• Werk-Details
  • Streichquartett Nr. 4, D-dur, op. 83 (1949)

Dmitrij Schostakowitsch 1906-1975

Die Jahre nach dem 2. Weltkrieg waren wie die vor dem Krieg für Schostakowitsch äusserst schwierig. Die KPdSU drangsalierte die Kulturschaffenden, da ihre Werke dem Volk und der Partei nicht gefielen, und stempelte sie als Formalisten, Abweichler und Volksfeinde ab. Werke, die wie die Leningrader Sinfonie (1941) während des Kriegs erfolgreich waren, wurden kritisiert, vor allem die lockere „Sinfonie classique“ Nr. 9 (1946): „In welcher Zwergengestalt erschien uns Schostakowitsch in seiner Symphonie Nr. 9 angesichts der Grösse des Sieges.“ Auf den Komponisten-Kongressen wurden Schostakowitsch und andere gedemütigt. Im Herbst 1948 verlor er seine Professuren in Moskau und Leningrad. Im März 1949 delegierte ihn Stalin persönlich gegen seinen Willen an den Panamerikanischen Kongress für Kultur und Friedenssicherung in New York. „Sein“ Referat allerdings, ein Parteipapier, las dort ein Sprecher auf Englisch mit – gemäss Presseberichten – Inhalten übelster Art vor. Gleichwohl jubelte man Schostakowitsch zu. Wenigstens hörte er im Rahmen des Kongresses Bartóks Streichquartette Nr. 1, 4 und 6. Ob diese Erlebnisse und Eindrücke ein Grund dafür waren, dass der Komponist Anfang Mai sein 4. Streichquartett zu schreiben begann (vollendet am 27. Dezember), ist nicht nachzuweisen. Vielleicht ist man zu rasch zur Einschätzung bereit, Streichquartette bedeuteten einen Rückzug ins Private. Sinfonien blieben allerdings vorerst zurückgestellt; die grosse 10. mit Stalins groteskem Porträt war erst nach dessen Tod möglich. Gegenüber den Vorgängern ist das neue Quartett ein verinnerlichtes, lyrisches Werk. Es legt alles Pathos ab, wirkt zurückgenommen. Es beginnt präludiumshaft mit einem eher ruhigen, kurzen Allegretto. Über liegenden Basstönen spielen die Geigen einen Zwiegesang, der nach dreissig Takten in einen dynamischen Höhepunkt mündet, später aber zurückkehrt. Östliche Volksmusik mit Dudelsackweisen klingt an, ist aber nirgends Zitat. Das Andantino in f-moll, einer der berührendsten Sätze des Komponisten, ist ein lyrischer Gesang der Primgeige, dem 2. Geige und Bratsche eine einfache rhythmische Struktur hinzufügen. Später tritt das Cello mit einer Gegenlinie hinzu. Zuletzt nimmt die 1. Geige die Führung wieder auf, und der Satz verklingt wie der erste im Pianissimo morendo. An Stelle eines Scherzos steht ein Allegretto in c-moll, das trotz mancher Bewegung verhalten, ja fahl wirkt (1. Teil con sordino) und ebenfalls pianissimo endet. Attacca schliesst, sich aus dem pp entwickelnd, das Finale an, ein Rondo. Es schöpft seine Melodien aus jüdischer Volksmusik, die in kurzen, sich wiederholenden Gedanken erscheinen. Die Bratsche übernimmt die Führung, tritt sie dann an die Primgeige ab. Auch dieser Satz wirkt zurückhaltend, voller Trauer. Einzig im zentralen Höhepunkt steigert er sich zu tänzerischer Ausgelassenheit. Nach diesem volksmusikhaften Intermezzo leitet die Bratsche in den klagenden Schlussteil zurück, der erneut pp morendo in D-dur ausklingt.
Allegretto
Andantino
Allegretto
Allegretto