und erwarb erst 1960 die britische. Spanien besuchte er nur noch zu Ferienaufenthalten. In England baute er sich eine neue Existenz auf, wurde zu einem Innovator und Wegbereiter der neusten Musik (Experimente mit Tonbändern etc.) und gehörte in den zwei letzten Lebensjahrzehnten zu den fortschrittlichsten Komponisten. 1950-55 entstand das erste gültige Streichquartett (drei frühere sind verloren bzw. in einem Fall umgewandelt erhalten). Im grösseren Umfang, viersätzig und ohne Tonartbindung, erinnert es an Schönbergs 3. und 4. Quartett. Beim 2. Quartett dagegen fand Gerhard zu knappster Form mit sieben kurzen Abschnitten (Dauer zwischen 30 Sekunden und vier Minuten, insgesamt gut 13 Minuten) und verzichtete, da man sie nicht als Sätze verstehen soll, auf Satzbezeichnungen. Wie in der 3. Sinfonie (1960) verwendet er fliessende Strukturen, denen statische Elemente gegenüberstehen. Die Instrumente lässt Gerhard mit verschiedensten Klangtechniken spielen; häufig sind auch in ihrer Höhe nicht festgelegte Töne. So ist ein originelles, modernes Stück entstanden, das bis heute wie das ganze Spätwerk Gerhards wenig bekannt ist. «Dodekaphonisch, aber menschlich und sogar ein bisschen göttlich» – so bezeichnete ein Musikologe 1998 dieses Spätwerk. Zur Verbreitung tragen neben dem Engagement der Familie und des Quartet Gerhard sowie internationalen Konferenzen hoffentlich auch die hervorragende Neueinspielung der Quartette und der Chaconne für Solo-Violine durch die Ardittis bei, die Anfang 2013 erschienen ist.
I – VII